Start / Ausgaben / bioPress 117 - Oktober 2023 / Gesetzliche Regelung von Gentechnik

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Gesetzliche Regelung von Gentechnik

AöL kommentiert Entwurf zu Neuen Genomischen Techniken

Im Juli 2023 hat die Kommission in Brüssel ein neues Gesetzespaket zur Regelung der Gentechnik vorgelegt. Der neue Gesetzesakt spricht zwar von ‚Neuen Genomischen Techniken‘ (NGT), diese sind aber schlicht Gentechnik – der EuGH hat das eindeutig bestätigt. Der Begriff ist wohl bewusst gewählt, um diese Tatsache in der öffentlichen Debatte und in der Gesetzgebung zu verschleiern. Ähnliches versuchten beispielsweise die USA schon vor mehr als 20 Jahren im ‚Codex Committee on Food Labeling‘ der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations), indem sie neue, kreative Begriffe wie ‚modern biotechnology‘ in den Codex-Standards etablieren wollten. Was dort nicht gelang, ist offensichtlich nun in der EU möglich.

Die Argumentationsgrundlage der Kommission für den Vorschlag ist der bestehende Unterschied zwischen transgenen Organismen, bei denen mittels gentechnischer Methoden Fremdgene eingebaut wurden, und den nun zu regelnden Techniken. Bei diesen führen gentechnische Methoden zu gezielten Veränderungen im Genom des Organismus, ohne Fremdgene einzubringen. Die Kommission empfiehlt auf dieser Basis, die neuen Gentechnikverfahren für Pflanzen zunächst von bisheriger Gentechnik, also zum Beispiel transgenen Organismen, zu unterscheiden und gibt ihnen den Namen ‚Neue Genomische Techniken‘ (NGT). Dahinter verbergen sich Verfahren wie zum Beispiel die CRISPR/Cas-Methode. Weiter schlägt die Kommission vor, diese neuartige Gentechnik in zwei Kategorien einzuteilen: in NGT I, die fast wie normale Züchtungsmethoden und in NGT II, die beinahe wie gentechnische Methoden behandelt werden sollen. Für die erste Kategorie bedeutet das ein Fehlen von Zulassung und Risikoprüfung (wie für GVO normal) sowie eine fehlende durchgehende Kennzeichnung als ‚GVO‘ bzw. der Produkte als ‚aus GVO‘ (wie in EG VO 1829/2003 verankert). Es ist lediglich eine Kennzeichnung auf der Ebene des Saatgutes vorgesehen. Für die NGT der Kategorie II sind Kennzeichnung und Zulassung wie bisher für GVO gefordert, jedoch wird zum Beispiel der Gestaltungsspielraum für Regeln auf der Ebene der EU-Mitgliedsländer eingeschränkt. Diese sollen die Anwendung von NGT II-Pflanzen auf ihrem Territorium nicht mehr einschränken dürfen.

Die bisher vorgeschlagene Trennlinie zwischen NGT I und NGT II (> 20 Basenpaare) ist aus unserer Sicht wissenschaftlich nicht belastbar. Über die Sinnhaftigkeit dieser Trennlinie an sich, und wenn ja deren Ausgestaltung, wird man noch intensiv politisch streiten müssen.

Für die Bio-Produktion wird ein spezifischer Ausnahmetatbestand von der oben genannten Einteilung eingeführt. So soll für Bio auch der Einsatz von NGT I-Verfahren ausgeschlossen bleiben. Weil diese von der Kennzeichnungspflicht für GVO ausgeschlossen sind, wird lediglich eine Kenntlichmachung und damit Unterstützung der Bio-Produktion auf der Ebene des Saatgutes vorgeschlagen. Eines ist klar: Kommen diese Regeln, liegen Nachweispflichten und Aufwendungen weitgehend bei den Bio-Unternehmen, die diese Verfahren eben nicht einsetzen möchten — eine erneute Umkehr des Anwender- und Verursacherprinzips. Weiterhin ist zu bezweifeln, ob eine solche Sonderregel, wie für Bio angedacht, rechtlich überhaupt standhaft ist, denn sie führt de facto dazu, dass Gentechnik in der EU nicht mehr einheitlich definiert ist.

Generell steht die Bio-Lebensmittelwirtschaft der Gentechnik, einschließlich der NGTs, ablehnend gegenüber, weil deren grundlegendes Konzept, dem Ansatz der ‚Grünen Revolution‘ aus dem letzten Jahrhundert folgend, dem Systemansatz der ökologischen Lebensmittelwirtschaft direkt entgegenläuft. Wir teilen auch die heute oft verbreitete Auffassung nicht, dass gentechnische Methoden einen zentralen Beitrag zur Ernährung der Menschheit leisten können. Schlicht deswegen, weil der Hunger auf dieser Welt primär eben kein Produktionsproblem, sondern vielmehr ein Problem des Zugangs zu Ressourcen und Geld ist.

Die Kennzeichnungsvorgaben gemäß EG VO 1892/2003 und EG VO 1830/2003 ziehen in Kombination mit der Freisetzungsverordnung (Richtlinie 2001/18 EG) heute die Grenze, welche Gentechnik-Anwendungen gekennzeichnet werden müssen und welche nicht. In der Lebensmittelpraxis entfaltet diese Trennlinie erhebliche Wirkung: Aufgrund der Ablehnung der Gentechnik durch den Lebensmitteleinzelhandel — basierend auf der nicht vorhandenen Akzeptanz der Verbrauchenden für Lebensmittel mit Gentechnik — bildet diese Trennlinie die Grenze für die Anwendung von gentechnischen Verfahren in Europa. Alle Akteure der Lebensmittelwirtschaft achten peinlich genau darauf, keine Anwendungen einzusetzen, die eine Kennzeichnung erfordern. Dort wo keine Kennzeichnung verlangt wird, schaut man auch nicht hin.  

Die EU-Bio-Verordnung konkretisiert diese Vorgaben in Hinblick auf die dort geregelten Stoffe und Anwendungen. Sie baut dabei sachlogisch und systematisch auf den allgemeinen Kennzeichnungsregeln der Verordnungen 1892 und 1830 auf und präzisiert diese zum Beispiel noch um den Ausschluss der Stoffe, die durch Gentechnik (das heißt biotechnologisch) hergestellt werden. Schon die Ergänzungen zu den Vorgaben der bestehenden Verordnungen sind heute eine deutliche zusätzliche Belastung und ein Risiko für Bio-Unternehmen, da diese sich auf Zusicherungen stützen müssen und die Nachweispflicht für Sorgfalt in dieser schwierigen Materie haben. Werden Bio-Rohwaren oder Zuschlagsstoffe für die Bio-Produktion aus Drittländern bezogen, in denen keine vergleichbaren Kennzeichnungs- und Transparenzstandards bestehen, ist die gesicherte Einhaltung der Vorgaben des Bio-Rechtes nochmals deutlich erschwert.  

Im Falle einer, laut aktuellem Vorschlag, fehlenden Transparenz über die Anwendung der NGT I in der Warenkette würden Nachweispflichten und Haftung hauptsächlich bei den Inverkehrbringern von Lebensmitteln liegen, die Bio herstellen wollen. Deshalb ist es zentral, dass auch in diesem Wirtschaftsfeld das Verursacherprinzip, Produzentenhaftung und die zugehörige Transparenz gesichert sind, um die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft und die Koexistenz verschiedener Produktionsformen zu gewährleisten. Konsequent etablierte Kennzeichnungsregeln gemäß der VO EG 1829 und 1830 aus 2003 für alle Arten von NGT sind die Voraussetzung, um die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung und unserer Kundinnen und Kunden mit überschaubaren Aufwendungen und Kosten einzuhalten. Sie sind auch Voraussetzung dafür, dass Chancen und Risiken in der Marktwirtschaft unter den Akteuren fair verteilt sind und somit der Wettbewerb funktioniert.

Alexander Beck

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