Agrarpolitik
Neuer Gentechnik-Vorschlag von Polen in der Kritik
VLOG veröffentlicht Gutachten zu Haftungsrisiken der Lebensmittelwirtschaft
Am 7. Januar hat Polen kurz nach Übernahme seiner Ratspräsidentschaft EU-intern einen neuen Vorschlag zur Deregulierung Neuer Gentechnik vorgelegt, der am 20. Januar in der Ratsarbeitsgruppe beraten werden soll. Mitgliedstaaten sollen demnach die Möglichkeit haben, den Anbau patentierter NGT-Pflanzen auf ihrem Hoheitsgebiet ganz oder teilweise zu verbieten. Die zentralen Fragen wie Kennzeichnung, Risikoprüfung, Haftung und Koexistenz blieben jedoch ungelöst, kritisieren Verbände.
Polen hatte sich wie Deutschland bisher bei den Abstimmungen zum Kommissionsvorschlag über die Deregulierung Neuer Gentechnik enthalten und dies vor allem mit Blick auf unzureichende Regelungen beim Thema Patente begründet. Laut seines Programms für die Ratspräsidentschaft habe es für den EU-Mitgliedstaat hohe Priorität, im nächsten halben Jahr eine Einigung zur NGT-Verordnung zu erzielen. Bislang wurde diese noch nicht im EU-Trilog diskutiert, da sich der EU-Ministerrat nicht mit qualifizierter Mehrheit auf eine gemeinsame Position verständigen konnte.
Für die Gentechnikfrei-Branche stellt der neue Vorschlag allerdings keinen Fortschritt dar. Auch die neuen Regeln zu Patenten sind für den Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) eine „absolute Scheinlösung“ und für den Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) „wenig überzeugend, kaum praxistauglich und nicht rechtssicher“.
Jenseits des Themas Patente habe die polnische Ratspräsidentschaft keinen der vielen Kritikpunkte von Mitgliedstaaten am NGT-Vorschlag der EU-Kommission aufgegriffen. „Eine vollständige Kennzeichnung und Risikoprüfung auch für alle Arten neuer Gentechnik fehlt weiterhin, genauso wie funktionsfähige Regelungen zu Haftung und Koexistenz“, kommentiert der VLOG-Pressesprecher Sönke Guttenberg. Der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der sich zum Schutz des gentechnikfreien Markts bekannt hat, dürfe dem Vorschlag nicht zustimmen.
„Wie können Bio-Bäuerinnen, die zur Gentechnikfreiheit verpflichtet sind, dies künftig nachweisen – und wer kommt für die Laborkosten auf? Die ökologische Lebensmittelwirtschaft braucht die Rückverfolgbarkeit von Gentechnik vom Acker bis zum Teller. Dies ist erwiesenermaßen auch der Wunsch von Verbraucherinnen und Verbrauchern“, betont die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres.
Lebensmittelunternehmen tragen Haftungsverantwortung
Mit einem neuen Rechtsgutachten der Berliner Kanzlei GGSC zeigt der VLOG, wie Sicherheitsprüfung und Haftungsrisiken für NGT-Pflanzen und die daraus gewonnenen Produkte von Biotechnologie-Firmen auf die Lebensmittelwirtschaft verlagert werden.
„Die Gentechnik-Pläne der EU-Kommission sind nicht etwa ,wirtschaftsfreundlich‘, wie oft behauptet. In Wahrheit verschiebt die Kommission Kosten und Risiken höchst unfair von einem Wirtschaftsbereich auf einen anderen. Das ist völlig untragbar und kann zu einem großen Problem für die gesamte EU-Lebensmittelbranche, nicht nur für den Bio- und den ‚Ohne Gentechnik‘-Sektor werden“, erklärt Christoph Zimmer, VLOG-Vorstandsmitglied und Geschäftsführer von Bioland Baden-Württemberg.
Dem Gutachten zufolge haften Lebensmittelunternehmen für fehlerhafte Produkte – auch für solche, die mit Neuer Gentechnik hergestellt wurden, während das EU-Gentechnikrecht für Biotechnologiefirmen keine speziellen Haftungsregeln enthält. Es gebe zudem keine Versicherung, die Gentechnik-Risiken für Lebensmittelproduzenten abdecke.
Weil der Vorschlag der EU-Kommission zu Neuer Gentechnik nur eine Kennzeichnung für Saatgut, nicht aber für Lebensmittel vorsieht, könnten Lebensmittelunternehmen außerdem ohne ihr Wissen Inverkehrbringer von NGT1-Produkten sein und so gegen die Novel-Food-Verordnung verstoßen, der die Erzeugnisse anstelle des Gentechnikrechts künftig unterliegen sollen.