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Anti-SLAPP-Gesetz ist unterwegs

EU-Parlament mit großer Mehrheit für Richtlinie gegen Einschüchterungsklagen

Anti-SLAPP-Gesetz ist unterwegs © Jörg Farys_Umweltinstitut München
Das Umweltinstitut München feiert das geplante Anti-SLAPP-Gesetz.

Ende Februar konnten Aktivisten und Journalisten, die öffentlich Missstände anprangern und sich dabei mit Politik oder Konzernen anlegen, einen wichtigen Erfolg verbuchen: Das EU-Parlament stimmte mit großer Mehrheit für die sogenannte SLAPP-Richtlinie, die strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation) unterbinden soll. Jetzt muss das geplante Gesetz noch von den Mitgliedstaaten im Rat bestätigt werden, die am 19. März darüber abstimmen werden.

SLAPP-Klagen sind unverhältnismäßige Einschüchterungen, mit denen Regierungen und Unternehmen versuchen, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die im öffentlichen Interesse Missstände benennen. Laut der europäischen Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic haben solche Bedrohungen der Meinungsfreiheit in ganz Europa in den letzten Jahren zugenommen.

Im November 2021 hatte sich das Europäische Parlament (ebenfalls mit deutlicher Mehrheit) für einen Schutz vor missbräuchlichen Einschüchterungsklagen ausgesprochen und der Kommission das Mandat erteilt, einen Entwurf für verbindliche Anti-SLAPP-Rechtsvorschriften zu erarbeiten. Ein halbes Jahr später legte die Kommission ihren Richtlinienvorschlag vor. Im anschließenden Trilog wurden zwar einige ursprünglich vorgesehene Schutzvorkehrungen gestrichen oder abgeschwächt – trotzdem feiern NGOs und Journalistenverbände die nun erreichte Absegnung durch das Parlament als wichtigen Meilenstein. 546 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, bei nur 47 Gegenstimmen und 31 Enthaltungen.

Die wichtigsten Rechtsinstrumente, die durch die neue Richtlinie kommen sollen:

  • Frühzeitige Abweisung
    • Betroffene können beim Gericht einen Antrag auf frühzeitige Abweisung der Klage stellen. Solange das Gericht den Antrag prüft, wird das Verfahren eingefroren.
  • Umkehr der Beweislast
    • Die Kläger müssen bei der Prüfung beweisen, dass es sich bei ihrem Vorgehen nicht um einen SLAPP handelt.
  • Kostenausgleich
    • Wird eine Klage als SLAPP identifiziert und frühzeitig abgewiesen, müssen die Kläger für die Prozesskosten sowie andere Schäden, die den Angeklagten durch die Klage entstanden sind, aufkommen.
  • Sanktionen
    • Initiatoren von SLAPP-Klagen können mit Geldstrafen belegt werden.

Die weitreichendste Einschränkung, die das Gesetz im Zuge der Trilog-Verhandlungen hinnehmen musste, ist, dass die Richtlinie zunächst nur für grenzübergreifende Einschüchterungsklagen gelten soll. Das heißt, dass ein Fall nur EU-rechtlich bewertet werden kann, wenn ein dafür relevantes Element in einem anderen Land liegt. Je nach Auslegung könnte damit eine große Zahl der aktuellen SLAPP-Klagen außen vor bleiben.

Tiemo Wölken, Berichterstatter des EU-Parlament, ist dennoch zufrieden mit dem Ergebnis. Viele Mitgliedstaaten hätten sich bereits verpflichtet, die Rechte aus der Richtlinie auch auf SLAPP-Klagen innerhalb ihrer Grenzen auszuweiten.

Auch die Koalition gegen SLAPPs in Europa (CASE), die sich für einen wirksamen Schutz vor Einschüchterungsklagen stark macht und dafür Anfang 2022 eine Petition mit über 200.000 Unterschriften an die EU-Kommission überreichte, begrüßt das Gesetz. „Die Anti-SLAPP-Richtlinie schafft einen vielversprechenden Mindeststandard für die Mitgliedstaaten“, so ihr Kommentar. „Es liegt nun in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, auf der durch die Anti-SLAPP-Richtlinie geschaffenen Grundlage aufzubauen und wirksame nationale Rechtsvorschriften zu erarbeiten.“

Zur Koalition gegen SLAPPs gehört auch das Umweltinstitut München, das sich jahrelang selbst gegen eine Einschüchterungsklage zur Wehr setzen musste. Ihr Mitarbeiter Karl Bär wurde wegen seiner Kritik am hohen Pestizideinsatz in den Apfelplantagen Südtirols vom dortigen Landrat sowie mehr als 1.370 Landwirten wegen übler Nachrede und Markenfälschung angezeigt. In einer provokativen Plakat-Kampagne hatte das Umweltinstitut die beliebte Urlaubsregion als ‚Pestizidtirol‘ verfremdet. Nach über zwei Jahren Ermittlung und 20 Monaten Prozess wurde Bär im Mai 2022 freigesprochen.

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