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Vision 50 Prozent Bio im LEH? 

Expertengespräch mit Edeka-Jungkaufmann Luis Sanktjohanser 

Vision 50 Prozent Bio im LEH?  © bioPress, LT
Kaufmann Luis Sanktjohanser von Edeka Quint aus Trier (li.) im Gespräch mit bioPress-Herausgeber Erich Margrander (re.) in der Experten Lounge des Meetingpoints BIOimSEH auf der Biofach

30 Prozent Bio im Sortiment hat Edeka Quint in Trier bereits erreicht. Damit die Reise weitergeht, müssen andere mitziehen, meint Kaufmann und Geschäftsbereichsleiter Luis Sanktjohanser. Um fachhandelstreue Bio-Großhändler, Entwicklungsmöglichkeiten auf dem Land, Schranken im Sortimentsausbau, den Wert einer effektiven Bio-Vorstufe, Aufklärungsarbeit und fehlende Bio-Bildung – darum ging es im Expertengespräch im Meetingpoint BIOimSEH auf der Biofach. 

bioPress: Herr Sanktjohanser, ein kurzer Rundumblick: Wie haben Sie mit Bio angefangen, wo stehen Sie jetzt und wo wollen Sie hin?

Luis Sanktjohanser: Wir haben bei Edeka Quint schon vor vielen, vielen Jahren begonnen, Bio zu beziehen. Zu Zeiten, als es von der Edeka-Zentrale kaum zu bekommen war. Jahrelang haben wir mit Herstellern und Fachhändlern immer wieder die gleichen Gespräche geführt. Jetzt sind wir so weit, dass wir 30 Prozent Bio-Artikel im Sortiment führen. Der Umsatzteil schwankt saisonal zwischen rund 20 bis 25 Prozent. 

Unsere drei Märkte sind in Stadtteilen von Trier, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und so ist auch das Sortiment je nach Stadtteil sehr individuell an die Kundenstruktur angepasst. Die Leute auch bei geringer Kaufkraft zum Bio-Griff zu bewegen, ist eine Herausforderung. Es ist unsere tägliche Kommunikationsaufgabe, das festgefahrene Bild von hohen Bio-Preisen, das gar nicht mehr der Realität entspricht, zu bewegen. Mit genügend Fachpersonal vor Ort mit Kunden ins Gespräch gehen zu können, ist ja auch die besondere Kompetenz des LEHs und hebt uns von Discountern ab. Wir müssen sehr aufpassen, Kunden nicht an sie zu verlieren. Unsere Aufgabe ist es, beim Ausbau des Bio-Anteils die Gratwanderung zwischen allen Kundengruppen zu schaffen, alle mitzunehmen.

Als weitere Herausforderungen wollen wir als Unternehmen wachsen, was im LEH klassischerweise über die Expansion an neue Standorte funktioniert. Sehr wahrscheinlich werden wir uns dabei nicht mehr auf die Stadt, sondern aufs Land konzentrieren, weil wir in Trier schon eine sehr hohe Versorgungsquote haben. Wie dort die Kundenstruktur aussieht, wird dann nochmal spannend. 

bioPress: Auf dem Land sieht es mit der Bio-Versorgung traditionell mau aus. Haben Sie schon eine Vorstellung, was dort auf Sie zukommt?

Sanktjohanser: Die Zentralisierung der Supermärkte in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass auf dem Land vor allem Discounter präsent sind. Sie haben sich von kleinen Marktgrößen nicht abschrecken lassen. Hier Vielfalt zu platzieren und Kunden anzusprechen, die an den Discount gewöhnt sind, wird auf jeden Fall eine große Aufgabe. Dazu kommt noch der Kampf um Verkaufsflächen, der durch die Genehmigungsfähigkeit von Verkaufsstätten außerhalb von Oberzentren erschwert wird. Dabei haben wir die luxuriöse Situation, dass wir hier in der Gegend durch die Nähe zu Luxemburg eine größere Kaufkraft auf dem Land haben als durchschnittlich in Deutschland. 

bioPress: Sehen Sie momentan an den bestehenden Standorten Entwicklungspotenzial?

Sanktjohanser: Das ist von der Bevölkerungsstruktur abhängig unterschiedlich. Unser neuester Standort befindet sich zum Beispiel in einem angestammten Stadtteil von Trier, wo viele ältere, alleinstehende Menschen leben. Dort wird gerade viel Eigentum verkauft, saniert und von Familien bezogen – eine interessante Kundengruppe, sodass wir in den nächsten Jahren von einer positiven Entwicklung ausgehen. 

bioPress: Wie sieht es mit der Entwicklung im Bio-Sortiment aus. Ist in manchen Warengruppen noch Luft nach oben? Etwa beim Brot?

Sanktjohanser: Es gibt natürlich immer Entwicklungsmöglichkeiten im Sortiment. Wir können inzwischen in jeder Warengruppe etwas in Bio-Qualität anbieten. Manche Artikelgruppen sind allerdings so ‚un-Bio‘, dass es auch keinen oder nur einzelne Bio-Hersteller gibt, die sie produzieren, zum Beispiel Tütensuppen. Dabei kann man damit einen Überraschungseffekt erzielen und auch die nicht-klassischen Bio-Käufer erreichen, weil der Kunde hier kein Bio erwartet. Da müssen die Hersteller ran – und sind auch dabei. Auf der Biofach habe ich zum ersten Mal Bio-Instant-Nudeln entdeckt und gleich eingelistet. 

Beim Brot haben wir einen super Bäcker, der uns mit SB-Bio-Ware beliefert. Hier haben wir also bereits ein ausgewähltes Sortiment an allen Standorten. Die Vorkassenbäckerei wird daher von einem Handwerksbäcker aus der Region betrieben. So ist es in allen Sortimenten: Wir versuchen, das zu platzieren, was wir kriegen können, und möglichst zu jedem Artikel eine Bio-Alternative zu bieten. In manchen Bereichen ist das schwieriger als in anderen.

bioPress: Wie stehen Sie zu einer eigenen Bio-Vorstufe? Würde sie Ihnen Arbeit abnehmen?

Sanktjohanser: Eine gut funktionierende Vorstufe ist für uns Kaufleute essentiell. Neue Dinge ausprobieren und Sortimente zusammenstellen ist unser Job; die Beschaffung muss eigentlich über eine Vorstufe laufen, die uns sorgenfrei schlafen lässt. Hier haben wir auf Bio-Ebene auf jeden Fall Nachholbedarf. Bei Bio-Großhändlern bremst immer noch Fachhandelstreue die Entwicklung im LEH. Wer dreimal gegen verschlossene Türen läuft, klopft kein viertes Mal, auch wenn die Absage vielleicht schon zwei Jahre her ist. Außerdem haben wir im Fachgroßhandel ein Distributionsproblem. Regionen wie Trier, die kein Ballungsgebiet sind, liegen abseits der Standard-Lieferzone. 

bioPress: Sie werden mittlerweile von einem Bio-Großhändler beliefert. Wie zufrieden sind Sie mit dem Angebot?

Sanktjohanser: Mit unserem Bio-Großhändler haben wir inzwischen ein sehr gutes, partnerschaftliches Verhältnis. Wir haben lange genervt, bis er bereit war, uns zu beliefern, und sind dadurch viel im Gespräch gewesen.

Wenn ich auf der Messe einen interessanten Artikel entdecke, den er nicht gelistet hat, versuche ich zu vernetzen und setze mich dafür ein, dass eine Listung zustande kommt. Natürlich funktioniert das nicht immer – mit unseren drei Märkten haben wir beschränkte Abnahmemengen – wir können nur einen Impuls geben. 

Ein Bio-Großhändler alleine kann auch nicht alles abbilden, man muss immer offen sein für neue Bezugswege. Aktuell haben wir über 30 verschiedene Streckenlieferanten – mit den Winzern zusammen deutlich über 50.

bioPress: 30 Bezugswege gebündelt zu haben klingt nach einem Riesenvorteil. Sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten in diese Richtung?

Sanktjohanser: Das Schöne an der Bio-Branche ist, dass alle immer ein bisschen im Gespräch sind. Auch unter Händlern kann man gut kommunizieren und es gibt wertvollen Austausch. Das Problem: Wir sitzen hier in einer sehr gemütlichen Blase. Der Großteil des LEHs hat Bio nicht in dieser Intensität auf der Agenda. Es ist daher Aufgabe der Branche, sehr aktiv an den Lebensmitteleinzelhandel heranzutreten, um Bio weiter in die Breite zu bekommen.

bioPress: Strahlt Ihr Engagement auf Kollegen aus? Auf andere Edekaner, Reweaner und vielleicht auch die Vorstufe?

Sanktjohanser: Ja, der Effekt ist tatsächlich bemerkbar. Nach vielen kritischen Nachfragen in der Anfangszeit hat sich das Bild bei der Edeka-Vorstufe gewendet – nachdem wir mit Bio Wachstum erreicht haben. Ein gut drehender Artikel ist dann auch zentral gelistet. 

Es gibt auch viele aufgeschlossene, interessierte Händlerkollegen, die uns besuchen und in den Austausch kommen – besonders auf den Fachmessen. Ihnen können wir beratend zur Seite stehen. Das Bio-Ziel – 30 Prozent bis 2030 – können wir nur erreichen, wenn nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht, sondern alle zusammenwirken. 

bioPress: Sie selbst haben das 30-Prozent-Ziel schon erreicht. Haben Sie eine Vision für die Zukunft? 

Sanktjohanser: Seitdem wir 30 Prozent geschafft haben, sind wir tatsächlich etwas davon weggekommen, uns harte Zahlenziele zu setzen. Wir haben mit Bio jetzt eine Schwelle erreicht, an die sich der Kunde erst einmal gewöhnen muss. Bei uns gibt es deutlich mehr Bio-Impulse als woanders. Andere Händler müssen nun mitziehen und Bio weiter in die Breite tragen, damit wir irgendwann auch auf 40 oder 50 Prozent kommen könnten. Natürlich lebt der LEH auch in Zukunft von Vielfalt im Sortiment, ob wir also mal bei 30, 40 oder 50 Prozent Sortimentsanteil liegen, hängt auch stark von der Nachfrage unserer Kunden ab.

Ganz relevant für die Entwicklung ist es, dass wir in der Aus- und Weiterbildung vorankommen. Die Berufsschulen und Universitäten leisten dazu leider einen noch zu kleinen Beitrag. Der Lebensmitteleinzelhandel hat außerdem kein gutes Image, sodass junge Menschen sich erst gar nicht dafür interessieren. Dabei bietet er sehr spannende und vielfältige Jobs, die jeden Tag neue Herausforderungen bereithalten. Wir haben die Aufgabe, Menschen Essen beizubringen: Essen zubereiten, Essen wertschätzen, Lebensmittel verstehen. Nur so können wir auch Bio-Lebensmittel verkaufen. 

Ich selbst habe an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn Food Management studiert und war damit sehr zufrieden. Aber egal ob Berufsausbildung, Uni oder Duales Studium: Das Thema Bio fehlt in den Lehrplänen – ob es angesprochen wird, ist von den Dozenten abhängig.

bioPress: Die Kaufleute sind es nicht mehr gewohnt, Fragen nach den Lebensmitteln, die sie verkaufen, zu beantworten. Aber sind sie überhaupt für Aufklärungsarbeit verantwortlich? Sollte sich nicht die Vorstufe darum kümmern?

Sanktjohanser: Als Edeka-Einzelhändler investieren wir einen Teil unseres Umsatzes in das Marketing der Zentrale. Die Agenturen machen damit dann Kampagnen, die mir auch gut gefallen. Allerdings: Inhaltsmarketing verkauft nichts – zumindest nicht messbar so viel, wie es sollte, um im Wettbewerb neben den anderen Supermärkten zu bestehen. Das sehen wir zum Beispiel an denen, die das Marketing etwas reduzieren wollten und den Handzettel gestrichen haben. Ob sie die Lücke über andere Kanäle schließen können, ist fragwürdig. Ich bin sicher, dass die Handzettel bei dem einen oder anderen wiederkehren werden. 

Wir bei Edeka Quint haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Lücke der Mehrwertkommunikation zu schließen und die Kunden dafür auf unseren eigenen Kanälen direkt anzusprechen: gleichzeitig informativ und mit einem hohen Unterhaltungswert. Zum Beispiel gibt es humorvoll aufbereitete Videos von Hofbesuchen oder lustige Kochvideos, in denen wir die Artikel platzieren, die wir promoten wollen. 

Für einen Händler mit nur drei Märkten investieren wir da wirklich viel. Wie viel Wirkung wir erzielen, lässt sich nicht genau nachvollziehen: Der Effekt vom Video zur beworbenen Tomatenpassata ist schwer messbar. Wir bekommen aber eine wachsende Reichweite mit und werden von Kunden vor Ort auf die Inhalte angesprochen. Manche BWLer fänden den Aufwand vielleicht zu groß für den Ertrag, aber mir ist es das wert. Ich glaube, langfristig wird sich die Aufklärungsarbeit lohnen.

Interview: Erich Margrander 
und Lena Renner

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