Außer-Haus-Verpflegung
Projekt BioRegio versammelt Mitstreiter im Symposium
Mehr bio-regional in Landeskantinen im Bodenseeraum bringen

Am 1. Februar 2023 ist das EIP-Projekt ‚35% BioRegio Außer Haus‘ gestartet, das die bio-regionale Lebensmittelversorgung in Großküchen und Kantinen der Bodenseeregion vorantreiben will. Kurz vor Abschluss der zweijährigen Laufzeit trafen sich am 10. Oktober in Ravensburg Beteiligte, Praktiker und Experten zum Bio-Regio Symposium, stellten Ergebnisse vor und diskutierten über Herausforderungen und Chancen für die bio-regionale Außer-Haus-Verpflegung.
Über 80 Teilnehmer sind der Einladung nach Angaben der Veranstalter gefolgt. Als Auftakt präsentierte Bettina Dreiseitl-Wanschura, Geschäftsführerin des Architektur- und Planungsunternehmens Dreiseitlconsulting GmbH und Leiterin des EIP-Projekts, die Ergebnisse.
Über Online-Befragungen ermittelte das Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim die größten Hemmnisse einer bio-regionalen Gemeinschaftsverpflegung sowohl auf Seiten der Erzeuger als auch der Landeskantinen. Hohe Einkaufspreise und ein eingeschränktes Angebot hindern demnach Einrichtungen der AHV am Bezug bio-regionaler Ware, während die befragten Demeter-Betriebe die hohe Preisdifferenz sowie eine zu geringe Nachfrage und Zahlungsbereitschaft als Hauptproblematik für die Belieferung identifizierten. Knapp ein Viertel der teilnehmenden Erzeuger beliefert bereits die AHV, während 40 Prozent der AHV-Einrichtungen ihr Angebot mit Bio vom Direktvermarkter ergänzen. Überwiegend würden die benötigten Bio-Produkte allerdings (wie die konventionellen) vom Großhändler bezogen und der durchschnittliche Bio-Anteil am Gesamtwarenumsatz liegt nach der Befragung erst bei elf Prozent.
Um die Herausforderungen anzugehen, veranstaltete das Projektteam Fokusgruppen und Innovationswerkstätten, in denen Empfehlungen für Themen wie Rezeptur- und Preisgestaltung, Ausschreibungsverfahren, Bündelungsstrukturen und Kommunikation erarbeitet wurden.
Kooperieren und digitale Innovationen nutzen
Nach der Einführung sprach Publizist und Food-Aktivist Hendrik Haase in einer Keynote über die Zukunft der Kantinen und brach dabei eine Lanze für digitale Innovationen, die Chancen für mehr Nachhaltigkeit in der Gemeinschaftsverpflegung brächten: etwa durch personalisierte Ernährungspläne, Abfallvermeidung, Treibhausgas-Bilanzen sowie mehr Transparenz entlang der Wertschöpfungskette. Die Bio- und Regional-Bewegung dürfe in dieser Hinsicht den Anschluss nicht verlieren. Vor allem bei der Ansprache junger Menschen sei zudem das Trendsetting durch Social Media unumgänglich. „Virale Marketingkampagnen und Influencer können neue Produkte und nachhaltige Praktiken schnell populär machen“, so Haase.
Für David Sipple, Postdoktorand im Bereich Nachhaltige Ernährungswirtschaft an der Universität Freiburg, ist „Kooperation statt Konkurrenz“ der Schlüssel zur Schaffung fairer und nachhaltiger Wertschöpfungsketten. Gerade mit Blick auf das Schwinden kleiner und mittlerer regionaler Unternehmen durch Zentralisierung und Fachkräftemangel gewännen Kooperationen zunehmend an Relevanz. Auch die regionale und kommunale Wirtschaftspolitik müsse ihren Fokus auf Kooperationen für eine lokale nachhaltige Ernährungswirtschaft legen. Sipple stellte dafür das Konzept einer kommunalen „Ernährungsmeisterei“ vor, die Mittagessen mit möglichst hohem bio-regionalem Anteil zubereitet und an Bildungseinrichtungen, soziale Einrichtungen und lokale Unternehmen liefert.
Welche positiven Effekte eine gesunde Ernährung auf die Produktivität und das Wohlbefinden im Arbeitsalltag haben, zeigte Birgit Schweyer, Fachkraft für betriebliches Gesundheitsmanagement, auf. Und Armin Geisinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim, stellte Strategien vor, um die Mehrwerte der ökologischen Landwirtschaft effektiv an Kantinengäste zu kommunizieren. Außerdem präsentierte er Lösungswege für das Problem der hohen Preise, wie etwa die Mischkalkulation von Menüs mit und ohne biologische Zutaten.
Stimmen aus der Praxis
An die Fachvorträge schlossen sich im zweiten Programmteil Praxisgespräche über die Umsetzung von bio-regional in der AHV sowie die Zukunft des Kochhandwerks an. Monika Forster von der Energieagentur Vorarlberg stellte das Projekt Schullokal vor, bei dem drei Frischeküchen die Volks- und Mittelschulen in neun Gemeinden des Bregenzer Waldes mit nachhaltigem Essen beliefern. Die Schullokale seien mittlerweile so erfolgreich, dass die Kinder auf andere Angebote wie Imbissbuden etc. verzichten.
Die Tressbrüder, bekannt für ihre bio-veganen Suppen und Bowls, erschließen sich den Markt der AHV aktuell mit einer Art ‚HelloFresh‘-Konzept: der Lieferung von vorgefertigten Rohstoffen an Betriebsrestaurants. „Der Direktbezug von Waren bei Landwirten ist für beide Parteien vorteilig und sorgt für faire Preise“, erklärte Christian Tress. Die Zukunft liegt für ihn in der Entwicklung innovativer Gerichte, die geschmacklich überzeugen, mit wenig oder ganz ohne Fleisch auskommen und deren Zutaten regional bezogen werden.
„Essen und Köche müssen wieder cool rüber kommen“, meinte Petra Melchers, Betriebsleiterin der Bio-Küche ‚Konradi kocht‘ in Konstanz, die Kitas, Schulen und Unternehmen mit frischen Mittagsgerichten versorgt. Sie forderte ein neues Narrativ für das Kochhandwerk, das Lust auf eine kreative und nachhaltige Küche weckt. Derzeit fehle es an zeitgemäßen Lehrinhalten in den Berufsschulen.
„Als ich angefangen habe, ging es darum die Bäuche voll zu bekommen“, sagte Hubert Hohler, Bio-Mentor und Gastronomieleiter in der Klinik Buchinger Wilhelmi am Bodensee. Die Anforderungen hätten sich dann in Richtung gesunde Ernährung und nachhaltige Ernährung bis hin zur ‚Weltrettung‘ im Sinne der ‚Planetary Health Diet‘ verschoben. Hohlers Meinung nach sollte Fleisch zur Beilage werden – in der Buchinger Klinik wird (mit Ausnahme von Fisch ‚auf Verordnung‘) bereits rein vegetarisch gekocht. In einem Projekt mit der DHBW Ravensburg verknüpft der Senior-Küchenchef das Kochen mit Bildern, die zeigen, welche Agrarfläche für die jeweiligen Speisen benötigt wurde.
Das politische Backing einer Transformation in der Außer-Haus-Verpflegung stand im Schlusspodium des Symposiums auf dem Prüfstand. Isabel Kling, Ministerialdirektorin im baden-württembergischen Ernährungsministerium, verwies dabei auf das Angebot von Workshops und die finanzielle Unterstützung von Landeskantinen über die neue Verwaltungsvorschrift Kantine. Um Lehr- und Prüfungspläne mehr an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen, müssten Kultus- und Wirtschaftsministerium ins Gespräch kommen.
Am Ende des BioRegio-Symposiums wurde dazu aufgerufen, in der Bodenseeregion ein Pilotprojekt für die von Sipple angedachte kommunale Ernährungsmeisterei zu starten. Laut den Veranstaltern stieß dieses Vorhaben auf große Zustimmung im Publikum, sodass bereits erste Mitstreiter gefunden werden konnten.
Das Projekt ‚35% BioRegio Außer Haus‘ wurde durch die Europäische Innovationspartnerschaft ‚Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit‘ (EIP-AGRI) gefördert und läuft noch bis Ende 2024.