Nachhaltigkeit
Im Doppelpack: Dreiste Lügen und Greenwashing der Agrarchemiekonzerne
Über wahre Kosten und eine nachhaltige Ernährungssicherung

Den aktuellen Propagandafeldzügen der Lobbyheere der Agrarchemie, die EU-Zulassung des Herbizids Glyphosat abermals zu verlängern und das strikte Gentechnikverbot mit Verdrehungen und Verschleierung auszuhebeln, gilt es vermehrten Widerstand entgegenzusetzen. Auch die Verarbeiter von Bio-Lebensmitteln und der Handel müssen (noch mehr) ihren Beitrag leisten, die vielen Initiativen und Kampagnen (auch finanziell) zu unterstützen, und zum Beispiel die Möglichkeiten zur Informationsverbreitung am POS einbringen.
Je mehr sich der biologische Landbau durchsetzt, umso heftiger werden logischerweise die Angriffe derjenigen, die dadurch Profitverluste erleiden: So holte etwa der Chef des Agrarchemiekonzerns Syngenta, Erik Fyrwald, unter anderem mit dieser Propagandakeule in einem Interview der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) aus: „Die Erträge im Bio-Landbau können je nach Produkt um bis zu 50 Prozent tiefer ausfallen. Die indirekte Folge ist, dass Menschen in Afrika hungern, weil wir immer mehr Bio-Produkte essen. Das kann niemand ernsthaft wollen. Die Leute sollen biologisch produzierte Produkte kaufen dürfen, wenn sie dies wollen, aber die Regierungen sollten darauf pochen, dass die Ertragsverluste nicht derart groß sind. Menschen in Afrika wird Nahrung weggenommen, weil wir Bio-Produkte wollen und unsere Regierungen die Bio-Landwirtschaft unterstützen.“ Das Gleiche wird mantrahaft von allen Agrochemie- und Gentechnikkonzernen wiederholt und das schon seit 30 bis 40 Jahren. Ebenfalls schon lange wird die Lügenpro-paganda mit dreistem Greenwashing kombiniert. Gebetsmühlenartiges Wiederholen der oft und substantiell wiederlegten Lügenmärchen drehen diese nicht in Wahrheit. Faktenbasierter Widerspruch muss so lange erfolgen, bis die Konzerne zur Ehrlichkeit finden.
Was kosten Industrienahrungsmittel wirklich?
Wenn man die Bilanzen der industriellen Landwirtschaft und des Bio-Landbaus seriös miteinander vergleichen will, muss man die Erträge mit den Kosten in Beziehung setzen, welche durch die jeweilige Produktionsart anfallen. Zusätzlich gilt es, die langfristigen Folgen zu berücksichtigen und genau zu untersuchen:
Welchen Impact haben die verschiedenen Landbausysteme auf den Klimawandel, die Biodiversität, die Kontamination von Wasser und Luft mit gefährlichen Giftstoffen, die natürliche Bodenfruchtbarkeit, die Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen? Und mit welchen Kosten sind diese Schäden – auch langfristig – verbunden? Erst wenn auch all die anfallenden volkswirtschaftlichen Kosten berechnet und von den erzielten Ernteerträgen abgezogen werden, ergibt sich der eigentliche Nettoertrag einer Lebensmittelproduktion.
Eine solche, ganzheitliche Berechnung käme zu dem Ergebnis, dass die Produkte der industriellen Landwirtschaft in den Läden entweder doppelt so teuer sein müssten wie jetzt, damit die verursachenden Betriebe den Schaden bezahlen können, den sie anrichten. Oder die Preise bleiben gleich und sämtliche an der Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen, vom Landwirtschaftsbetrieb bis zum Supermarkt, müssten ihren Gesamt- umsatz abgeben, damit die Kosten für die Schadensbeseitigung gedeckt werden können. Bei der Einpreisung wahrer Kosten müsste man etwa die Wiederaufbereitungskosten für Wasser, das durch chemische Landwirtschaft verunreinigt wurde, gemäß dem Verursacherprinzip in Rechnung stellen. Eine französische Studie stellte fest, dass der Anteil der durch die Landwirtschaft verursachten Aufbereitungskosten genauso hoch ist wie der Gesamtumsatz der französischen Lebensmittelbranche! Die Verunreinigung des Wassers durch den Bio-Landbau ist dabei minimal, verglichen mit dem, was die industrielle Landwirtschaft anrichtet. Viele Fakten und Zahlen hierzu gibt es in dem Buch ‚Die Preise lügen – Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen‘ (oekom Verlag).
Umgekehrt stellt sich die Frage: Welche Leistungen werden durch den Bio-Landbau im Hinblick auf Biodiversität, Reinheit von Wasser und Luft, natürliche Bodenfruchtbarkeit und so weiter erbracht? Welchen Wert haben diese Leistungen in volkswirtschaftlicher Hinsicht? Antwort gibt die wirklichkeitsgemäße Erfassung der Nachhaltigkeitsleistungen, die von Landwirtschaftsbetrieben erbracht werden. Ein Pionier bei der Ermittlung der erbrachten Leistungen ist Christian Hiss, der eine erweiterte Buchhaltung entwickelt hat, mit der Leistungen in den Bereichen Ökologie, Soziales und regionale Wirtschaft ermittelt werden können. Die Regionalwert AG berechnet diese Werte und bietet regionale Investitionsmöglichkeiten. (Mehr dazu: http://www.regionalwert-ag.de)
Die wirklichen Kosten bilanzieren
Teure Folgeschäden entstehen zum Beispiel auch, wenn zu schwere Maschinen den Boden verdichten und damit das Wasser auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht mehr ausreichend versickern kann. Starkregenfälle – und diese nehmen zu – führen dann zu Überschwemmungen, die jährlich Kosten in Milliardenhöhe verursachen, getragen von den Versicherungen und damit letztlich von den Bürgern. Hinzu kommt der Schaden durch die Düngemittel und Pestizide, die in die Fließgewässer gelangen und von dort aus in Seen und ins Meer, wo teilweise Todeszonen entstehen, die sich bedrohlich ausweiten. Oder, wie bereits erwähnt, die Kosten für die Trinkwasserreinigung, die von den Wasserwerken und damit letztlich von den Verbrauchern getragen werden müssen. Und dann wären da noch die Gesundheitskosten, die durch den Gebrauch von synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft entstehen und die Allgemeinheit belasten. Auch der Rückgang der Artenvielfalt kommt teuer zu stehen, etwa wenn die Bestäubung der Pflanzen durch die Insekten reduziert wird. Der negative Einfluss der industriellen Landwirtschaft auf den Klimawandel und die damit ver- bundenen Folgekosten sollten ebenfalls nicht vergessen werden. All die dabei anfallenden volkswirtschaftlichen Schäden und damit Kosten müssen berücksichtigt werden, um zu wirklich validen Bilanzen zu kommen.
Eine volkswirtschaftliche Milchmädchenrechnung
Genau dagegen wehren sich jedoch die Agrochemiekonzerne. Und der Grund dafür ist nicht schwer zu erraten, denn bei einer solchen ganzheitlichen Bewertung ergibt sich unterm Strich, dass die industrielle Landwirtschaft höhere Kosten verursacht, als sie Erträge hervorbringt. Sie verursacht damit eine volkswirtschaftliche Minusrechnung. Wenn die mit Agrogiften und Kunstdünger Profit scheffelnden Konzerne und die Schäden verursachenden landwirtschaftlichen Betriebe die Folgekosten in voller Höhe bezahlen müssten, wären sie sofort bankrott. Anders beim Bio-Landbau.
Dieser liegt im positiven Bereich, denn neben der Erzeugung von hochwertigen Lebensmitteln erbringt er große Leistungen in puncto Nachhaltigkeit und vermeidet volkswirtschaftliche Kosten in beträchtlicher Höhe. Sobald also die Leistungen und Kosten erfasst und finanziell bewertet werden, verliert die industrielle Landwirtschaft gegenüber dem Bio-Landbau die Wettbewerbsfähigkeit! Das ist unerfreulich für die Agrarindustrie, denn je mehr diese Erkenntnisse ins öffentliche Bewusstsein einsickern, umso ungünstiger für deren Geschäftsinteressen. Was tut die Industrie also? Sie engt den Blick ein auf den reinen Ertragsvergleich zwischen industrieller Landwirtschaft und Bio, gerechnet nach Hektar, Menge und Gewicht. Begleiterscheinungen wie etwa Boden- und Biodiversitätsverlust sowie Trinkwasserverschmutzung werden bewusst ausgeklammert. Das ist Manipulation und aus wissenschaftlicher Sicht unhaltbar. Herrn Fyrwalds Aussagen in der NZZ sind dafür ein drastisches Beispiel.
Von wegen Ertragsunterschiede
Auch die Ertragsaussagen des Syngenta-Chefs sind kritisch zu hinterfragen. Dieser behauptet ja im obigen Zitat: „Die Erträge im Bio-Landbau können je nach Produkt um bis zu 50 Prozent tiefer ausfallen.“ Eine solche Zahl brennt sich ein und schürt Angst...
Es gibt zwar Ertragsunterschiede bei einzelnen Kulturen, aber diese müssen differenziert betrachtet werden. Eine der aktuellsten und umfassendsten Metaanalysen untersuchte 1.071 Ertragsvergleiche zwischen biologischer und industrieller Landwirtschaft aus 115 Studien, die in 38 Ländern in einem Zeitraum von 35 Jahren durchgeführt wurden. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Erträge beim Öko-Landbau in den studierten Fällen tatsächlich 15,5 bis 22,9 Prozent niedriger waren als beim industriellen Landbau. Die größte Ertragskluft lag bei Getreide wie Weizen oder Gerste. Doch bei anderen Sorten sah es anders aus. So gab es beim Hafer kaum Ertragsunterschiede. Gleiches gilt für Früchte und Nüsse, wo die Differenz nur bei sieben Prozent liegt. Eine globale Metaanalyse des amerikanischen Agronomen Cameron Pittelkow stellte sogar fest: Bei der Umsetzung aller drei Prinzipien der konservierenden Landwirtschaft, nämlich Direktsaat, Fruchtfolgen und kontinuierliche Bodenbedeckung, waren die Erträge insgesamt nur um 2,5 Prozent niedriger als die Erträge im industriellen Landbau.
Das Hungerproblem wird instrumentalisiert
Zurück also zum gerne benutzten Schreckgespenst des Hungers: Es gibt eine ganze Reihe gewichtiger Ursachen für den Hunger in der Welt. Sie reichen von Lebensmittelverschwendung, Klimawandel, miserablen Regierungen, Kriegen, ungerechter Verteilung von Land und Einkommen bis hin zur Spekulation mit Boden und Nahrung. Auch wird ein erheblicher Anteil der wertvollen Ackerflächen weltweit für die Futtermittelproduktion genutzt, weil wir gern sehr viel Fleisch essen. Die Flächen stehen somit nicht für die pflanzliche Nahrungsmittelproduktion für die Menschen vor Ort zur Verfügung. Der Ertragsunterschied zwischen industrieller Landwirtschaft und Bio-Landbau ist also nicht der Auslöser für Hunger, wie der Syngenta- Chef behauptet. Die agrochemische Landwirtschaft kann den Hunger, wenn überhaupt, immer nur kurzfristig eindämmen, mit allerdings langfristigen Schäden. Und die sind so gewaltig, dass dadurch die Ernährung der Menschheit nicht gesichert, sondern im Gegenteil gefährdet wird. Diese Schäden werden bewusst verschwiegen.
Fyrwald wird folgerichtig in dem Interview darauf angesprochen, dass synthetische Pestizide ja auch Schäden anrichten. Er erklärt dem Leser darauf, dass Europa eines der sichersten Zulassungs- und Kontrollsysteme weltweit habe und die Produkte, die auf den europäischen Markt gelangen, daher sicher sind. Worüber er nicht spricht: Viele Wirkstoffe, die in Europa bereits verboten sind, werden von den Chemieunternehmen weltweit immer noch sehr aktiv vermarktet und in großen Mengen abgesetzt. Die Produkte werfen damit für die Konzerne weiterhin Profite ab, richten aber entsprechende Schäden vor Ort an und gelangen über Lebensmittelimporte letztlich wieder als Schadstoffe auf unsere Teller in Europa. Im NZZ-Interview wurde auch vergessen zu fragen, warum etwa in der Schweiz über hundert Wirkstoffe wieder vom Markt genommen wurden, nachdem sie bereits zugelassen waren. Die Antwort lautet: Weil sich erst im Nachhinein herausgestellt hat, dass sie doch deutlich schädlicher und gefährlicher sind, als zunächst angenommen.
Greenwashing mit der Zauberformel regenerative Landwirtschaft
Fyrwald verkündet in dem Interview auch, dass die Zukunftsvision von Syngenta ‚regenerative Landwirtschaft‘ heißt. Das klingt natürlich gut, denn eine wirklich regenerative Landwirtschaft ist das Gebot der Stunde. Aber was ist von Syngenta genau damit gemeint? Im Gegensatz zu ‚Bio‘ ist die Bezeichnung ‚regenerative‘ Landwirtschaft nicht geschützt, was auch heißt, dass hierfür keine anerkannten Richtlinien und Kontrollsysteme existieren.
Daher kann sich im Grunde jeder öffentlichkeitswirksam das Mäntelchen der Regeneration und Nachhaltigkeit umhängen, indem er behauptet, dass man sich im Sinne der regenerativen Landwirtschaft ‚ausgerichtet‘ habe. Bei Syngenta und anderen Konzernen der Agrochemie, die mit dem System der chemischen Landwirtschaft Milliarden verdienen, gilt es also genauer hinzusehen, wenn von ‚regenerativer Landwirtschaft‘ die Rede ist. Die Bio-Wende ist das nicht für die Konzerne, denn Pestizide und Gentechnik gehören da nach wie vor dazu. Viele Menschen – darunter auch Politikerinnen und Politiker – halten die (Desinformations-) Kampagnen der Agrochemie-Konzerne für Wahrheit. Aber immer mehr Menschen lernen auch, Propaganda von wissenschaftlich fundierter Aufklärung zu unterscheiden, was auch durch die Tatsache belegt wird, dass eine totale Ablehnung und somit ein Verbot synthetischer Pestizide weltweit zunehmend mehrheitsfähig wird. Ein aktuelles Beispiel ist Mexiko, das gerade die Verwendung von genmanipuliertem Mais und Glyphosat verboten hat. Auch andere Staaten folgen diesem Beispiel.
Statt Feindbilder aufzubauen, muss alles getan werden, um die natürliche Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und Giftstoffe für Mensch und Tier zu vermeiden. Profite dürfen zukünftig nur noch im wechselseitigen Dialog und im Einklang mit der Natur erwirtschaftet werden.
Bernward Geier,
Christopher Schümann