Nachhaltigkeit
Tierhaltung als Basis der Kreislaufwirtschaft
Symposium erläutert Wert und Probleme von Fleisch und Co
Brauchen wir noch Nutztierhaltung? In der Dubliner Erklärung von Wissenschaftlern zur gesellschaftlichen Rolle der Nutztierhaltung (Dublin Declaration of Scientists on the Societal Role of livestock) haben sich inzwischen über 900 Wissenschaftler aus aller Welt dafür ausgesprochen. Tiere seien für die Kreislaufwirtschaft unersetzlich und Grundlage des finanziellen Kapitals vieler ländlicher Gemeinden. Bei einem Symposium in Brüssel am 12. April haben Wissenschaftler die Ergebnisse der Erklärung vorgestellt.
„Tierhaltung ist heute ein umstrittenes Thema“, sagte Frédéric Leroy, Präsident der ‚Belgian Association for Meat Science and Technology’ (BAMST). Die Erklärung habe zum Ziel gehabt, eine ausgewogene Sichtweise zu präsentieren. Dabei stehe man aktuell vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits seien für die Ernährungssicherheit einer wachsenden Weltbevölkerung mehr tierische Lebensmittel gefragt; andererseits seien Herausforderungen im Bereich von Nachhaltigkeit, Tierwohl und Biodiversität zu bewältigen.
„70 Prozent der für Menschen relevanten Krankheitserreger haben einen tierischen Ursprung“, berichtete Badi Besbes aus der Abteilung Tierproduktion und -gesundheit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Die Tierhaltung sei verantwortlich für 14,5 Prozent der globalen Treibhausgase, verbrauche ein Drittel des Getreides und verwende 40 Prozent der weltweiten Ackerfläche und des Süßwassers. Gleichzeitig stünden die Länder mit dem geringsten Fleischangebot auch ganz oben auf dem Welthunger-Index.
Proteinquelle Fleisch
„Weltweit sind 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig“, erklärte Alice Stanton, Professorin für Pharmazie und Biomolekularwissenschaften am Royal College of Surgeons. Gleichzeitig seien 850 Millionen chronisch unterernährt und zwei Milliarden von ‚Hidden Hunger‘ betroffen – also ausreichend mit Kalorien, aber nicht mit genügend Nährstoffen versorgt.
„Nur in Ländern mit hohem Einkommen und in China sind genügend Proteine für die Ernährung der Bevölkerung verfügbar“, führte Peer Ederer, Gründer von Goal Sciences, weiter aus. Durchschnittlich würden rund 100 Gramm pro Tag und Person benötigt. Um die Weltbevölkerung zu versorgen, seien etwa doppelt so viele Proteine nötig, wie aktuell zur Verfügung stünden. 60 Prozent hätten nicht genügend Geld, um sich die entsprechenden Lebensmittel zu leisten.
„Seit vier Millionen Jahren ist der Mensch ein Allesfresser“, meinte Stanton. Unser Verdauungstrakt ähnele in seiner Struktur mehr dem von Fleischfressern als dem von Pflanzenfressern. Die von der EAT Lancet Commission postulierte Gesundheitsgefährdung durch rotes Fleisch stellte sie in Frage. Laut Studien sei rotes Fleisch erst ab einer Verzehrmenge von 75 Gramm pro Tag gesundheitsgefährdend. In einer neuen Veröffentlichung sei die Lancet Commission außerdem gegenüber ihrer Planetary Health Diet wieder ein Stück zurückgerudert und empfehle, ein Viertel des Nährstoffbedarfs über tierische Produkte zu decken.
Rinderzucht als Win-Win-Unterfangen
„Das global verfügbare Ackerland wird knapp“, sagte Wilhelm Windisch, Professor für Tierernährung an der Technischen Universität München. Die Erzeugung pflanzenbasierter Lebensmittel werde dabei in Zukunft höchste Priorität erhalten. 70 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche sei allerdings überhaupt nicht bebaubar, sondern werde von ‚absolutem Grünland‘ eingenommen, das zu steil, zu steinig, zu kalt, trocken oder nass sei, um darauf etwas anzubauen. Hier könne grasendes Vieh für offene Flächen mit hoher Biodiversität sorgen.
Außerdem seien nur 20 Prozent der landwirtschaftlich produzierten Biomasse für den Menschen essbar. „Ein Kilogramm veganes Essen erzeugt mindestens drei bis fünf Kilogramm nicht essbare Biomasse“, so Windisch. Diese könne nun direkt als Kompost zurück auf den Boden gebracht werden, was allerdings nicht sehr effizient sei. Eine höhere Düngewirkung lasse sich durch die Fermentation zu Biogas erreichen. Und eine Win-Win-Situation erreiche man schließlich, wenn man die Biomasse an Tiere verfüttert und anschließend den Mist als Dünger verwendet. „Durch Viehhaltung lässt sich der Ertrag an menschlicher Nahrung auf derselben Fläche um mindestens 50 Prozent steigern“, folgerte Windisch.
Hierbei seien vor allem Wiederkäuer gefragt – als einzige Art, die nicht essbare Biomasse verwerten kann. Auch wenn etwa bei der Hühnerhaltung deutlich weniger CO2 anfalle, müssten Hühner mit hochwertigen Nahrungsmitteln gefüttert werden und seien daher für die Kreislaufwirtschaft weniger geeignet. Der Einfluss des bei der Rinderhaltung anfallenden Methans werde außerdem überschätzt. Zwar sei es ein starkes Treibhausgas, werde aber auch schnell wieder abgebaut – anders als das schwächere CO2, das sich extrem lange in der Atmosphäre halte.
„Es gibt keine nachhaltige Landwirtschaft ohne Tierhaltung“, schloss Windisch. Innerhalb der Kreislaufwirtschaft gebe es keine Nahrungsmittelkonkurrenz und keine Landnutzungsänderung. Daraus folge aber ebenfalls, dass die Menge an tierischen Produkten begrenzt werden müsse.
Das Symposium wurde von der ‚Animal Task Force‘ (ATF) und der ‘Belgian Association for Meat Science and Technology’ (BAMST) organisiert und online übertragen. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung kann auf der Homepage der ATF nachgesehen werden. Zur deutschen Fassung der Dubliner Erklärung gelangt man unter http://www.dublin-declaration.org/de.
Lena Renner