Rohstoffe
Kein Ende in Sicht: Rohstoffkrise belastet Bio-Lieferanten
Preisexplosion und Lieferstau durch Pandemie und Klimawandel

Inzwischen sind die Probleme beim Endverbraucher angekommen: Vor Weihnachten bangten viele Konsumenten um Geschenkebestellungen und die letzte Zutat zum Festessen. Die Pandemie, lange Transportstaus und die Klimakrise stellen Rohstofflieferanten aus Übersee jetzt seit über einem Jahr vor große Herausforderungen. Der Bio-Markt mit seinen kleineren Mengen und allgemein hohem Preisniveau ist von den Lieferengpässen und immer höheren Preisen besonders betroffen.
Die Schwierigkeiten machen sich in der gesamten Lieferkette bemerkbar: von Importeuren zu Verarbeitern und Produzenten bis hin zu den Konsumenten. Einer der Leidtragenden ist Taj Food, einer der größten Produzenten von pakistanischen Bio-Waren. Reis, Trockenfrüchte und Saaten exportiert das Unternehmen von Anbauern aus der ostpakistanischen Provinz Punjab und dem Hunzatal im Himalaya. In den letzten zwei Jahren hatten die Erzeuger dort mit neuen Wetterextremen zu kämpfen.
„Dieses Jahr kam der Regen zu früh und wir hatten Ernteverluste von zehn bis 20 Prozent“, erzählt Hassieb Kadeer, der den Vertrieb in die USA verantwortet, vom Unternehmenssitz in New York aus. Normalerweise rechnen die Bauern in Pakistan mit hohen Niederschlagsmengen im November und Dezember – jetzt fällt der Regen schon im September und Oktober. „Die Landwirte wollen es nicht wirklich wahrhaben“, so Kadeer. Seit 30 Jahren hätten sie ihre Anbauroutine nicht verändert und seien daran gewohnt, hin und wieder Ernteschäden in Kauf nehmen zu müssen. „Wir versuchen sie zu ermutigen, ihre Gewohnheiten zu verändern und später mit dem Anbau zu beginnen oder frühzeitige Schutzmaßnahmen zu treffen.“
Auch die Lagerung wird durch die Wetterlage erschwert: Die Ware muss vor Feuchtigkeit bewahrt werden, zu langsame Reaktionen können zu weiteren Verlusten führen. „Aber das haben wir inzwischen ganz gut in den Griff bekommen.“
Dass es mit einer Änderung der Anbauroutine nicht unbedingt getan ist und auch Rohstoffe aus Deutschland betroffen sind, zeigt sich beim Kartoffel-Verarbeiter Nähr-Engel. „Die letzten zwei Jahre hatten wir Dürre, dieses Jahr Regen“, berichtet die Vertriebsleiterin Anne Masteau. Mit verschiedenen Sorten versuchten die Landwirte sich auf die Bedingungen einzustellen, aber durch die gegensätzlichen Wetterextreme sei dies sehr schwierig.
„Einen Kleinbauern in der Dritten Welt, der vom Export seiner Feldfrüchte leben muss, trifft das natürlich viel härter als unsere dienstleistungsorientierte Gesellschaft“, meint Linda Demuth, Assistenz der Geschäftsführung von Ziegler Organics, Importeur von Pseudogetreiden, Hülsenfrüchten und Saaten aus Südamerika, Europa und Asien. Durch faire Partnerschaft, Vorfinanzierung, Abnahmegarantien und garantierte Erzeugerpreise will Ziegler den Landwirten dabei helfen, die Schwankungen zu tragen.
Logistikkollaps weltweit
Noch gravierender als die Ernteverluste stellt sich für die Importeure von Überseeprodukten die Logistiksituation dar: Der Transport ist teurer geworden als die Ware selbst.
„Die Container kosten inzwischen fast 10.000 Euro mehr: 15.000 statt 5.000“, klagte Ton Geluk, Leiter des internationalen Handels bei Nutland, holländischer Importeur von Nüssen und Trockenfrüchten, bei der Anuga im letzten Oktober. Dazu komme die Unzuverlässigkeit der Lieferungen insgesamt. Bei einem Container, der eigentlich für den nächsten Monat geplant ist, sei mit drei bis vier Monaten Verspätung zu rechnen – „oder er kommt gar nicht.“
Kadeer offenbart für seine Transportkosten, Stand Januar 2022, noch drastischere Zahlen: „Eine Containerfracht nach Hamburg kostet normalerweise 700 Dollar – aktuell sind wir bei 6.000 Dollar“, Der Preis für die Lieferung in die USA liege sogar doppelt so hoch. Im letzten Jahr seien die Transportkosten höher und höher geworden.
„Das ist eine riesige Last für die Hersteller und Importeure“, so Kadeer. Sie müssen die höheren Preise und Verspätungen dem Handel kommunizieren, der selbst nicht direkt damit konfrontiert ist. Viele Händler versuchten, die Preise zu umgehen, indem sie selbst bessere Verträge bei einem Frachtunternehmen ergattern. Am Ende seien aber alle mit denselben Problemen konfrontiert und selbst marktmächtige Handelskonzerne kämen nicht um Preisaufschläge herum.
Weltweit war der Warenverkehr schon im ganzen letzten Jahr von einer nie dagewesenen Containerknappheit betroffen. Die globale Logistik ist eingebrochen, die Prozesse stauen sich bis hin zum Endverbraucher. 2021 erreichte fast kein Frachtschiff seinen Zielhafen im Zeitplan. Im September klagten laut Ifo-Institut drei Viertel der Einzelhändler in Deutschland über Lieferprobleme.
Der globale Stillstand und die Lockdowns und Blockaden durch die Pandemie häuften sich zu Staus, die erst über Monate hinweg wieder abgebaut werden können. Bei einem Corona-Ausbruch in China werden als Quarantänemaßnahme immer noch ganze Häfen dichtgemacht, Frachten dadurch über Wochen zurückgehalten. Auch die tagelange Blockade des Suezkanals durch das festsitzende Containerschiff ‚Ever Given‘ im März 2021 hat sich weltweit bemerkbar gemacht.
Gewinner der Krise sind Schifffahrts- und Logistikunternehmen. Die französische Reederei CMA CGM hat für 2021 Quartalsergebnisse mit einem Nettogewinn von über 2.000 Prozent mehr als im Vorjahr und ein Umsatzplus von über 75 Prozent angegeben, Tendenz weiter steigend. Die Nachfrage ist hoch wie nie und ermöglicht dem Unternehmen jetzt neue Investitionen in Industrieanlagen und den Flottenausbau.
„Die Profitgier kennt keine Grenzen“, klagt Kadeer. Immer wenn die Importeure glauben, den Zenit erreicht zu haben, werden die Preise weiter angehoben. Auf Hilfe seitens der Regierungen warten die Lieferanten bisher vergeblich.
Was ist mit dem Gütertransport auf der Schiene als Ausweichmöglichkeit zum Schiff? „Das haben wir überlegt, aber durch die unterschiedlichen Gesetze in den verschiedenen Ländern und wegen Sicherheitsproblemen ist es für uns keine gute Alternative“, erklärt Kadeer.
Bio-Treue bei 100 Prozent Aufpreis?
Die Folgen von alldem kommen auch bei den Konsumenten an: Jeden Monat stiegen die Produktpreise um mindestens zehn Prozent – das bedeutet eine Verdoppelung innerhalb von weniger als einem Jahr.
„Die Konsumenten in Deutschland werden nicht bereit sein, einen Aufpreis von 100 Prozent zu zahlen“, meint Anabela Alves, die als Inhaberin des Hamburger Verkaufsbüros Anabela Foods für den Vertrieb der pakistanischen Bio-Ware in Europa verantwortlich ist. „Sie werden wieder auf konventionelle Artikel umsteigen.“ Und am Ende bleibe Bio wieder ein Elite-Produkt, für Leute mit genügend Einkommen. Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Reis müssten zwar weiter gekauft werden, ein Bio-Müsli aber nicht unbedingt.
Besonders kleine und mittelständische Bio-Lebensmittelverarbeiter könnten durch Rohstoffknappheit und Preiskampf in ihrer Existenz gefährdet werden. Matthias Kollmann, Geschäftsführer des Getreideverarbeiters Bohlsener Mühle, plädiert zur Abhilfe dringend für eine politische Förderung des regionalen Ökolandbaus. Reis und Sesam können in unseren Breiten jedoch nicht angebaut werden.
Ist eine Entspannung in Sicht? „Ich glaube nicht, dass die Transportkosten wieder wie früher werden“, stellt Kadeer fest. Er hofft, dass sich die Situation bis Ende 2022 wieder beruhigt. Mehrere große Frachtschiffe sollen in diesem Jahr noch auf den Markt kommen und könnten den Warenfluss wieder verbessern.
„Wir müssen flexibel sein“, so Alves. „Wir wissen nicht, was die Regierungen entscheiden oder wie das Wetter werden wird. Wir können nicht vorausplanen wie sonst, sondern nur noch von Monat zu Monat.“
Lena Renner