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AHV in Frankreich

Große Pläne und noch viel zu tun

AHV in Frankreich

In Frankreich prallen politische Wünsche und marktwirtschaftliche Realitäten in der AHV in puncto Bio aufeinander. Schon 2008 legte Frankreich fest, den Bio-Anteil in der staatlichen Gemeinschaftsverpflegung bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern – ein Ziel, das weit verfehlt wurde. Ein neues Gesetz, das Loi EGALim, sieht diesen Anteil jetzt bis 2022 vor. Obwohl die Bedeutung des Außer-Haus-Markts in Frankreich höher ist als etwa in Deutschland, scheitern viele Marktteilnehmer oft noch an bürokratischen Hürden.

Die französische Politik und die Verbände räumen dem Absatzmarkt AHV für ökologische Produkte einen sehr hohen Stellenwert ein. Die Bedeutung des Außer-Haus-Verzehrs ist vor allem durch den höheren Anteil an Ganztagsschulen in Frankreich sehr viel höher als in Deutschland. Frankreich zählt insgesamt rund 80.000 Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen, in denen rund vier Milliarden Essen jährlich serviert werden.

Für die Belieferung von Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung haben sich zahlreiche Bio-Erzeugergemeinschaften gegründet. Meist sind dies Genossenschaften, die das Bio-Angebot bündeln und regionale Lieferketten aufbauen (‚RéseauMangerBio‘).

Der Staat nimmt hierfür durchaus Geld in die Hand. Nicht nur Städte und Kommunen, sondern auch Naturparke oder Wasserversorger finanzieren begleitende Maßnahmen, gleichen Mehrkosten bei der Beschaffung aus und einiges mehr. Aber diese Unterstützung ist oft an Auflagen gekoppelt, die den Einsatz von Bioprodukten eher erschweren als fördern. Während die Tischgäste immer mehr Bio fordern, stehen die Marktteilnehmer in der AHV oft vor bürokratischen Hürden. Die weitreichenden gesetzlichen Vorschriften sind komplex und bisher wurden die von der Politik vorgegebenen Ziele weit verfehlt.

Umfassender gesetzlicher Rahmen

Bereits 2008 wurden im Rahmen des landesweiten Umweltgipfels ‚Grenelle de l’Environnement‘ Ziele zur Steigerung von Bio-Produkten in der staatlichen Gemeinschaftsverpflegung festgelegt. Diese Ziele (wie ein 20 Prozent-Anteil bis 2020) wurden jedoch bisher weit verfehlt. Seither wurden die Zielvorgaben durch mehrere Gesetzesnovellen bekräftigt, gleichzeitig aber auch aufgeweicht. Denn neben den Bioprodukten werden zusehends andere, konkurrierende Erzeugungsformen als ‚nachhaltig‘ anerkannt, zertifiziert durch Herkunfts- und Qualitätslabel ohne Bio-Anspruch.

Das 2014 erlassene ‚Landwirtschaftliche Zukunftsgesetz‘ (‚Loi d’avenir agricole – LOA‘) zielt darauf ab, die „territoriale Verankerung der Lebensmittelversorgung“ zu stärken. Eine konkrete Konsequenz aus diesem Gesetz ist die Schaffung von sogenannten PATs (Projet Alimentaire Territorial), einer besonderen Form regionaler Ernährungsräte (food policy councils).

Für diese ‚Öko-Modellregionen‘ wurden gesetzlich qualitative und methodische Mindestanforderungen festgelegt, zum Beispiel breit angelegte Beteiligungsverfahren. Einige der mittlerweile über 500 PATs in Frankreich erhalten eine finanzielle Förderung im Rahmen eines landesweiten, vom Landwirtschaftsministerium ausgeschriebenen Wettbewerbs. Die Steigerung von Bio-Produkten in der AHV spielt bei den meisten dieser PATs eine zentrale Rolle.

Seit 2018 stärkt Loi EGALim Bio in der AHV

Das für die Außer-Haus-Verpflegung und insbesondere die von der öffentlichen Hand betriebenen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung maßgebliche Gesetz trat jedoch erst im November 2018 in Kraft. Das ‚Loi EGALim‘ (für États Généraux de l’Alimentation) verfolgt in dieser Hinsicht drei wichtige Ziele: den Zugang zu gesunder, nachhaltiger Ernährung für alle zu sichern, Lebensmittelabfälle und (Plastik-)Abfälle zu reduzieren und den Einsatz von (bio-)regionalen qualitativ hochwertigen Produkten zu steigern.

Weiteres Ziel ist, faire Handelsbeziehungen zwischen den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette zu etablieren. Dumpingpreise im Lebensmitteleinzelhandel sollen verboten werden. Preiskonstruktion soll ‚von unten nach oben‘ stattfinden, mit den Erzeugungskosten als Ausgangspunkt.

Das Loi EGALim schreibt unter anderem vor, dass ab dem 1.1.2022 mindestens zur Hälfte „qualitativ hochwertige und nachhaltige Produkte“ in privaten und öffentlichen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung eingesetzt werden. Ein Anteil von mindestens 20 Prozent dieser Produkte soll aus ökologischem Anbau stammen, wobei auch Umstellungsware erlaubt ist. Berechnet wird dieser Anteil über den Netto-Einkaufswert der bezogenen Rohwaren über ein Jahr, inklusive Getränke.

Aufgeweichte Regeln bei den Anforderungen

Jedoch ist der französische Gesetzgeber recht großzügig bei der Anerkennung weiterer ‚nachhaltiger‘ und/oder ‚qualitativ hochwertiger‘ Produkte. Denn hierunter fallen viele staatlich anerkannte Qualitätssiegel oder Herkunftsbezeichnungen ohne weitgehende ökologische Anforderungen wie ‚AOC‘ oder ‚Label Rouge‘, usw.

Weitere Produktqualitäten können auf Basis einer Produktlebenszyklus-Bewertung (Ökobilanz) aufgenommen werden. So hat erst kürzlich die Marke ‚Bleu-Blanc-Coeur‘ diesen Sprung in die Positivliste geschafft. Hintergrund war hier der nachweislich reduzierte Methanausstoß durch den gezielten Einsatz von Omega-3-haltigen Rohstoffen, wie zum Beispiel Leinöl, in Futtermitteln für Wiederkäuer.

Eine weitere Vorgabe von EGAlim für die Verpflegungsbetriebe des AHV ist die Diversifizierung von Protein-Quellen und versuchsweise mindestens eine vegetarische Mahlzeit pro Woche. In einer im Februar 2020 unterzeichneten Charta verpflichten sich GV-Einrichtungen außerdem, die vorgegebenen Ziele möglichst kostenneutral und mit heimischen, also nicht importierten, Bio-Produkten zu erreichen.

Viele Regionen in Frankreich haben sich teils noch ambitioniertere Ziele bezüglich der Einführung von Bio-Produkten gesteckt. So zum Beispiel auch die Region Occitanie im Südwesten Frankreichs.

Effizientes Monitoring zeigt Förderungsansätze auf

Im Gegensatz zu Deutschland erfolgt in Frankreich schon lange eine effiziente, regelmäßige Marktbeobachtung, welche wertvolle Ansatzpunkte für die zukünftige Förderung aufzeigt. Seit mehr als zehn Jahren wird die Verwendung von Bio-Produkten in der französischen Außer-Haus-Verpflegung statistisch erfasst. Das jährliche Monitoring umfasst sowohl das private Gastronomiegewerbe, als auch die öffentliche und private Gemeinschaftsverpflegung.

Auftraggeber des Monitoring ist die französische Agence Bio, eine dem Umwelt- und Landwirtschaftsministerium unterstellte Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Wesentliche Ergebnisse sind bisher:

- Es gibt einen starken Trend zu Bio. Im Jahr 2008 verwendeten lediglich vier Prozent der französischen GV-Einrichtungen Bio-Produkte. Im Jahr 2019 waren es bereits 65 Prozent.
- Dieser Anteil liegt bei den öffentlich getragenen Einrichtungen bei 78 Prozent, im Schul-Bereich sogar bei 86 Prozent. Dagegen verwenden in den Einrichtungen in privater Trägerschaft lediglich 58 Prozent Bio-Produkte. Ein klarer Hinweis auf die Wirksamkeit der staatlichen Vorgaben.
- Knapp dreiviertel der in der GV eingesetzten Bio-Produkte sind französischer Herkunft.
- Die am häufigsten verwendeten Bio-Produkte sind Obst, Gemüse und Molkereiprodukte.
- Immer mehr Einrichtungen führen vegetarische Mahlzeiten ein. 2019 waren es schon 55 Prozent.

Allerdings erschweren organisatorische Probleme innerhalb vieler Verpflegungseinrichtungen das Monitoring. So gibt es fehlende oder lückenhafte Systeme zur Erfassung des Produkteinsatzes, etwa aufgrund unterschiedlicher Warenwirtschaftssysteme oder von latentem Personalmangel.

Seit Jahren erklärtes Ziel ist es, das System OPAL zentral einzuführen, mit dem zum Beispiel auch die Erfassung regionaler Produkte möglich ist. Dies ist jedoch noch nicht flächendeckend gelungen. Vor allem Gymnasien nutzen meist andere Systeme, mit denen Waren nicht als regional klassifiziert werden können.

Wie gelingt Bio in der französischen AHV?

Als deutsch-französisches, auf Biomärkte spezialisiertes Beratungs- und Forschungsunternehmen für Nachhaltigkeit in der Lebensmittelversorgung und der Landnutzung begleitet Ecozept bereits seit mehr als 15 Jahren über 300 Einrichtungen in vier Regionen erfolgreich beim Einsatz von Bio(regio)-Produkten in der Gemeinschaftsverpflegung. So auch in der Region Occitanie, in der die Zielmarke 40 Prozent Bio-regio in den 190 Gymnasien bis Ende 2022 vorgegeben wurde. Dieses Ziel soll ohne Mehrkosten für die Familien erreicht werden.

Die Förderung durch die Region erstreckt sich von begleitenden Maßnahmen, wie zum Beispiel der Schaffung von Angebot-Nachfrage-Portalen oder Logistik-Plattformen, bis hin zu direkten Beihilfen. Dies sind etwa Subventionen der Gerichte durch Ausgleich der Mehrkosten oder Beteiligung an den Beschaffungskosten. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist hier das direkte und kontinuierliche Coaching der Küchenverantwortlichen hinsichtlich der Beschaffung, der Mengen- und Preis-Berechnungen sowie des Monitorings, als zentrales Instrument zur Erfolgsmessung.

Persönlicher Kontakt und Leuchtturmprojekte

Physischer, persönlicher Kontakt schafft Vertrauen. Hersteller, Lieferanten und Küchenverantwortliche müssen sich persönlich kennen und gegenseitiges Verständnis für Erwartungen und Bedürfnisse aufbringen. Anonyme Online-Plattformen, Netzwerke oder Einkaufsführer alleine können dies nicht leisten.

Im Projektverlauf müssen die Motoren unter den Großküchen möglichst frühzeitig identifiziert werden. Diese Leuchttürme sind als ‚Kristallisationspunkte‘ zu fördern und sichtbar zu machen.

Aufgrund der hohen bürokratischen Anforderungen bei den Nachweispflichten empfiehlt Ecozept, zunächst nur mit denjenigen Kantinen zu arbeiten, die schnell eine gewisse Mindestbestellmenge erreichen. Als Schwellenwert gilt hier mindestens 300 Essen pro Tag und die Umstellung ganzer Produktlinien auf Bio über einen längeren, planbaren Zeitraum.

Treibende Kraft finden und Langfristigkeit schaffen

Es braucht einen Akteur, der sich im Projekt den Hut aufsetzt, und weitere Verbündete, die ‚Druck machen‘. Am effizientesten in dieser Rolle sind die Wirtschaftsagierenden selbst, wenn sie eigenes wirtschaftliches Interesse an der Einführung sehen. Ein Gesetz ‚von oben herab‘ allein bringt meist nicht den gewünschten Erfolg.

Damit die Projekte gelingen, braucht es Kümmerer und Netzwerkschaffende, die die Sprache der Landwirtschaft, der Verarbeitung und des Küchenpersonals sprechen. Oder sie müssen zumindest verstehen, wie derartige Wertschöpfungsketten funktionieren und wo die Knackpunkte liegen. Häufig wechselnde Kümmerer schaffen kein Vertrauen, weshalb von vornherein eine kontinuierliche Finanzierung sichergestellt sein sollte. Hier ist in der Regel die Politik gefordert. Zu kurz konzipierte Projektlaufzeiten entfachen meist nur Strohfeuer.

Michael Böhm & Dr. Burkhard Schaer

 

Weitere Informationen:
Dr. Burkhard Schaer
Tel. : +33(0)467584227
Le Barcelone Bât. 12
145 Rue Guillaume Janvier
34070 Montpellier
schaer@ecozept.com
www.ecozept.de

 

Erfolgsfaktoren für Bio in der AHV
- Rasches Identifizieren der ‚Motoren‘: Welche Personen treiben die Projekte an? 
- Persönlichen Kontakt herstellen: Verknüpfung der ‚Motoren‘ mit den ‚Vermarktern‘
- Von Anfang an Groß denken: kritische Mengen rasch erreichen, zumindest mit einem Produkt 
- Verlässlichkeit schaffen: regelmäßige, planbare Bestellungen
- Logistik optimieren: entlang der Zulieferungs-Routen die ersten Projekte als Perlenkette aufbauen.
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