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EU-Recht

Gentechnik-Deregulierung: laut Gutachten nicht mit EU-Recht vereinbar

Kommissionsvorschlag widerspricht Vorsorgeprinzip

Seit die Pläne der EU-Kommission bekannt sind, Neue Gentechnik (NGT) nicht mehr nach dem herkömmlichen EU-Gentechnikrecht zu regulieren, gibt es heftige Kritik von Bio-Branche und Umweltschützern. Ein Rechtsgutachten der Kanzlei GGSC, das von der Bundestagsfraktion der Grünen in Auftrag gegeben wurde, verleiht dem Protest nun Rückenwind: Der Kommissionsvorschlag widerspreche in zentralen Aspekten dem Vorsorgeprinzip.

Nach dem Entwurf der EU-Kommission sollen Pflanzen, die mit Neuer Gentechnik entwickelt werden, künftig in zwei Kategorien eingeteilt werden: NGT I, die fast wie konventionelle Züchtungsmethoden und NGT II, die fast wie ‚alte‘ gentechnische Methoden behandelt werden sollen. Für Kategorie I sind weder Zulassungsverfahren noch Risikoprüfung und Kennzeichnung (mit Ausnahme von Saatgut) vorgesehen. Mehr als 90 Prozent aller Anwendungen der Neuen Gentechnik fallen darunter.

„Der Kommissionsvorschlag einer NGT-Verordnung widerspricht in zentralen Aspekten dem Vorsorgeprinzip“, schreibt die GGSC in ihrem Gutachten. Durch die Aufhebung sämtlicher Vorsorgeregelungen für Pflanzen der Kategorie I zeige sich die Kommission blind gegenüber potenziellen Risiken von NGT-Pflanzen. Sollten die Erzeugnisse sich nach dem Inverkehrbringen als gefährlich erweisen, gäbe es keine Möglichkeit mehr, sie zurückzurufen, weil die Pflanzen mangels Kennzeichnung nicht mehr als NGT erkennbar sind.

Die Privilegierung gegenüber sonstigen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sei nicht durch einen generell höheren Nutzen von NGT-Pflanzen zu rechtfertigen. Für den vermeintlichen Nutzen für Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit liefere die Kommission keinerlei Anhaltspunkte. Es sei vielmehr fahrlässig, dass die Ausnahmen gerade für die neuesten genomischen Techniken gelten sollen, über deren mögliche schädliche Auswirkungen noch keine Erfahrungen vorliegen.

Angesichts der verbindlichen Vorgaben des Cartagena-Protokolls und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum primärrechtlichen Vorsorgeprinzip würde die Europäische Union mit der Annahme des Vorschlags nach Ansicht der GGSC die Grenzen ihres Regelungsspielraums überschreiten. Für eine Nichtigkeitsklage gegen eine derartige Verordnung sieht die Kanzlei gute Erfolgsaussichten.

„Auch Neue Gentechnik ist Gentechnik und muss im EU-Gentechnikrecht geregelt bleiben. Ohne Schlupflöcher, ohne Ausnahmen und ohne Wenn und Aber!“, kommentiert Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, das Rechtsgutachten.

„Stimmen EU-Parlament und Ministerrat diesem Vorschlag zu, dann wäre künftig jeder Staubsauger in der EU besser geprüft als unser Essen“, meint Harald Ebner, Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. „Wir sehen uns durch das Gutachten in unserer Haltung bestätigt und setzen uns weiter für den Erhalt des europäischen Vorsorgeprinzips, eines strengen Zulassungsverfahrens und der Wahlfreiheit für Verbraucher*innen und Landwirt*innen durch eine verpflichtende Kennzeichnung ein.“

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