Nachhaltigkeit
Sozialverträglich in die Agrarwende
BMEL-Nachhaltigkeitskonferenz diskutiert über Ernährung der Zukunft

Pünktlich zum ‚Earth Overshoot Day‘ 2023 in Deutschland – dem Tag, an dem die Menschen alle natürlichen Ressourcen, die die Erde bis Ende des Jahres zur Verfügung stellen kann, aufgebraucht haben – fand auf Schloss Kirchberg am 4. Mai die Nachhaltigkeitskonferenz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) statt. Sie bildete den Startpunkt für einen Beratungsprozess zum Transformationsbericht zu nachhaltigen Ernährungssystemen, den das BMEL gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium im Laufe des Jahres erarbeiten will.
„Schaffen wir es, dass Ernährung und Landwirtschaft auch übermorgen noch eine Zukunft haben?“, fragte der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir in seiner Eröffnungsrede. Aufgabe der Politik sei es, neben dem Heute immer auch die nachfolgenden Generationen im Blick zu haben. Deshalb begrüßte er, dass bei der Konferenz auch viele junge Leute eingeladen waren und mitdiskutierten. Gemeinsam gelte es, Naturschutz und Landwirtschaft in ein gesundes Verhältnis zu bringen und Zielkonflikte zu überwinden.
„Der Weg gegen Hunger wird nicht sein, die Welt, komme was wolle, weiter auszuquetschen“, betonte Özdemir. Dieser Ansatz würde die Ernährung langfristig so gefährden, wie es heute noch gar nicht vorstellbar wäre. Ein Weg aus der Krise sei dagegen der Ökolandbau, der Klima, Artenvielfalt, Boden, Wasser und Luft schütze. Für das Ziel von 30 Prozent Bio bis 2030 brauche es mehr Öko in der gesamten Wertschöpfungskette – auf den Feldern und in der Herstellung, in der Außer-Haus-Verpflegung, in den Verkaufsregalen und an der Ladenkasse. „Wir dürfen nicht länger warten und müssen unsere Hausaufgaben jetzt machen!“
Auf schnelles Handeln pochte auch Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission. Die schrecklichen Dürren in Italien und Spanien machten das Ausmaß der Herausforderungen und die Bedrohung der Ernährungssicherheit deutlich. Drei Pfeiler seien nun ausschlaggebend: Man müsse die Treibhausgasemissionen aus der Lebensmittelproduktion reduzieren, etwa durch die Speicherung von Kohlenstoff in Böden. Der Naturschutz müs-se verbessert und der Verlust der Biodiversität gestoppt werden. „Mehr als 60 Prozent der Böden in Europa sind nicht gesund“, so Timmermans. Das Bodengesundheitsgesetz, das in den nächsten Monaten eingeführt werden soll, werde diesen Zustand verbessern. Drittens brauche es ein neues Lebensmittelsystem, in dem die gesunde Wahl auch die einfache und günstigere Wahl ist.
Theresa Schmidt, Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend, und Moritz Tapp, Bundesvorstand der Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUNDjugend), waren als Jugendvertreter auf der Konferenz präsent. „Uns drückt der Schuh gewaltig!“, sagte Tapp. Die meisten notwendigen Maßnahmen seien im Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft bereits formuliert worden – jetzt müssten sie nur in Gesetze gegossen werden.
„Frust und Unmut sind groß unter den Landwirten“, berichtete Schmidt. Der Wille zum Umbau sei da, es fehle aber an Orientierung und Planungssicherheit. Sie forderte, den bürokratischen Aufwand an die Betriebsgröße anzupassen, und faire Wettbewerbsbedingungen entlang der gesamten Produktion zu gewährleisten. „Landwirte müs- sen von dem, was sie tun, leben können!“, so Schmidt. Ihre Leistungen müssten daher gesellschaftlich honoriert werden. Nicht nachhaltig sei es, die Landwirtschaft aus Deutschland abwandern zu lassen. Seien Betriebe einmal verschwunden, kämen sie auch nicht wieder.
„Wie es den Menschen im Agrarsystem geht, kommt zu kurz“, stimmte Inka Baumgart von der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zu. 87 Prozent der Auszubildenden machten Überstunden, viele davon unbezahlt. Nach einer neuen Studie zu den Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft seien 21 Prozent der dort arbeitenden Frauen akut Burnout-gefährdet. Dabei handele es sich um ein strukturell angelegtes Problem. „Landwirtschaft ist kein Beruf, sondern ein Leben.“
Riesenhebel AHV
„Gute Ernährung ist heute in Deutschland eine Frage des Geldbeutels und für viele ein unerreichbarer Luxus“, mach-te Tapp auf eine andere soziale Dimension der Ernährungswende aufmerksam. Hier bedürfe es einer großen politischen Veränderung. So müsse der Hebel der Außer-Haus-Verpflegung (AHV) jetzt betätigt werden, um die Teilhabe an gutem Essen zu ermöglichen. Denn wie es Janina Hielscher aus dem Leitungsteam von Slow Food Youth Deutschland auf den Punkt brachte: „Gesunde Ernährung ist kein Elitethema, sondern ein Menschenrecht!“
Über die hohe Bedeutung der AHV herrschte Einigkeit auf der Konferenz. Stephanie Wunder vom Thinktank Ago-ra Agrar identifizierte sie als Riesenhebel für den Absatz bio-regionaler Produkte und plädierte dafür, die Gemeinschaftsverpflegung schrittweise beitragsfrei zur Verfügung zu stellen. „Kosten von 30 bis 60 Milliarden Euro fallen in Deutschland pro Jahr aufgrund von Adipositas an“, stellte sie klar. „Billige Lebensmittel kommen uns teuer zu stehen!“
„Es ist eine Form der Wertschätzung, nicht am Essen zu sparen“, sagte auch Özdemir mit Blick auf die Versorgung von Kindern, Senioren, Kranken und der arbeitenden Bevölkerung. Zumindest einmal am Tag sollten alle Kinder in Deutschland eine gesunde Mahlzeit zur Verfügung gestellt bekommen. Dabei müssten die Einrichtungen des Staates mit gutem Beispiel vorangehen, was auch bedeute, weniger Fleisch anzubieten.
Tierhaltung: Finanzierung als A und O
Dem Thema Tierhaltung war auf der Nachhaltigkeitskonferenz ein eigenes Forum gewidmet. „Ob Flächenverbrauch, Emissionen, Phosphat oder Wasserverfügbarkeit – die Tierhaltung ist für alles relevant“, erklärte Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Ursprünglich habe Greenpeace eine Halbierung von Verzehr und Produktion bis 2050 gefordert. „Inzwischen glaube ich, dass es viel schneller gehen wird“, so Hofstetter. Es gebe einen gesellschaftlichen Konsens, dass was passieren muss. Jetzt sei die Frage nur, wie und wie schnell die Umsetzung gelinge.
Für 5D – das heißt geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet in Deutschland – machte sich Theresa Schmidt stark. „Die Herkunft muss auf tierischen Lebensmitteln drauf stehen!“, forderte sie und wünschte sich mehr Wertschätzung für die regionale Wertschöpfung.
„Das Interesse für eine Bio-Umstellung ist gerade wahrscheinlich so niedrig wie nie in den vergangenen Jahren“, befürchtete Daniel Schloz, Geschäftsführer der Regionalen Bioland Erzeugergemeinschaft (rebio). Um 30 Prozent Bio bis 2030 zu erreichen, seien daher deutliche Anstöße nötig.
Einen Knackpunkt stelle dabei die Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln dar. „Mit nichts kriegt man schneller Tierwohl als mit Geld“, meinte Jan-Hendrik Hohls, der für seinen Schweinemastbetrieb bereits Preise für innovative Tierhaltung gewonnen hat. Dieses müsse entweder vom Verbraucher oder vom Staat kommen.
„Nachhaltige Landwirtschaft gibt es nicht zum Nulltarif“, stimmte Özdemir zu. Für den zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung stelle diese Bundesregierung so viele Mittel bereit wie noch keine Bundesregierung zuvor. „Als Landwirtschaftsminister habe ich keinen direkten Zugang ins Finanzministerium“, räumte er allerdings auch ein. „An der Nachhaltigkeitskonferenz 2024 wird auch Christian Lindner teilnehmen“, scherzte daraufhin Jürn Sanders, Präsident des Forschungsinstituts für biologischen Landbau Europa (FiBL). Dass der Finanzminister mit an den Tisch muss, wurde von verschiedenen Seiten gefordert.
„Je länger wir warten, desto teurer wird es“, warnte Burkhard Schmied, Leiter der Abteilung für Landwirtschaftliche Erzeugung im BMEL. Ohne eine Anpassung der Tierhaltung seien die Klimaziele nicht erreichbar.
Dass auch zu viele Subventionen auf Dauer nicht nachhaltig sind, warf Peter Gottschalk, Vorstand der AgriCo Lindauer Naturprodukte AG, in die Runde. „Das Subventionsvolumen aus Brüssel ist immens“, meinte er. Durch dauerhaftes Subventionieren entstehe aber kein Fortschritt. Man müsse zwischen Subventionen und Investitionen in die Zukunft unterscheiden, entgegnete darauf aus dem Publikum Christoph Zimmer, Geschäftsführer von Bioland Baden-Württemberg.
Als angedachte politische Bausteine stellte Schmied die fünfstufige Tierhaltungskennzeichnung, die Förderung von laufenden sowie Investitions- kosten und eine Änderung im Bau- und Immissionsschutzrecht in Aussicht. Wegen des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt sei es wichtig, auch eine europaweite Kennzeichnung voranzubringen. „Nehmen Sie die Chancen wahr!“, rief Schmied die Landwirte zum Abschluss auf. Das BMEL werde versuchen, sie bestmöglich zu unterstützen.
Lena Renner