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Der Messias aus dem Labor
Ein Kommentar von VegOrganic-Geschäftsführer Matthias Beuger

Als Fleisch der Zukunft wird Laborfleisch mittlerweile in einem Atemzug mit pflanzlichen Alternativen genannt. Das Versprechen: Fleischessen ohne schlechtes Gewissen. Nachhaltiger Konsum ohne Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Utopie oder Heilsbringer für die Zukunftsfähigkeit der Lebensmittelwirtschaft?
Europa tut sich schwer mit dem Gedanken fleischlicher Alternativen aus dem Labor. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Umweltschutz aus 2019 würden nur 27 Prozent der Befragten In-vitro-Fleisch probieren. Zu-dem unterliegt die Zulassung neuartiger Lebensmittel der Novel Food-Verordnung und damit einem langjährigen Zulassungsverfahren. Während in anderen Ländern wie zum Beispiel Singapur Laborfleisch bereits vermarktet wird, hinkt die Europäische Union vermeintlich hinterher. Neben tierethischen Argumenten verspricht das sogenannte Clean Meat eine klimaneutrale Produktion. Ein Anliegen, das als Herzstück des Grünen Deals der Europäischen Union für den gesamten Kontinent als erster Kontinent gelingen soll. Die aktuelle Studienlage zeigt jedoch, dass die Versprechen, die mit dem Konsum von Laborfleisch einhergehen, mit Vorsicht zu genießen sind.
Laborfleisch rettet das Klima nicht
Dennoch, welche Rolle Laborfleisch bei der Suche nach Lösungen für die Transformation hin zu klima- und tierschonender Lebensmittelproduktion einnehmen wird, ist nicht absehbar. Hoher technologischer Aufwand, ein immenser Energie- und Wasserverbrauch und ein minimaler Ertrag lassen an der Machbarkeit zweifeln. Laut Umweltbundesamt zeigen neuere Studien, dass die Treibhausgas-Emissionen bei der Laborfleisch-Produktion die der konventionellen tierischen Produktion sogar überschreiten. Zumal es insbesondere in den entwickelten Ländern, für die diese Produkte aus Laborfleisch potenziell relevant sind, kein Defizit in Bezug auf die Eiweißversorgung der Bevölkerung gibt. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Gesund isst anders
Auch die vielmals genannten, gesundheitlichen Vorteile lassen sich bis heute wissenschaftlich nicht bestätigen. Dazu kommen technische Probleme. Nach wie vor ist beispielsweise der Einsatz von Antibiotika auch in der Laborfleischerzeugung notwendig und auch der Eintrag von Keimen und Krankheitserregern, insbesondere durch die Wachstumsmedien, kann nicht ausgeschlossen werden. Das Risiko für ernährungsbe-dingte Krankheiten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes oder Krebserkrankungen, die auf übermäßigem Konsum von Fleisch und daraus hergestellten Produkten basieren, gilt auch für Produkte aus Laborfleischverfahren. Langzeitauswirkungen und neuartige Problemstellungen sind aus heutiger Sicht ebenfalls schwer abzuschätzen.
Technologie kann abhängig machen
Neben den bereits genannten Aspekten ist die Entwicklung und Bereitstellung von Laborfleisch eine hoch technologische. Investitionen in Milliardenhöhe fließen jährlich in die Forschung und den Aufbau von Produktionsstätten. Ein Markt, den man sich leisten können muss. In einer Zeit, in der unsere Abhängigkeiten so deutlich sind wie seit dem kalten Krieg nicht mehr, sollten wir alles daran setzen, unser Ernährungssystem von Abhängigkeiten zu befreien. Freiheit durch Diversifizierung und damit resiliente Strukturen sollten unser Anliegen sein. Hochtechnologisierte Vorgänge wie das Züchten von Fleisch im Labor werden sich künftig höchst wahrscheinlich nur Großkonzerne leisten können. Somit werden vermutlich nur Großkonzerne von der neuen Technologie profitieren. Eine Technologie, die wenn sie einmal etabliert ist, neue Abhängigkeiten schafft. Unter anderem deshalb hat Italien bereits heute Laborfleisch verboten, um die bäuerlichen Strukturen zu schützen.
Ernährungskulturwandel ohne Verzicht
Das starke Wachstum der Marktanteile pflanzlicher Produkte und der erstmalige Rückgang von Fleisch und Fleischerzeugnissen zeigt, dass die auf pflanzlichen Rohstoffen basierenden Produkte immer beliebter werden. Es ist also möglich, einen Ernährungswandel auch ohne Labor herbeizuführen. Dennoch ist die Ernährung auch ein kulturelles Erbe und die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten ein kultureller Wandel, der Zeit braucht. Denn heute ist eine pflanzliche Ernährung auf Grund des vielfältigen Angebotes von Alternativen nicht mehr vom Verzicht geprägt, sondern überwiegend eine Frage der Gewohnheit. Hierfür braucht es ein offenes attraktives, integratives Bild und keine neue Technologie.
Fazit: Die Lösung ist bereits heute verfügbar
Auch wenn der Gedanke, die Probleme der Menschheit mit Technologie zu lösen, tief verwurzelt ist, sollten wir uns bewusst machen, dass Ernährung ein Teil der Einheit des Menschseins ist. Es sollte daher unser oberstes Ziel sein, die Menschen auf dem Planeten mit gesunden, nachhaltigen Lebensmitteln zu versorgen. Diese Lebensmittel sind bereits heute verfügbar. Eine Ernährung mit überwiegend geringverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln in Bioqualität aus gesunden, vielfältigen Strukturen ist das Zielbild einer Kulinarik des 21. Jahrhunderts.
Matthias Beuger