Ernährungspolitik
Ernährungswende jetzt!
Die fortschreitende Industrialisierung der Lebensmittelproduktion geht auf Kosten von Umwelt, Klima und Gesundheit. Wie kann eine Ernährungswende gelingen? Und was sind die Voraussetzungen dafür? Damit beschäftigten sich gestern Experten im Rahmen der von den Grünen initiierten Online-Reihe ‚Zukunft der Landwirtschaft‘.
Unter der Moderation von Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Ernährungspolitik, diskutierten Achim Spiller, Professor für ‚Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte‘ an der Universität Göttingen, Antje Schubert, Geschäftsführerin des Lebensmittelunternehmens Iglo, sowie Peter Röhrig, Geschäftsführer des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
100 Milliarden Euro werden bei uns im Jahr für ernährungsbedingte Krankheiten ausgegeben, mahnte Peter Röhrig. Um diese Situation zu ändern, müssten wir dafür sorgen, dass der nachhaltige und gesunde Weg auch der leichtere sei.
„Es gibt keine Wunderwaffe für alle Probleme“, stellte Achim Spiller fest. Er zog eine Parallele von der Ernährung zum Tabakkonsum. Mit Hilfe von Werbeverboten, der Tabaksteuer und dem Rauchverbot in Restaurants habe man es geschafft, den Tabakkonsum innerhalb weniger Jahre stark zu minimieren. Auch in der Ernährung seien solche breiten politischen Maßnahmen nötig.
Einen hohen Stellenwert räumt er dabei der Bildung und der Gemeinschaftsverpflegung ein. An gesundes und nachhaltiges Essen könne man sich gewöhnen. Anders als es aktuell der Fall sei, sollten etwa Krankenhausküchen mit gutem Beispiel vorangehen. Antje Schubert pflichtete ihm bei, die Ernährungsumstellung sei großenteils eine Erziehungsaufgabe. Viel könne sich durch sozialen Druck bewegen – so wie heute kaum mehr einer an der Kasse zur Plastiktüte greife. Außerdem müsse gesunde Ernährung auch schmecken und Spaß machen, sodass sich der Verbraucher gerne dafür entscheide.
Spiller plädierte für eine integrierte Ernährungspolitik mit den vier zentralen Zielen: Gesundheit, Umwelt/Klima, Soziales sowie Tierschutz. Als Querschnittsthema betreffe nachhaltige Ernährung verschiedene Ministerien und erfordere Maßnahmen von der EU bis hin zur kommunalen Ebene. Als mögliches Beispiel führte er eine Lenkungssteuer an, die nachhaltige Produkte günstiger machen könnte.
Auch ein Klimalabel könnte dazu führen, dass Produkte langfristig klimafreundlicher werden. Schubert könnte sich ein solches für Iglo gut vorstellen. Man habe schließlich schon den Nutri-Score trotz ordentlichem Gegenwind durchgezogen. Röhrig steht dem Label etwas skeptisch gegenüber: So führten zu viele Labels zu einer Verbraucher-unfreundlichen Unübersichtlichkeit. Es sei die Frage, wie effizient das Label wäre, und ob man nicht etwa durch eine höhere CO2-Steuer mehr erreichen könnte.
Wichtiger als Label sei eine Änderung des ordnungspolitischen Rahmens. Das Marktversagen, dass sich die wahren Kosten nicht im Produktpreis widerspiegeln, müsse ausgeglichen werden. Außerdem sollte über einen Außenhandelsschutz zugunsten nachhaltiger Produkte erreicht werden, dass sich deren Herstellung auch lohne. Insgesamt bräuchten wir ein ausgeglicheneres Machtverhältnis zwischen den verschiedenen Akteuren der Wertschöpfungskette.
Darüber hinaus schlägt Röhrig einen Ernährungspakt, ähnlich dem Digitalisierungspakt, vor, in dem der Bund mehr Verantwortung übernimmt und dafür sorgt, dass Schulküchen und Schulgärten etabliert werden. So könnte man schon früh Kompetenz herstellen – sowohl in Anbau, als auch in Verarbeitung und Ernährung.
Lena Renner