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Fokus Bio-Baustellen
Anuga Organic Forum beleuchtet Stellschrauben von Bio in Deutschland und der Welt

Was ist los mit Bio in den USA? Warum hört man eigentlich nichts von Russland? Und was kann Deutschland tun, um den Vorbildern Dänemark und Österreich zu folgen und beim Ziel von 25 Prozent Bio-Fläche in der EU mitzuziehen? Hochkarätige Referenten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutierten beim 11. Anuga Organic Forum des bioPress Verlags in sechs Sessions über die Bio-Entwicklung vor Ort und weltweit. Die Moderation organisierte Bernward Geier.
25 Prozent Bio-Fläche bis 2030: Wie Europa sein im Green Deal festgesetztes Ziel erreichen kann, wurde beim Anuga Organic Forum 2021 von verschiedenen Seiten beleuchtet. „Die Umsetzung ist schwieriger als der Beschluss“, brachte es Martin Häusling, langjähriger Bio-Bauer und Europaabgeordneter für die Grünen, auf den Punkt. „Die Nicht-Kompatibilität mit der GAP (Gemeinsame Europäische Agrarpolitik) ist ein großes Desaster!“, klagte Sarah Wiener, die für die österreichischen Grünen im Europa-Parlament sitzt. Und Tina Andres, neue Vorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), warnte mit Blick auf die Umsetzung der GAP in Deutschland, die Eco-Schemes dürften auf keinen Fall auf eine Minderung der Bio-Förderung hinauslaufen.
Fast größere Schwierigkeiten als dabei, Bauern zur Umstellung zu bewegen, sieht Häusling in fehlenden Vermarktungsstrukturen, die im ländlichen Raum wieder etabliert werden müssten. Es gebe immer weniger Metzger und Bäcker und die Landwirte bräuchten verlässliche Abnahmegarantien. Über Handelsgesellschaften könnten die Lücken zwischen Bauern und Verbrauchern geschlossen werden.
Vorbilder Dänemark und Burgenland
„Ziele sind gut, Taten sind besser“, meinte Paul Holmbeck, der als Direktor von Organic Denmark den Bio-Aufschwung Dänemarks begleitet hat und heute als selbstständiger Bio-Berater tätig ist. Mit einer effizienten Push-und-Pull-Strategie hat es die dänische Politik zum höchsten Bio-Marktanteil weltweit gebracht. Push für die Landwirte durch Übernahme der Zertifizierungskosten oder Konvertierungs-Checks, die zeigen wie ein Betrieb als Bio-Hof aussehen würde; Pull durch Marketing, Markt- und Exportförderung. „Bio ist in Dänemark ‚folkely‘, also volksnah, geworden“, so Holmbeck. Über den Dialog mit allen Interessenvertretern, Landwirten, Umweltorganisationen und Gewerkschaften, sei es gelungen, ein politisches Ökosystem für Bio zu schaffen.
Ein anderes Vorzeigemodell wurde im österreichischen Burgenland gestartet: Marina Aigner, Bio-Landeskoordinatorin beim Amt der burgenländischen Landesregierung, erzählte, wie das kleine Land mit seinen knapp 300.000 Einwohnern bis 2027 ganze 50 Prozent Bio-Anbau erreichen will. Aktuell liegt die Fläche bei 37 Prozent, eine Studie des Forschungsinstituts biologischer Landbau (FiBL) hat das Vorhaben des Burgenlands als machbar bewertet. Um das Ziel zu erreichen, will die Bio-Genossenschaft Burgenland dafür sorgen, dass öffentliche Küchen ausreichend mit Bio beliefert werden können. Das regionale Gütesiegel ‚Genuss Burgenland‘ wurde auf Bio-Genuss umgewandelt, zwei Landwirtschaftliche Fachschulen wurden bereits komplett auf Bio umgestellt und neue Bio-Betriebe erhielten eine finanzielle Förderung.
„Von so etwas ist Brüssel meilenweit entfernt“, bedauerte Häusling. Im Agrarausschuss der EU sei es eine Herkulesaufgabe, gegen den massiven Widerstand der Konservativen zu arbeiten. Für Bayer, Monsanto, BASF und Co wäre die Abkehr von Pestiziden – die kurz vor der Anuga in einer erfolgreichen europäischen Bürgerinitiative gefordert wurde – ein Verlustgeschäft, und die etablierten Kräfte würden alles dafür tun, es zu verhindern.
„Dabei sind die Menschen bereit, Bio zu kaufen!“, betonte der Grünen-Abgeordnete Harald Ebner mit Blick auf das Bio-Marktwachstum im Corona-Jahr. Das Vertrauen der Verbraucher dürfe die Kommission nicht aufs Spiel setzen, indem sie jetzt neue Gentechnik dereguliert. Stattdessen brauche es „Forschung Forschung Forschung!“ im Ökolandbau, und verbesserte Lehr- und Beratungsangebote.
Verbraucherund Hersteller als Bio-Treiber
„Die Transformation der Köpfe ist die allerschwierigste Aufgabe“, meinte bioPress-Herausgeber Erich Margrander. Der Mensch sei ein Gewohnheitstier und ohne die Verbraucher habe Bio keine Chance. Das bioPress-Magazin habe die Branche schon in den 90er Jahren dabei unterstützt, Bio aus der Nimbus selbstkasteienden Verzichtsecke zu holen und mit ‚Lust auf den besseren Geschmack‘ für den Mainstream kompatibel zu machen. Um Bio dort noch weiter zu verankern, müsse man die Kaufleute ins Boot holen, da sie Bio-Produkte als Vermittler flächendeckend zu den Konsumenten bringen können.
Aber auch die Bio-Unternehmen sind Treiber der Transformation. Volker Krause, Inhaber des Getreide-Verarbeiters Bohlsener Mühle, führte aus, wie die meist kleinen oder mittleren Bio-Betriebe durch authentische und transparente Marken ein Bindeglied zwischen Verbrauchern und Landwirten herstellen, wie sie durch Diversifizierung und Flexibilität trotz Wettbewerbsnachteilen am Markt bestehen können und welchen Beitrag sie für gesunde Ernährung, Umwelt und regionale Entwicklung leisten. Zum Ausgleich der betriebswirtschaftlichen Nachteile wünscht er sich eine Aufwandsvergütung und die Einpreisung externer Kosten. Eine Gemeinwohlprämie, die nach objektivierbaren Parametern bemessen wird, könnte dafür sorgen, dass Umweltleistungen als rationale Faktoren in die Entscheidungen von Unternehmen integriert werden.
„Wenn wir die Gemeinwohlleistungen von Bio entkoppeln, dann sind die Produkte auch nicht mehr so teuer“, meinte auch Hardy Vogtmann, der an der Universität Kassel als erster Professor weltweit einen Lehrstuhl für ökologischen Landbau innehatte. Wirtschaftswachstum dürfe nie auf Kosten der nächsten Generationen gehen.
Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Ernährungspolitik, wünscht sich eine Debatte über die Neuausrichtung des Wirtschaftssystems, während der man aber bereits einzelne Stellschrauben verändern müsse. „Menschen haben ein Recht auf gesunde und nachhaltig hergestellte Lebensmittel!“, betonte sie und forderte allgemein einen höheren Stellenwert von Lebensmitteln in der Politik. Ein wichtiger Punkt sei dabei auch, die ‚foodscape‘, die Ernährungsstrategien für die Städte nicht zu vergessen. Die Ausschreibungskriterien der Gemeinschaftsverpflegung müssten auf die richtigen Ziele ausgerichtet sein.
Nachfragesäule AHV
Auch hierbei kann Dänemark ein Vorbild sein. Schon 2012 hat die dänische Regierung das Ziel von 60 Prozent Bio in der öffentlichen Außer-Haus-Verpflegung beschlossen. In Kopenhagen liegt der Bio-Anteil bereits heute bei 90 Prozent. Paul Holmbeck erklärte, wie das ‚Organic Cuisine Label‘, mit dem Restaurants in drei Stufen ihren Bio-Anteil hervorheben können, Bio zum Aushängeschild gemacht hat. Das Küchenpersonal habe über die Umstellung und das damit einhergehende Wissen, wie man mehr selbst, mit weniger Convenience und weniger Fleisch kocht, an Ansehen in der Gesellschaft gewonnen. Außerdem sei das Label auch ein starkes Dokumentationstool, mit dem Städte sehen können, wie weit ihre Restaurants beim Thema Bio sind.
Nach dem Beispiel von Kopenhagen hat Patrick Wodni in Berlin die Kantine Zukunft ins Leben gerufen, die sich dafür engagiert, Küchen auf einen Bio-Anteil von mindestens 60 Prozent zu bringen. Das mittlerweile elfköpfige Projektteam arbeitet aktuell mit über 60 Küchen von zwölf verschiedenen Trägern zusammen, berät Köche vor Ort, stellt Kontakt zu Landwirten her und versucht, individuelle Lösungen für die jeweiligen Budgets und Rahmenbedingungen zu finden.
Dr. Nina Wolff, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, wünscht sich nicht nur einzelne Projekte, sondern eine umfassende Ernährungsstrategie für Deutschland. Die verschiedenen Ministerien für Ernährung, Landwirtschaft, Bildung und Umwelt müssten daran gemeinsam beteiligt sein. „Hoffentlich ist es noch kurz vor 12 und hoffentlich ist die neue Regierung ein Gewinn für die Ernährung in Deutschland.“
Weg zurück zu echtem Bio
Was sich außerhalb Europas in Sachen Bio tut, war Gegenstand von zwei Forum-Sessions über die USA und Russland. Schon seit 40 Jahren ist Dave Chapman in den Vereinigten Staaten als Bio-Bauer tätig – also lange bevor das offizielle amerikanische USDA-Siegel eingeführt wurde. Mit diesem gibt es aber in den letzten Jahren zunehmend Probleme: Hydroponik-Produkte und solche aus Massentierhaltung werden ganz offiziell Bio-zertifiziert; die Betrugsfälle bei importiertem Getreide häufen sich. „So etwas hätten wir uns früher nie vorstellen können“, bedauerte Chapman.
Über drei Viertel der jetzigen Bio-Eier hätten mit einer schon vor langem geplanten Bio-Reform, die Trump verhindert hat, ihr Zertifikat verloren. Wegen falschen Subventionen werde es immer teurer, Kühe auf der Weide zu halten und ihr Futter selbst herzustellen. Billige Getreideimporte aus Zentral- und Osteuropa drückten die Getreidepreise im Inland und führten zu Betrug. „Es ist ein verrücktes System!“ Das Real Organic Project, das Chapman als Vorstand koordiniert, stellt sich dieser Entwicklung entgegen und hat mittlerweile 850 Farmen mit seinem eigenen Zusatzlabel zertifiziert, das die Einhaltung der ursprünglichen Bio-Prinzipien garantiert.
Dass gesunder Boden als Grundlage für gesunde Lebensmittel dazugehört, darüber waren sich alle Referenten des Panels einig. Der globale Bio-Verband IFOAM sieht in seinen Prinzipien von Gesundheit, Ökologie, Fairness und Fürsorge keinen Platz für Hydroponik, wie Geschäftsführerin Louise Luttikholt klarmachte. „Wie das Leben im Boden mit dem Mikrobiom in Lebensmitteln zusammenhängt, wird gerade erst erforscht“, erklärte der langjährige Bio-Landwirt Bob Quinn aus Montana. Verbraucher müssten die Wahlfreiheit behalten und über die Produktionsart ihres Einkaufs Bescheid wissen. Ein neues Label wie ‚grüne Hydroponik‘ sei dafür denkbar – „aber nicht Bio!“
Sollte die EU als Handelspartner nicht Druck auf die USA ausüben, um eine Änderung in deren Bio-Produktion zu bewirken?, warf Moderator Bernward Geier als Frage auf. Quinn und Chapman bejahten das. Die billigen Produktionsmöglichkeiten der Hydroponik stellten eine Gefahr für den gesamten Weltmarkt dar. Manche Erzeugnisse wie etwa Heidelbeeren landeten wahrscheinlich bereits in der EU. Auch in Australien gebe es vermehrt Versuche zum Hydroponik-Anbau. Auf der anderen Seite exportierten Produzenten aus Holland und Mexiko ihre bodenlose Ware in die Vereinigten Staaten, um sie dort als Bio zu verkaufen. „Die USA wird zum Abfalleimer der Bio-Produkte“, klagte Chapman. Deshalb wünscht er sich von der EU eine klare Haltung gegen Hydroponik. „Wir sind auf dem richtigen Weg, halten wir zusammen“, appellierte Quinn an die Bio-Gemeinschaft.
Flächenpotenziale nutzen
Zur globalen Zusammenarbeit und Vernetzung wurde auch beim Russland-Panel aufgerufen. Erst 0,3 Prozent der Agrarfläche wird dort von Bio-Bauern bewirtschaftet. Aber selbst hinter diesem geringen Anteil stecken schon 675.000 Hektar – und ein Wachstum von über 1.000 Prozent in den letzten zehn Jahren. „Da tut sich was abseits vom Rampenlicht!“, kommentierte Markus Arbenz aus der EasyCert-Geschäftsleitung, der die Session als ehemaliger IFOAM-Direktor moderierte.
Von Anfang an bei der Entwicklung dabei war Ilya Kaletkin, Mitgründer des Nationalen Bio-Verbands von Russland (NOU) und des Bio-Landwirtschaftsunternehmens Biosfera. „Früher wurden fast alle Bio-Produkte exportiert“, erinnerte sich Kaletkin. Auch lebten die wenigen Bio-Betriebe sehr weit voneinander entfernt und seien nicht gut miteinander vernetzt gewesen. Jetzt gebe es zunehmend mehr Kooperation und auch die Nachfrage von russischen Verbrauchern steige. Erst am 1. Januar 2020 ist in Russland das ‚Gesetz über Bio-Lebensmittel‘ in Kraft getreten, das Bio definiert, Hersteller zur Bio-Zertifizierung berechtigt und Regeln für Produktion, Verarbeitung und Verkauf von Bio-Produkten aufstellt.
Außerdem ist darin die Einrichtung eines einheitlichen Registers aller Bio-Hersteller vorgesehen. „Das Gesetz ist im Wesentlichen eine Übersetzung des europäischen Standards“, meinte Kaletkin. Es befinde sich aber noch in einem frühen Stadium und müsse weiter ausgearbeitet werden.
Bisher beruhen Zahlen zum russischen Bio-Sektor noch auf Schätzungen. Es gebe demnach aktuell etwa 110 Bio-Farmen in Russland, mit einer durchschnittlichen Größe von 6.000 Hektar, dazu 26 Bio-Verarbeiter. Auf einer Fläche von über 130.000 Hektar würden außerdem Nüsse und Beeren ökologisch wildgesammelt. Etwa ein Viertel der Farmen hat bisher nur die russische Zertifizierung und nicht das EU-Bio-Logo.
Vertrauen gewinnen und zusammenarbeiten
Für 50.000 Hektar der bewirtschafteten Bio-Fläche ist Stefan Dürr verantwortlich. Sein großer Milchbetrieb Ekoniva hat heute einen Bio-Anteil von über acht Prozent. „Es ist leicht, mit Bio in die Regale zu kommen“, so Dürrs Beobachtung. Die Händler sähen es als Wettbewerbsvorteil und seien interessiert. Nur: „Keiner kauft es.“ Dabei seien die Leute in Russland eigentlich gesundheitsbewusst und nähmen Umweltschutz wichtig. Dürr wünscht sich daher Unterstützung dabei, Bio bekannter und beliebter zu machen – von Händlern, aber auch ausländischen Firmen, die damit bereits Erfahrung haben. Außer dem LEH setzt Ekoniva jetzt auch auf Coffeeshops als Kommunikatoren, um Konsumenten für Bio zu erreichen.
Kaletkin sieht mit seinem kleineren, reinen Bio-Unternehmen weniger Schwierigkeiten in der Vermarktung. Alle Produkte, vor allem Getreide für Müsli und Wodka-Hersteller, fänden Abnehmer am russischen Markt. Von Anfang an habe Biosfera eine Konsumentengruppe aufgebaut, die seinen Produkten mit dem EU-Bio-Siegel vertraut.
„Russland hat aufgeholt“, meinte Bernward Geier, der den Beginn der Bio-Entwicklung als IFOAM-Direktor Anfang der 90er Jahre mitverfolgt hatte. „Früher musste man Bio mit der Lupe suchen, jetzt findet man es schon im Supermarkt.“ In der riesigen verfügbaren Fläche sieht er das größte Potenzial, das ihm als global vernetzter Bio-Experte je in einem Land begegnet ist. „Lasst uns nicht nur hinschauen – lasst uns aktiv werden und zusammenarbeiten!“, rief er auf. „Kommt gerne nach Russland!“, wandte sich auch Kaletkin an interessierte Unternehmer. Der Nationale Bio-Verband werde dabei helfen, Distributeure und Partner zu finden.
Lena Renner