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Gutes Essen für alle

Gesprächsreihe der grünen Bundestagsfraktion

Gutes Essen für alle © stock.adobe.com_yvonne

Wie lässt sich die Welternährung durch eine zukunftsfähige Landwirtschaft nachhaltig sichern? Wie kann der Umbau der Tierhaltung funktionieren? Und wie kommen wir wieder zu mehr regionaler Verarbeitung? In fünf Online-Fachgesprächen der Grünen befassten sich Experten aus Politik, Wissenschaft und Praxis unter dem Motto ‚Gutes und umweltgerechtes Essen für alle‘ mit dem Ernährungssystem der Zukunft. Rund 150 Interessierte nahmen an der Veranstaltungsreihe teil.

„Seit dem zweiten Weltkrieg hatten wir kontinuierlich sinkende Hungerzahlen“, erklärte Martin Frick, Direktor des Berliner Büros des UN World Food Programmes (WFP) und Mitorganisator des Food Systems Summit 2021. Noch 2015 habe man optimistisch auf das UN-Nachhaltigkeitsziel ‚kein Hunger‘ geschaut. Von 2019 bis heute gab es dann allerdings wieder einen dramatischen Anstieg. Im Dezember 2021 litten 276 Millionen Menschen an Hunger – „die größte humanitäre Krise seit dem zweiten Weltkrieg.“ Mit dem Krieg in der Ukraine, der Kornkammer Europas, habe sich die Lage inzwischen nochmal verschlimmert. Der Dreiklang aus ‚Klima, Konflikt und Covid‘ sorge dafür, dass sich Menschen immer weniger Lebensmittel leisten können.

Aufbauende Landwirtschaft als Lösung

„Eigentlich gibt es genügend Lebensmittel auf der Welt – wir haben nur ein Verteilungsproblem“, meinte Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft. Für Frick gilt es zur Abhilfe, regionale Märkte zu entwickeln und viel mehr in den Ländern vor Ort zu produzieren, anstatt auf Billigimporte zurückzugreifen. Gleichzeitig müsse man mehr diversifizieren und an lokale Gegebenheiten angepasste Sorten anbauen. Gefragt sei eine Landwirtschaft, die mit möglichst wenig Inputs auskommt – am besten eine naturpositive Landwirtschaft, die natürliches Kapital aufbaut, anstatt es abzubauen. Das Grundnarrativ, dass Landwirtschaft möglichst wenig arbeitsintensiv sein sollte, stellte Frick dagegen infrage. „In vielen Ländern sind Arbeitskräfte in Fülle da!“, betonte er. Es seien Kleinbauern, die unser Lebensmittelsystem in Gang halten – insbesondere Frauen.

Engagement belohnen und Kleinbauern stärken

„Die EU erlaubt sehr viel mehr Nachhaltigkeit, als wir gerade umsetzen“, meinte Harald Grethe, Direktor des Think Tanks Agora Agrar. Der Flaschenhals sei dabei nicht das Wissen, sondern das Fehlen von politischen Mehrheiten, um die richtigen Schritte zu tun. Dabei schaffe Krisenerfahrung auch die Bereitschaft, ein Verhalten zu ändern.

Solange alle reich werden, die sich schlecht benehmen, klappt es nicht“, stellte Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, fest. Die Frage müsse also sein, wie man gutes Verhalten fördert. Auch um zu erreichen, dass wieder mehr junge Leute sich für den Beruf des Landwirts entscheiden. Um das Mehrengagement der Bauern zu belohnen und die ‚wahren Kosten‘ sichtbar zu machen, schlägt SEKEM-Geschäftsführer Helmy Abouleish Kohlenstoff-Zertifikate vor.

Für Sofia Monsalve besteht die Krux darin, die starke Machtkonzentration des Agrobusiness zurückzudrängen und durch Regulierung sicherzustellen, dass Umweltschutz und Arbeitsrechte eingehalten werden. Die kleine bäuerliche Landwirtschaft sei es, die die Menschen ernährt, aber das Landgrabbing-Problem werde immer noch schlimmer. „Wir müssen ein neues Handelssystem aufbauen und die Rechte von indigenen Völkern stärken“, meint die Generalsekretärin von FIAN International.

Als großer Hebel, um die landwirtschaftlichen Emissionen runterzubekommen, wurde der Moorschutz identifiziert. „Eine Moorschutzstrategie wäre eine Riesenleistung“, meinte Grethe. „Die Entwässerung von Moorflächen war mit gigantischen CO2-Emissionen verbunden“, stimmte Harald Ebner, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, zu. Die Ernährungssicherung der Zukunft ist für ihn mit einer Wiedervernässung verbunden.

Tierhaltung: Weniger ist mehr

Darüber, dass der Tierbestand deutlich reduziert werden muss, herrschte unter den Referenten Einigkeit. „60 Prozent unseres Getreides landet im Futtertrog – das könnten wir auch direkt essen“, erklärte Ebner. „Durch unseren hohen Fleischkonsum betreiben wir vielleicht sogar eine Art von Landgrabbing“, fügte Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Landwirtschaft und Ernährung, hinzu. Bis 2035 müsse der Tierbestand nach allen Berechnungen halbiert werden.

Durch eine vegane Ernährungsweise ließen sich laut Marco Springmann, der am Environmental Change Institut der Universität Oxford forscht, 80 Prozent der ernährungsbedingten Treibhausgase vermeiden. Da Fleischkonsum das Risiko ernährungsbedingter Krankheiten erhöht, könnte man damit zudem 20 Prozent der frühzeitigen Todesfälle verhindern. „Vegan ist eine der gesündesten und nachhaltigsten Ernährungsformen“, so Springmanns Resümee.

Die Verringerung des Konsums tierischer Produkte würde enorm viel bringen und müsse jetzt geschehen, pflichtete Grethe bei. „Ein Großteil der Landwirte hat begriffen, dass es mit der Tierhaltung nicht so weitergehen kann“, meinte er. Ohne eine Finanzierungsstrategie für mehr Tierwohl fehle ihnen allerdings die Perspektive für eine Alternative. „Deutschland könnte jetzt mit einer Neuorientierung vorangehen!“

Fleischsteuer und flächengebundene Tierhaltung

Dafür bräuchte es gar nicht viel Zubau, sondern nur einen Abbau, erklärte Springmann. Auch wenn man 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Umbau des Ernährungssystems ausgebe, sei das Ergebnis nach einer Kosten-Nutzen-Analyse noch positiv. Die Subventionen in der EU würden aktuell immer noch großenteils für nicht-nachhaltige Lebensmittel ausgegeben. Sie sollten stattdessen an die Produktion von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln gekoppelt werden. Außerdem schlägt Springmann vor, die Treibhausgasemissionen von Lebensmitteln durch Steuern zu bepreisen. Fleisch würde dann um etwa 40 Prozent teurer werden, Milch um 20 Prozent.

Auf Hindernisse der Ernährungswende wies der Agrarökonom und Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter hin. So gebe es in vielen Landkreisen Deutschlands eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tierhaltungs-Sektor. 20 Milliarden Euro Umsatz machten allein die Top 10 Schlachthöfe in Deutschland. Für eine gelungene Ernährungswende müssten sieben bis acht Millionen Tonnen mehr Gemüse angebaut werden. Viele Betriebe, besonders flächenarme, könnten aber nicht einfach auf Ackerbau umstellen und es bleibe die Frage, wie sich Grünland alternativ verwerten lässt. Andererseits würden durch den Umbau 105 Millionen Hektar an Flächen frei, die dann für den Anbau von Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Getreide genutzt werden können.

„Am wichtigsten ist es, ein alternatives Einkommen für die Landwirte sicherzustellen“, meinte Hofstetter. Langfristig sieht er die flächengebundene Tierhaltung als beste Lösung an. Es sollten dann nur noch Betriebe mit einem qualifizierten Flächennachweis unterstützt werden. Dass es auch Verlierer geben wird, lasse sich allerdings nicht vermeiden.

Und auf der Konsumseite? Nur noch einmal die Woche Fleisch anstatt des alten ‚deutschen Tellers‘ in der Gemeinschaftsverpflegung wünscht sich Renate Künast. In die nächste Ausschreibung für die Kantinen im Bundestag soll das Kriterium ‚pflanzlich‘ miteinfließen. Nach Grethes Meinung sollte die Gemeinschaftsverpflegung an Kitas und Schulen zudem beitragsfrei zur Verfügung stehen, sodass beim Thema gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche soziale Inklusion gewährleistet ist.

Kunstfleisch oder eine bio-vegane Zukunft?

Unerfreulich für die Bio-Branche: Bei einer großenteils veganen Ernährung könnte laut Springmann der Wegfall von Kuhdünger den Einsatz von mehr synthetischen Düngemitteln nötig machen. Kunstfleisch als Ersatz für Tierhaltung macht für ihn dagegen „überhaupt keinen Sinn“. Ernährungsphysiologisch würde der Konsum die gleichen Krankheitsrisiken wie der von echtem Fleisch mit sich bringen. Nach aktuellen Studien über die gegenwärtige Produktion fielen bei Kunst-Rindfleisch mindestens so hohe Emissionen an wie bei herkömmlicher Rindfleischproduktion. Und obendrein sei die Herstellung wahnsinnig teuer.

Innovationsquelle Handwerk

Ein Panel der Grünen-Reihe setzte sich mit der Krise des Lebensmittelhandwerks auseinander. „Große Unternehmen sind unglaublich starr – zu starr für die Ernährungswende“, stellte Manuela Rottmann, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, fest. Innovation, Wissen, Kreativität und Anpassungsfähigkeit seien alles Potenziale des Lebensmittelhandwerks. Mit kurzen Versorgungsketten sei es außerdem weniger abhängig vom globalen Handel, fügte Anke Kähler, Bäckermeisterin und Geschäftsführerin des Vereins ‚Die Freien Bäcker‘, hinzu, und hob die Bedeutung von Handwerksbäckereien für Resilienz und Versorgungssicherheit hervor.

„Wir brauchen Unternehmertum und Selbstständige!“, betonte Bohlsener Mühle-Chef Volker Krause. Ländliche Räume litten seit Jahren unter einem Brain-Drain und dem Verlust von Wirtschaftskraft. Landwirte suchten nach möglichst lokalen Abnehmern, könnten aber nur auf sehr lückenhafte regionale Versorgungsketten zurückgreifen. „Das Land braucht Wertschöpfungspumpen!“, so Krause.

Den Mangel an Mitarbeitern und Betriebsnachfolgern führt Henrike Perner, Projektmanagerin bei der agrathaer GmbH, zum Teil auf Imageverluste der als besonders stressig erachteten Handwerksberufe zurück. Auch der hohe Kostendruck und die vielen Dokumentations- und Kennzeichnungspflichten stellten das Lebensmittelhandwerk vor Herausforderungen. „Für kleine Unternehmen gelten die gleichen Hygienestandards, aber die Fixkosten können auf deutlich weniger Produkte umgelegt werden“, erklärte auch Rottmann und plädierte stattdessen für eine größenangepasste Regulierung.

Perner forderte vom Bundestag ein Innovationsförderprogramm ohne großen bürokratischen Aufwand. Um dem Personalmangel entgegenzutreten, sollten die verschiedenen Akteure in einer Region besser vernetzt werden. Außerdem müsse die Öffentlichkeit besser informiert werden, um eine neue Wertschätzung gegenüber Handwerksberufen zu erreichen. „Wieso schaffen wir es nicht über Rahmenbedingungen statt über Förderprogramme?“, fragte Bäckermeister Roland Schüren. Sein Wunsch: den Faktor Arbeit entlasten und gleichzeitig das Kapital belasten.

Lena Renner

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