Verbände
Bioland: mehr als ein Bauernverband
bioPress im Gespräch mit Christoph Zimmer, Geschäftsführer von Bioland Baden-Württemberg

30 Prozent Bio-Ausbau bis 2030: Dafür braucht es Bewegung in der gesamten Wertschöpfungskette. Was kann Bioland, der größte Bio-Anbauverband Deutschlands, dazu beitragen? Welche Rolle spielen Kaufleute bei der Bio-Vermarktung? Und wie lässt sich auf dem Vormarsch der Handelseigenmarken wieder mehr Markenvielfalt erreichen? Darüber sprach bioPress mit Christoph Zimmer, dem Geschäftsführer von Bioland Baden-Württemberg.
bioPress: Herr Zimmer, vor wenigen Jahren hat Bioland einen Verein für Verarbeitung und Handel gegründet. Wir hatten gehofft, dass damit die Bio-Vermarktung und die Präsenz von Herstellermarken im Handel vorangetrieben werden soll. Was war die Intention Biolands für die Gründung?
Christoph Zimmer: Laut unserem Slogan wollen wir ‚die treibende Kraft für die Landwirtschaft der Zukunft‘ sein. Um das Wirklichkeit werden zu lassen, müssen wir ganzheitlich denken.
Bioland ist eine Wertegemeinschaft. Wir haben bäuerliche Wurzeln und sind von Bauern getragen, was uns unabhängig macht. Unser Ziel ist es aber darüber hinaus, die ganze Wertschöpfungskette bis hin zum Kunden zu integrieren und eine engere Verbindung zwischen den verschiedenen Akteuren zu schaffen. Dafür haben wir 2020 den Verein ‚Bioland Verarbeitung & Handel‘ (BVH) gegründet und so den organisatorischen Rahmen zur Mitbestimmung von Herstellern, Händlern und Gastronomen geschaffen. Das ‚Forum W‘ – Teil des BVH – bietet Weiterbildungsmaßnahmen an, um die Bio-Kompetenz der Mitarbeitenden seiner Mitglieder zu stärken. Außerdem gibt es themenspezifische Gesprächsrunden und regionale Veranstaltungen, die die Akteure der Wertschöpfungsketten zueinander bringen.
In unserem obersten Organ – der Delegiertenversammlung – waren früher nur Landwirte vertreten. Jetzt sind dort auch Vertreter aus Herstellung, Handel und Gastronomie mit Rede- und Stimmrecht beteiligt und übernehmen damit Verantwortung. Um den Ausbau von Bio voranzubringen, brauchen wir mehr Zusammenarbeit innerhalb der Wertschöpfungskette.
Bio hat aber mehr Effekte, als ein trendy Verkaufsargument zu sein, zum Beispiel substanzielle Leistungen beim Thema Nachhaltigkeit. Die Bereiche Taxonomie und Nachhaltigkeitslabeling sind gerade politisch aktuell und die Green Claims-Verordnung der EU kommt auf uns zu. Wenn ich von Nachhaltigkeit rede, muss ich das zukünftig auch ausreichend belegen können. Das sind Themen, wo es sinnvoll ist, wenn nicht jeder sein eigenes Ding macht, sondern man sich untereinander austauscht und abspricht, um vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen. Auch das ist ein Zweck unseres Vereins.
bioPress: Welche Handelsvertreter sitzen denn im ‚Bioland Verarbeitung & Handel e.V.‘? Geschäftsführer von Handelszentralen? Kaufleute?
Zimmer: Die Vorstandsvorsitzende des Vereins, Theresia Quint, ist zum Beispiel eine selbstständige Kauffrau, die drei Edeka-Märkte in Trier leitet. Sie betreibt auch einen Produktionsbetrieb mit Bio-Fleischwaren und hat ihre Bedientheken mit 100 Prozent Bioland-Rind- und Schweinefleisch ausgestattet. Solche Leute brauchen wir – auch als Vorbild für andere Händler. Wenn du als Marktinhaberin zu anderen Marktleitern sprichst, hat das einfach ein anderes Gewicht, als wenn ich als Verbandsvertreter spreche.
Allgemein erlebe ich sehr aktive Kaufleute. Sie machen sich selbst auf den Weg, Bio-Ware in ihre Märkte zu bringen und optisch schön zu präsentieren. Dabei sind sie näher dran am Kunden als die Zentralen und in der Vermarktung oft sehr erfolgreich. Die Rewe-Zentrale hat übrigens selbst Leute angestellt, die kleine Hersteller und Händler bei der Listung von Direktlieferanten im SEH unterstützen. Da besteht also durchaus Interesse.
bioPress: Wie beurteilen Sie die aktuelle Bio-Marktsituation? Gibt es genügend Bio-Rohstoffe und -Erzeuger?
Zimmer: Um die Verfügbarkeit von Bio-Rohstoffen mache ich mir wenig Sorgen. Das Produktionspotenzial ist da. Es gibt weiterhin durchaus eine große Offenheit von konventionellen Betrieben für die Bio-Umstellung. Ein Hemmnis ist die gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP), deren nationale Umsetzung sich ewig verzögert hat; außerdem die Ukrainekrise, unter der das höherpreisige Segment gelitten hat, sodass Rohwaren weniger nachgefragt wurden.
Aber der Ökolandbau hat ein funktionierendes professionelles Bewirtschaftungssystem mit verlässlichen Kontrollen. Er schafft es, großflächig hochwertige Lebens- mittel zu erzeugen und gleichzeitig die Biodiversität zu fördern und Klimaschutz zu praktizieren.
Heute wird verstanden, dass dies sehr wichtig ist – anders als noch vor 20, 30 Jahren. Gesellschaftliche Leistungen zu erbringen, kostet allerdings natürlich Geld. Das muss teils von Prämien oder anderen Impulsen von der Politik, teils vom Markt kommen.
Ein Problem bei großen Händlern: Sie sind es gewohnt, mit Angeboten überhäuft zu werden, zu bestellen und mit einem Fingerschnipsen sofort ihre Ware zu bekommen – völlig anders als ein kleiner Ladner, der nach Angeboten suchen muss. Eine Bio-Umstellung braucht aber Zeit – das geht nicht von heute auf morgen.
bioPress: Auch wenn genügend Rohstoffe da sind: Viele davon fließen in wenige Eigenmarken und landen in den Töpfen großer Hersteller. Was unternimmt Bioland dagegen?
Zimmer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der schon zu großen Diskussionen mit den Händlern geführt hat. Wir brauchen eine gesunde Bündlerstruktur, die nicht den konventionellen Mechanismen verfallen ist. Sie muss zum Bio-Gedanken passen. Wir wollen bäuerlich getragene Erzeuger stärken, für die Bio nicht nur eine Nebenbeschäftigung ist, und schauen uns die Partner von Lizenzverträgen ganz genau an.
Handelsmarken für sich allein genießen nicht so viel Vertrauen wie Herstellermarken. Die Definition davon, was gutes Bio ist, darf nicht beim Händler liegen. Sie liegt bei der Basis – sonst gibt es auch kein Vertrauen dafür.
Ein Vorteil vom Fachhandel ist, dass er eine Vorauswahl trifft, auf die ich mich als Kunde verlassen kann. Ich muss nicht jedes Produkt umdrehen und schauen, ob es auch Bio ist. Das ist einfach ein Qualitätsunterschied. Aber wir können nicht darauf warten, dass die Leute in die Naturkostfachgeschäfte kommen, sondern müssen Bio zu den Menschen bringen und brauchen daher verschiedene Wege und verschiedene Arten von Angeboten.
bioPress: Wo man hinschaut, ist es dasselbe: Die Kunden wollen Vielfalt und der Handel bietet Einfalt. Und verlangt dann für seine Bio-Artikel noch exorbitant hohe Preise. So wird man den Verbraucher kaum zu mehr Bio-Käufen bewegen…
Zimmer: In puncto Markenvielfalt sehe ich auch noch unglaublich viel Potenzial. Beim Discounter kriegt man mittlerweile auch Bio-Äpfel, aber dann gibt es vielleicht nur das eine Viererpäckchen. Beim Fachhandel gibt es dagegen ein weites Angebot an verschiedenen Sorten. Hier könnte der klassische LEH noch viel, viel mehr machen und so ist es in anderen Sortimentsbereichen auch.
Das Narrativ, dass Bioläden teurer sind, stimmt auch nicht unbedingt. Wenn man Bio in die Breite bringen will, ist das Thema Preisgestaltung wichtig. Jeder Aufschlag wird einfach unkritisch weitergereicht, sodass sich der Preis mit jeder Stufe erhöht. Aus zehn Prozent Preisaufschlag bei der Rohware wird dann plötzlich im Handel für den Endverbraucher ein Vielfaches. Das können wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten. Ziel muss sein, unabhängig von der Vermarktungsform mit fairen Preisen und ohne Effizienzverluste hochwertige Bio-Produkte zu den Konsumenten zu bringen.
Interview: Erich Margrander und Lena Renner