Agrarpolitik
Neue Gentechnik: EU-Parlament stimmt für Kennzeichnung
Deregulierung mit Zugeständnissen
Das EU-Parlament hat gestern über den Vorschlag zur Deregulierung Neuer Gentechnik (NGT) abgestimmt. Nach zahlreichen Änderungen wurde der Kommissionsentwurf mit 307 zu 263 Stimmen bei 41 Enthaltungen angenommen. Wichtig für den Verbraucherschutz: Eine Kennzeichnung ist nun bis zum Endprodukt vorgesehen. Patente sollen für alle NGT-Pflanzen verboten sein, eine gesonderte Risikoprüfung soll allerdings für die meisten wegfallen.
Im Zentrum des Kommissionsentwurfs steht die künftige Unterscheidung von NGT-Pflanzen in zwei Kategorien, wobei die erste als ‚gleichwertig‘ zu konventionell gezüchteten Pflanzen angesehen und daher von den geltenden Vorschriften der EU für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ausgenommen werden soll. Dazu gehört ein Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung.
Grundlage der Abstimmung im Parlament war nun eine Vorlage der konservativen Berichterstatterin Jessica Polfjärd, die der Umweltausschuss am 24. Januar beschlossen hat. In Abgrenzung zu diesem Entwurf gibt es aber einige Änderungen, darunter Verbesserungen in puncto Transparenz und Rückverfolgbarkeit.
Auf Antrag von Sozialdemokraten und Grünen wurde eine Kennzeichnungspflicht für sämtliche NGT-Erzeugnisse auch der privilegierten Kategorie 1 in den Verordnungstext aufgenommen: nicht nur wie von der Kommission angedacht auf Saatgutebene, sondern auch für die Pflanzen selbst sowie für Endprodukte, die NGT 1-Pflanzen enthalten. ‚Neuartige genomische Verfahren‘ soll dann auf dem Etikett stehen. Die Informationen zu NGT-Bestandteilen müssten entlang der Produktionskette gespeichert und übermittelt werden.
Keinen Fortschritt gab es mit Blick auf das Vorsorgeprinzip: Das Parlament lehnte den Vorschlag des Umweltausschusses ab, dass NGT 1-Pflanzen vor ihrer Anerkennung einen Sicherheitscheck im Labor durchlaufen müssen. Stattdessen wurde immerhin neu die Möglichkeit eingeführt, eine einmal ausgesprochene Anerkennung als NGT 1-Erzeugnis zu widerrufen, wenn sich die Datenlage ändert und sich unerwartete Risiken zeigen.
Ebenfalls nicht durchsetzen konnte sich ein Antrag, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet hätte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das unbeabsichtigte Vorhandensein von NGT-Pflanzen oder -Rückständen zu vermeiden. Zumindest aber soll es für die Mitgliedstaaten erlaubt bleiben, nationale Koexistenzmaßnahmen zu ergreifen, um die Integrität der gentechnikfreien Produktion zu schützen. Änderungsanträge, die dies verhindert hätten, wurden abgelehnt.
Was die Patentfrage angeht, so sprach sich das Plenum wie schon der Umweltausschuss für ein vollständiges Verbot von Patenten für alle NGT-Pflanzen, Pflanzenmaterial, genetische Informationen und Verfahrensmerkmale aus. Hierdurch sollen Rechtsunsicherheiten, erhöhte Kosten und neue Abhängigkeiten für Landwirte und Züchter vermieden werden.
Kritik von Bios und Grünen: Hauruck-Verfahren und Fahrlässigkeit
Von Umwelt- und Verbraucherschützern gab es als Reaktion auf die Abstimmung zwar Lob für die Fortschritte in puncto Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit sowie das klare Bekenntnis gegen Patente, jedoch auch heftige Kritik für die nach wie vor geplante Abschaffung einer gesonderten Risikoprüfung bei NGT 1-Pflanzen sowie Widersprüche beim tatsächlichen Schutz vor Patenten.
Als „Einstieg in die menschengemachte Evolution 2.0“ bezeichnet Bernd Rodekohr von der Aurelia Stiftung die Entscheidung des Parlaments. „Kein Labor, kein Forschender, kein Saatgutmulti kann vorhersagen, was passieren wird, wenn mit neuartiger Gentechnik veränderte Pflanzen ohne Risikoprüfung und Rückholbarkeit auf Abermillionen Hektaren europäischer Äcker ausgebracht werden.“
„Obwohl mit NGT tiefgreifende Veränderungen in Pflanzen ausgelöst werden können, deren Konsequenzen für Mensch und Umwelt weitgehend unbekannt sind und gravierend sein können, will die Parlamentsmehrheit die Risikoprüfung von NGT-Pflanzen abschaffen und die ökologische und gentechnikfreie Produktion nicht durch Koexistenzregelungen schützen“, kommentiert Tina Andres, Vorstandesvorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling bemängelt, das Parlament habe in einem „Hauruck-Verfahren“ ohne ausreichende Konsultationen den Weg für „höchst bedenkliche Regelungen und fahrlässigen Umgang mit Neuer Gentechnik“ frei gemacht. Auch die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl kritisiert, es könnten nun bald genmanipulierte und potentiell umweltschädliche Pflanzen ohne Risikoprüfung auf die Teller der Verbraucher kommen.
Für Jan Plagge, Präsident des Bio-Dachverbands IFOAM Organics Europe, steckt der neue Vorschlag voller Widersprüche und bietet noch keine konkreten Lösungen, um Züchter und Landwirte vor Patenten zu schützen.
„Es liegt noch kein tragfähiger Vorschlag vor, der den Interessen von Landwirtschaft, Verbraucherinnen und Verbrauchern und Lebensmittelwirtschaft gerecht wird“, meint auch der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. „Weiterhin sind viele zentrale Fragen ungeklärt: Stichworte Koexistenz, Wahlfreiheit, Patente.“ Es gelte nun, sich in Ruhe mit diesen komplexen Themen auseinanderzusetzen. „Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit.“
Entscheidung vor EU-Wahlen unwahrscheinlich
Bevor die Trilog-Verhandlungen beginnen können, muss sich nun noch der Rat der Europäischen Union auf eine gemeinsame Position einigen. Ein erster Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft zu Neuer Gentechnik erlangte im Dezember keine qualifizierte Mehrheit. Die seit Januar amtierende belgische Ratspräsidentschaft hat den Entwurf bisher allerdings nur leicht abgeändert und die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten signalisierten bei ihrem gestrigen Treffen weiterhin nicht die erforderliche Mehrheit. Uneinigkeit herrsche vor allem über die Frage der Patentierung. Sollte in den nächsten Tagen keine Einigung erreicht werden, gilt es als unwahrscheinlich, dass das geplante Deregulierungsgesetz noch vor den EU-Wahlen im Juni verabschiedet wird.