Start / Ausgaben / bioPress 116 - Juli 2023 / Resilienz kann man säen

Nachhaltigkeit

Resilienz kann man säen

bioPress im Gespräch mit der Bio-Saatgutfirma Sementes Vivas

Resilienz kann man säen © pornthep_stock.adobe

Stefan Doeblin ist Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Saatgutvereins Lebende Samen e.V. und Gründer der portugiesischen Bio-Saatgutfirma Sementes Vivas – Living Seeds International. Im Interview mit bioPress weist er auf den Zusammenhang zwischen Saatgut, Landwirtschaft und Resilienz in unserer krisengeschüttelten Welt hin.

bioPress: Herr Doeblin, Bayer und Syngenta predigen, dass Bio dem Klima schadet und – insbesondere angesichts des Krieges in der Ukraine – zu mehr Hunger auf der Welt führen wird. Wie stehen Sie dazu?

Doeblin: Durch den Krieg Russlands in der Ukraine bewegt sich unsere Welt rückwärts: Während wir aufrüsten, werden die Klima- und Biodiversitätskrise und damit die Frage nach echter Resilienz nach hinten gedrängt. Dass Bayer und Syngenta den Krieg dafür nutzen, weiterhin den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Genom-Editing und High Tech als Allheilmittel für die Ernährung unserer Welt zu beschwören, empfinde ich als zu kurz gedacht und nicht nachhaltig.

bioPress: Inwiefern hat die biologische Landwirtschaft dem etwas entgegenzusetzen?

Stefan Doeblin

Doeblin: Wenn wir unabhängiger, krisenfester, ja resilienter sein wollen, brauchen wir eine Landwirtschaft, die mit weniger Ressourcen gesündere Nahrungsmittel produziert und dabei ohne künstliche Düngemittel und chemische Pestizide, ja generell ohne Schädigendes auskommt. Agrarchemie vergiftet nicht nur unsere Böden und unser Wasser, ihre Produktion ist auch sehr energieaufwändig und damit das genaue Gegenteil von zukunftsweisend. Biologische Landwirtschaft setzt hingegen darauf, fruchtbare, gesunde, humusreiche Böden aufzubauen, die Wasser und Nährstoffe speichern können. Besonders hilfreich ist dabei der Einsatz von Leguminosen, die Stickstoff aus der Luft im Boden binden. Diesen stellen sie den Pflanzen zur Verfügung und lockern gleichzeitig den Boden, sodass dieser noch mehr Wasser, CO2 und Stickoxide speichern kann.

bioPress: Das klingt plausibel – aber ist es nicht egal, welches Saatgut wir dafür verwenden?

Doeblin: Keinesfalls! Biologisches, samenfestes Saatgut kann von den Landwirten selbst vermehrt werden – und die biologische Züchtung erfolgt ohne chemische Keule. Um die Zukunft unserer Landwirtschaft und unserer Ernährung weder den großen Agrarkonzernen noch dem Zufall zu überlassen, brauchen wir gezielte, biologische Pflanzenzüchtung. Idealerweise findet diese partizipativ statt: Wenn Bio-Züchter, Bio-Landwirte und wissenschaftliche Institutionen Hand in Hand arbeiten, kann sichergestellt werden, dass zukunftsfähiges, vielfältiges, angepasstes Saatgut entsteht, das im Entstehungsprozess der partizipativen Züchtung gemeinsam verbessert wird. Ernährungssouveränität gelingt mit nachhaltigem, wiedererzeugbarem Saatgut.

bioPress: Wenn Bio-Züchtung so viele Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit hat, warum ist sie dann noch immer eine Randerscheinung?

Doeblin: Die Randerscheinung ist in voller Blüte, denn EU-weit soll bis 2030 auf 25 Prozent der Flächen ökologisch geackert werden. Die EU hat dazu mit dem Green Deal klare Zeichen gesetzt. Es gilt, hierfür auch ausreichend Bio-Saatgut zur Verfügung zu stellen. Dafür bedarf es enormer züchterischer Anstrengungen, denn noch gibt es zu wenig Bio-Saatgut in geeigneter Qualität, so dass Bio-Landwirte noch in 80 Prozent der Fälle konventionelles Saatgut verwenden.

bioPress: Warum ist denn genug Geld für immer neue Gentechnikmethoden, jedoch nicht für Bio-Züchtung da?

Doeblin: Konventionelle Saatgutkonzerne stecken im Durchschnitt 20 Prozent ihrer Umsätze in Forschung und Entwicklung neuer Sorten. Ihr Business-Modell basiert auf Patenten, Labor- und Gentechnik, um Saatguteigentum zu entwickeln, das nur ihnen gehört. Bio-Züchtung dient hingegen den Menschen, der Biodiversität, den Landwirten und den Gärtnern. Dadurch ist der Forschungsaufwand geringer, partizipativ und öffentlich. Kleine Firmen, die Saatgut auf biologische Art und Weise vermehren, haben für Forschung und Entwicklung nicht ausreichend finanzielle Spielräume. Folglich geschieht Bio-Züchtung viel auf gemeinnütziger, ehrenamtlicher Basis – zum Beispiel im Rahmen unseres Vereins Lebende Samen e.V. und durch öffentliche Fördermittel der EU.

bioPress: Das meiste Bio-Obst und -Gemüse stammt also nicht aus Bio-Saatgut. Kann die Politik nicht etwas dagegen tun?

Doeblin: Aktuell können Landwirte in der EU noch eine Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von konventionellem Saatgut erhalten. Diese Regelung läuft jedoch 2035 aus. Die Politik verkennt allerdings, dass die Entwicklung von biologischem Saatgut Zeit, Verpflichtung und Kontinuität braucht. Populistische Äußerungen und Handlungen, die der Lobby der chemischen Agrarkonzerne in die Hände spielen, helfen wenig. Ernsthafte Bemühungen, gleichzeitig die Entwicklung und Produktion von Bio-Saatgut zu fördern, sollten durch eine private, öffentliche Partnerschaftsinitiative beschleunigt werden.

bioPress: Blicken Sie eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft unserer Landwirtschaft?

Doeblin: Die gute Nachricht ist: Wir müssen uns nicht neu erfinden. Wir müssen nur konsequent auf mehr Bio setzen. Ich bin überzeugt: Resilienz kann man säen – indem wir uns wieder stärker mit der Natur verbinden, statt gegen sie zu arbeiten. Jeder Einzelne ist gefordert und die Hoffnung stirbt zuletzt.

 

Der gemeinnützige Verein Lebende Samen e.V. initiiert Forschungsprojekte in Südeuropa, die darauf abzielen, nahrhafte und resistente Bio-Pflanzen zu züchten. Um seine biologischen und biodynamischen Pflanzenzüchtungsprogramme, Schulungen, Netzwerkaktivitäten und Studien zu finanzieren, sammelt der Verein Spenden von Einzelpersonen, Stiftungen, nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission und freut sich stets über neue Mitglieder, die an eine nachhaltige Zukunft unserer Landwirtschaft glauben.
[ Artikel drucken ]


Das könnte Sie auch interessieren

Agrarministerkonferenz: Erklärung zum Kampf gegen Hunger

61 Nationen wollen eine nachhaltige Produktion und resiliente Lieferketten stärken

Agrarministerkonferenz: Erklärung zum Kampf gegen Hunger © BMEL

Bei der 16. Berliner Agrarministerkonferenz am vergangenen Samstag haben 61 Nationen eine Erklärung zum Kampf gegen Hunger unterzeichnet. Darin erkennen sie an, dass eine Transformation hin zu nachhaltigen und damit widerstandsfähigen Landwirtschafts- und Ernährungssystemen notwendig ist, um der Klima- und Biodiversitätskrise zu begegnen. „Das Recht auf Nahrung setzen wir nicht um, wenn wir nur auf Produktionssteigerung setzen“, so Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.

23.01.2024mehr...
Stichwörter: Saatgut, Nachhaltigkeit

Alb-Gold investiert in regionale Bio-Hartweizenprojekte

Züchtung und Anbau am Bodensee

Alb-Gold investiert in regionale Bio-Hartweizenprojekte © ALB-GOLD Teigwaren GmbH

Der schwäbische Nudelhersteller Alb-Gold will auch im Bio-Segment vermehrt auf regionale Zutaten setzen. Während die konventionelle Spätzle- und Nudelproduktion bereits zu 100 Prozent aus heimischem Getreide erfolge, bleibe die Rohstoffversorgung im Bio-Bereich eine Herausforderung: Hartweizen, die wichtigste Zutat für Nudeln, gedeihe im ökologischen Anbau in Süddeutschland unter schwierigen Bedingungen. Deshalb investiert das Familienunternehmen in zwei Projekte, die den Bio-Hartweizenanbau auf der Schwäbischen Alb und am Bodensee etablieren sollen.

22.08.2025mehr...
Stichwörter: Saatgut, Nachhaltigkeit

Simon Loos setzt auf Elektro-LKWs von Mercedes

Neuer eActros 600 verspricht Reichweite von 500 Kilometern

Simon Loos setzt auf Elektro-LKWs von Mercedes © Daimler Truck AG

Der niederländische Logistikdienstleister Simon Loos hat für den Lidl-Einzelhandelsvertrieb in den Niederlanden zwei batterieelektrische Sattelzugmaschinen von Mercedes-Benz Trucks in Betrieb genommen. Insgesamt hat das Unternehmen 75 eActros 600 bestellt und wird damit seine bestehende Elektro-LKW-Flotte verdoppeln.

11.07.2025mehr...
Stichwörter: Saatgut, Nachhaltigkeit