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Kongress

Respair: Neue Hoffnung für die Agrarwende

Die Oxford Real Farming Conference versammelt progressive Stimmen aus der Landwirtschaft

Respair: Neue Hoffnung für die Agrarwende © Hugh Warwick
Alle 500 Plätze sind belegt: das begeisterte Publikum im großen Hauptsaal des Rathauses von Oxford beim Abschluss der Real Farming Conference.

Immer zu Jahresbeginn – rund einen Monat vor dem Biofach-Branchentreffen in Nürnberg – findet mitten in der britischen Universitätsstadt Oxford die ‚Real Farming Conference‘ (ORFC) statt. Am 4. und 5. Januar trafen sich auch im Jahr 2024 wieder internationale Akteure der Agrarökologie und sprachen über zukunftsgerechte Landwirtschaft, den Weg zu weniger Emissionen und die nötige Machtverschiebung im Agrarsystem. CO2-Kompensation, Weidehaltung und der Einfluss der Lobby in Brüssel standen auf der Agenda.

Unter dem Motto „respair statt despair“ – neue Hoffnung statt Verzweiflung – eröffnete Veranstaltungsleiterin Francesca Price die 15. Oxford Real Farming Conference (ORFC) – „das größte Treffen der agrarökologischen Bewegung weltweit“. 400 Referenten waren an der Konferenz beteiligt, der große Hauptsaal im Rathaus von Oxford mit 500 Plätzen war zum Anfangs- und Schlussplenum vollbesetzt. Außerdem wurde die Veranstaltung von über 3.000 Online-Teilnehmern verfolgt.

Als „inklusivste Landwirtschaftskonferenz der Welt“ lobte Deirdre Woods von der Gewerkschaft ‚Landworkers‘ Alliance‘ das Event. Wer nicht aus den Industrienationen kommt (das heißt Westeuropa, Kanada, USA, Neuseeland und Australien), hat bei der ORFC Anrecht auf ein freies Ticket. Der Anspruch, möglichst viele verschiedene Gruppen zu beteiligen, spiegelte sich dann auch in einem bunt gemischten Publikum in den Plenumsveranstaltungen wider.

„Wir müssen unsere Kräfte vereinen und die Macht des Volkes stärken“, rief Paula Gioia vom Kleinbauernbündnis La Via Campesina auf. Und Agrarökologie sei der Weg, um dorthin zu kommen. „Globalisieren wir den Kampf, globalisieren wir die Hoffnung!“

„Wir müssen sehr offen sein für die, die gerade erst anfangen, etwas zu verändern“, fügte Helen Browning hinzu, die selbst schon seit fast 40 Jahren in der Bio-Branche mitmischt. Im Jahr 1986 übernahm sie den Hof des Vaters und stellte ihn auf Bio-Landwirtschaft um – heute ist die ‚Eastbrook Farm‘ ein Vorreiter für hochwertiges Bio-Schweinefleisch.

Gefangen im System: Copa-Cogeca ist nicht die Bauern

Einige der Sessions der Agrarökologie-Konferenz beschäftigten sich mit praktischen Themen: mit Bodengesundheit, Biodiversität in der Landwirtschaft oder dem Anbau von mehrjährigem Gemüse. Der größere Teil aber war sozialen und politischen Fragen gewidmet: der Rolle von Frauen im Agrarsystem, dem Weg zur Ernährungssouveränität und dem Aufbau einer globalen Bauernbewegung. Noch bevor der Green Deal der EU im Frühjahr 2024 bedrohlich ins Wanken geriet, enthüllte ein ORFC-Panel den enormen Einfluss der Agrarlobby auf politische Entscheidungen in Europa.

Die freie Journalistin Thin Lei Win hat den mächtigen EU-Bauernverband Copa-Cogeca investigativ untersucht und die guten Verbindungen zu den EU-Institutionen nachvollzogen. „Sie sagen, sie repräsentieren alle EU-Landwirte“, stellte Lei Win fest. Das wären allerdings 22 Millionen Menschen, die keinesfalls alle Mitglied in dem Verband seien. In Wirklichkeit setze sich dieser überwiegend aus industriellen konventionellen Großbetrieben zusammen – „eine kleine Gruppe mit enormer äußerer Macht“, so ihr Fazit. Und diese richte sich gegen Konzepte wie Farm to Fork und Green Deal, Naturrettungsvorschriften und Agrarökologie.

Die Agrarindustrie sei zudem global hervorragend vernetzt. So habe die Interessengruppe ‚European Livestock Voice‘ (ELV, Europäische Stimme der Nutztierhaltung) Verbindungen zur US-Fleischindustrie. „1,4 Millionen EU-Bürger haben sich dafür ausgesprochen, die Käfighaltung zu beenden“, berichtete Lei Win. Allerdings bisher vergeblich – das Thema wurde wieder fallengelassen, obwohl die Kommission 2021 zugesichert hatte, ein Verbot in die Wege zu leiten.

„Die Landwirte sind im System gefangen – sie wollen ausbrechen, können aber nicht“, meinte Lei Win. Es gebe zwar alternative Verbände wie den Bio-Dachverband IFOAM Organics oder das Kleinbauernbündnis La Via Campesina – diese hätten aber viel weniger Macht.

Clare Carlile, die für die Website DeSmog über den Agrarsektor schreibt, bestätigte den enormen Einfluss der Industrie. Dieser erstrecke sich sogar auf akademische Studien, die etwa von der Pestizidlobby finanziert oder gar selbst verfasst würden. Als Beispiel für die Schaffung industriefreundlicher Fakten nennt Carlile eine von McDonald‘s finanzierte Studie über die Gefahren von wiederverwendbarer Verpackung. „Sie haben dazu eine riesige Kampagne gefahren“, erzählt sie. Das sei so weit gegangen, dass Plakate in die Toiletten des EU-Parlaments gehängt wurden.

„Viele Abgeordnete glauben die Botschaft, die sie am meisten hören“, bedauerte Emile Frison, Experte für Agrarökologie und Gründer des Internationalen Expertengremiums für Nachhaltige Lebensmittelsysteme (IPES). Sie seien selbst keine Fachexperten und die Unternehmen investierten riesige Summen in Studien und andere Lobbyarbeit. NGOs und Wissenschaftler ohne viele Mittel hätten es dann schwer, dem etwas entgegenzusetzen. „Es braucht mehr unabhängige Berater“, wünscht er sich. Und: „Wir müssen mehr mit politischen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten.“

It’s not the cow, it’s the how

Als Landwirtschaftskonferenz nahm die ORFC das aktuelle Brennpunktthema Tierhaltung in verschiedenen Podien in den Blick – mitsamt der Frage, welche Rolle Weidevieh in Zeiten der globalen Erderwärmung spielen kann. „Zwei Drittel des Vereinigten Königreichs sind nicht für den Getreideanbau geeignet“, erklärte Robert Barbour, der die Forschungsarbeiten für den Bericht ‚Feeding Britain‘ vom ‚Sustainable Food Trust‘ durchführte. Die Beweidung von Grünland nehme daher einen zentralen Stellenwert in einem zukunftsfähigen Agrarsystem ein: für die Ernährungssicherheit, Kreislaufwirtschaft, den Verzicht auf synthetische Dünger, die Zunahme von Biodiversität und ländliche Entwicklung. Dennoch müssten die Methan-Emissionen, die durch Viehhaltung anfallen, auf ein niedrigeres Niveau gebracht werden. „Würden Tierhalter auf Waldweiden (Hutewälder) setzen, könnte man die Hälfte der Treibhausgase in der Viehwirtschaft senken“, meinte Barbour. Es brauche noch mehr Studien, die klarstellen, dass durch regenerative Praktiken wie Rotationsbeweidung der Kohlenstoffgehalt im Boden erhöht werden kann.

„Darüber, dass organisches Material aus der Tierhaltung – also Mist – die Bodengesundheit verbessert, besteht keinerlei wissenschaftlicher Zweifel“, fügte Michael Lee, Experte für nachhaltige Tierhaltungssysteme und Professor an der Harper Adams University, hinzu. Die gängige Praxis, den CO2-Abdruck pro Produkt zu berechnen, könne dagegen zu abwegigen Ergebnissen führen. „Kein Hof produziert nur ein einziges Produkt“, erklärte er. Die verschiedenen Produktionsprozesse einer Farm seien miteinander verknüpft und entsprechend gelte es auch, holistisch die gesamte Nettobilanz zu betrachten.

Aus der Praxis der Weidehaltung berichteten Karl Williams, Betriebsleiter der FAI Farms, und Sophie Gregory, Bio-Rinderhalterin in erster Generation. Williams hat vor sieben Jahren begonnen, im Rahmen des Projekts ‚Bessere Weidehaltung‘ auf Rotationsbeweidung umzustellen. „Mein Gott, auf unserer Farm wächst Gras!“, ist sein begeisterter Kommentar zum Ergebnis. Um 20 bis 30 Prozent habe der Wuchs durch die neue Methode zugelegt. Auch Gregory beschreibt, wie sie seit der Übernahme eines konventionellen Viehhaltungsbetriebs den CO2-Fußabdruck reduzieren und eine Rückkehr von Artenvielfalt beobachten konnte. „It’s not the cow, it‘s the how”, schließt sie. (Es ist nicht die Kuh, es ist das Wie.) Kohlenstoffrechner seien sehr gut darin, Emissionen zu ermitteln, aber die CO2-Bindung bleibe dabei meist außen vor, meint Williams. „Sie erzählen nur einen Teil der Geschichte.“

CO2-Gutschriften: Messung, Nutzen und Vorsicht

Die Praxis der Kohlenstoffbindung, -berechnung und -kompensation war Thema eines eigenen Panels der Konferenz. „Land ist ziemlich einmalig dabei, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen“, sagte Lydia Collas, Senior-Politikberaterin beim Think Tank ‚Green Alliance‘. Hauptaugenmerk der Politik müsse es sein, Bäume zu pflanzen und Moore sowie andere natürliche Biotope zu restaurieren. Außerdem gelte es zu entscheiden, wo der Fokus mehr auf Lebensmittelproduktion und wo mehr auf CO2-Bindung liegen sollte. Auf dem Markt der CO2-Gutschriften müssten schließlich faire Wettbewerbsbedingungen sichergestellt werden.

„Wir haben Ökosystemleistungen im-mer als nettes Extra betrachtet – jetzt beginnen wir zu verstehen, wie essentiell sie sind“, meinte Liz Bowles, die seit 1997 nach agrarökologischen Prinzipien Schafe hält und inzwischen auch in der Beratung tätig ist. Vor acht Jahren hat sie die Geschäftsführung des ‚Farm Carbon Toolkit‘ übernommen – einer der ersten Kohlenstoffrechner. Die Entwicklung des Instruments hat schon im Jahr 2008 begonnen, seit 2009 kann der Rechner verwendet werden. Organisiert sind die Anbieter als ‚Community Interest Company’, einer britischen Rechtsform für Sozialunternehmen. Das Farm Carbon Toolkit wirbt damit, dass es Landwirten kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Eine Lizenzgebühr fällt nur für Organisationen an, die den Rechner als Teil ihres kommerziellen Angebots nutzen. Außerdem werde damit der gesamte Betrieb bilanziert: inklusive aller anfallenden Emissionen und der Kohlenstoffbindung in Böden und Biomasse.

„Es gibt nicht den einen richtigen Weg für die Kohlenstoffberechnung“, stellte Bowles fest – auch wenn sie Rechnern, die den CO2-Fußabdruck pro Produkt ermitteln, skeptisch gegenübersteht, weil dadurch industrielle Agrarkonzerne mit großem Output besser abschneiden. „Extensivere Landwirtschaftssysteme haben langfristig einen größeren Nutzen für die Kohlenstoffbindung“, meint sie. Wichtig sei es zu verstehen, wo man selbst steht – als erster Schritt für Veränderung. Bei Ackerbaubetrieben seien Düngemittel für über 50 Prozent der Treibhausgase verantwortlich – Pestizide hätten demgegenüber einen relativ kleinen Impact. Bei Tierhaltungsbetrieben mache wiederum Methan die Hälfte der Treibhausgase aus, 20 Prozent der Emissionen würden dort durch Gülle verursacht.

Der Trend zur CO2-Kompensation ist für Bowles durchaus auch kritisch zu betrachten. „Es ist toll, es zu entfernen – aber wir müssen auch damit aufhören, es in die Atmosphäre zu pumpen“, meint sie. Die erste Priorität, bevor man Carbon Credits – CO2-Gutschriften – an andere Sektoren verkauft, solle es daher sein, Netto-Null im eigenen Betrieb zu erreichen. Zu den zehn Kohlenstoffgrundprinzipien, die vom Integritätsrat für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt (ICVCM) herausgegeben wurden, gehört außerdem die Dauerhaftigkeit. Für ein Auf und Ab in der CO2-Bindung sollen demnach keine Credits vergeben werden.

Aus der Praxis der CO2-Gutschriften berichtete Kate Hughes, Journalistin, Autorin und Landwirtin. „Es ist ein neuer, aufregender Markt und wir wollen mit Integrität und Sorgfalt dabei sein.“ Das bedeute zum Beispiel, dass Kompensationsgutschriften nicht an jeden verkauft werden. Unternehmen, die ihren eigenen Fußabdruck nicht um mindestens 50 Prozent reduziert haben oder in fossile Brennstoffe involviert sind, bleiben für sie außen vor. Hilfreich wären für die beteiligten Landwirte Richtwerte und Kennzahlen, um eine Orientierung zu haben, wo sie stehen.

„Lesen Sie das Kleingedruckte in Verträgen sehr sorgfältig“, ist Bowles‘ abschließender Rat an die Bauern im Publikum. Sonst bestehe schnell die Gefahr, etwas zu unterschreiben, das man so nicht vorhergesehen hat. Der neue Markt biete sich dafür an, mit anderen Landwirten zusammenzuarbeiten. Und um Vertrauen und Akzeptanz bei den Leuten zu gewährleisten, empfiehlt sie den Leitspruch: „Bleiben Sie lokal, bleiben Sie authentisch.“

Gräben überwinden

„Danke, dass Sie uns eine Plattform geben; danke, dass Sie tatsächlich zuhören“, sagte Swati Renduchintala, Ausschussmitglied der indischen ‚Natural Farming‘-Koalition und beteiligt an der ökologischen Wende im Bundesstaat Andhra Pradesh, im Abschlussplenum. Frauen im Agrarsystem zu fördern und ein besseres Verständnis für Agrarökologie zu entwickeln, bleibe gleichzeitig Notwendigkeit wie Herausforderung.

„Die Konferenz macht sich prächtig, sie sprüht nur so vor Ideen“, resümmierte die Journalistin Anna Jones in einem begeisterten Schlusswort. Eine positive Entwicklung sieht sie auch darin, dass bei der parallel stattfindenden ‚Oxford Farming Conference‘ immer mehr über ähnliche Themen diskutiert werde. Passend zu ihrem kürzlich veröffentlichten Buch ‚Divide‘ (‚Spaltung – die Beziehungskrise zwischen Stadt und Land‘) rief Jones dazu auf, die Gräben in der Landwirtschaft zu überwinden und für gemeinsame Ziele mehr zusammenzuarbeiten.

Die nächste Ausgabe der ORFC findet am 9. und 10. Januar 2025 statt.

Lena Renner

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