Start / Ausgaben / bioPress 103 - April 2020 / Menschenrechte und Lieferkette

Nachhaltigkeit

Menschenrechte und Lieferkette

Naturland zeigt Verantwortung

Menschenrechte und Lieferkette © Naturland e. V.
Nora Taleb (Naturland)

Menschenrechte in internationalen Lieferketten: Was auf Bio-Unternehmen zukommt, tauschten auf der Biofach verschiedene Akteure der Biobranche aus. Die Praxiserfahrungen mit den entsprechenden Naturland-Anforderungen stellte Nora Taleb vor. Sie ist beim internationalen Öko-Anbauverband/Bioverband für Fair und Soziale Verantwortung zuständig.

Hintergrund für die Biofach-Debatte bildet die derzeit laufende Kampagne Initiative Lieferkettengesetz, die von der deutschen Politik griffige rechtliche Anforderungen bezüglich der sozialen und ökologischen Verantwortung im globalen Handel fordert. Ein breit gestützter Zusammenschluss zahlreicher Organisationen vertritt dabei ein gemeinsames Ziel: „Wir treten ein für eine Welt, in der Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden – auch im Ausland.“

Die Trägerorganisationen der Kampagne anerkennen zwar ausdrücklich die Eigeninitiative der Unternehmen, stellen jedoch aufgrund der Erfahrung klar: „Freiwillig kommen Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach. Daher fordern wir ein Lieferkettengesetz. Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften. Skrupellose Geschäftspraktiken dürfen sich nicht länger lohnen.“

Gesetzesvorlage noch nicht in Sicht

Bisher haben die Forderungen trotz starkem zivilgesellschaftlichem Druck und Unterstützung auch aus Teilen der Wirtschaft in der offiziellen deutschen Politik keine konkrete Wirkung erzielt. Immerhin unterstützen sowohl der Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als auch der Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) grundsätzlich das Anliegen, Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten zu verpflichten und auch bei ihren Zulieferern darauf zu achten. Ein konkreter Gesetzesentwurf liegt derzeit noch nicht vor.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier verweist jedoch auf den Nationalen Aktionsplan (NAP) Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung. Den Unternehmen wird darin bis Ende 2020 Zeit eingeräumt, die im NAP verlangten Sorgfaltspflichten umzusetzen. Den Verantwortlichen der Initiative Lieferkettengesetz geht der NAP jedoch nicht weit genug, insbesondere mit Blick auf die Wirkung auf Zulieferbetriebe von außerhalb der EU.

Naturland – soziale Verantwortung aus Tradition

Der internationale Öko-Anbauverband/Bioverband Naturland setzt seit jeher stark auf die soziale Verantwortung im globalen Biohandel. Als weltweit erster Öko-Verband hat Naturland 2005 die soziale Verantwortung für Arbeiter in der Lebensmittelproduktion in ihre Richtlinien integriert. Die Kernarbeitsnormen der International Labour Organisation (ILO) sowie die UN-Konventionen für Menschen- und Kinderrechte sind in den Sozialrichtlinien fest verankert. Jede Naturland-Zertifizierung steht für die Einhaltung der Menschenrechte und eine ökologische Erzeugung. Da- mit ist Naturland unter den Anbauverbänden in Deutschland einmalig.

Konsequenterweise unterstützt Naturland auch die Initiative Lieferkettengesetz und gibt als Pionier auf dem Gebiet seine Expertise in internationalen Gremien weiter. Im Rahmen einer Veranstaltung von VENRO Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. Ende 2019 legte Präsidiumsmitglied Hans Bartelme (Naturland Erzeuger) die Bewegründe dafür dar: „Dass eine ökologisch und sozial gleichermaßen nachhaltige Produktion möglich ist, beweisen schon heute viele Naturland Betriebe und Partnerunternehmen. Als Pioniere weisen sie die Richtung für die notwendige Transformation unserer Wirtschaft insgesamt. Gelingen wird diese Transformation aber nur, wenn der Staat alle Unternehmen gleichermaßen in die Pflicht nimmt. Ein Lieferkettengesetz muss dafür den Rahmen setzen.“

Sozialstandard-Praxis – geschultes Auge und Feingefühl

Die Sozialrichtlinien fördern gute Arbeitsbedingungen weltweit und geben detaillierte Vorgaben zu Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung aller Arbeiter. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gelegt. Als internationaler Verband gehört es zur täglichen Arbeit von Naturland, sich mit institutionellen, ökonomischen und kulturellen Besonderheiten der Länder auseinanderzusetzen und durch Betriebsbesuche die speziellen Bedürfnisse und sozialen Bedingungen der Arbeiter zu erfassen.

Nora Taleb (vgl. Interview) konkretisiert als Naturland-Verantwortliche für Fair & Soziale Verantwortung, wie die Einhaltung der Anforderungen in der Praxis sichergestellt wird. Die Sozialrichtlinien werden jährlich bei der Öko-Kontrolle durch unabhängige Kontrollstellen geprüft. Naturland investiert viel Zeit in die Schulung von Inspektoren, die die Einhaltung der Sozialstandards vor Ort überprüfen. Denn eine Sozial-Kontrolle braucht Feingefühl und ein geschultes Auge.

Welche Anforderungen zum Sozialstandard galten bisher auf rechtlicher Ebene - in Deutschland und EU?

Innerhalb der EU haben wir eine relativ gut entwickelte soziale Gesetzgebung. Herausforderung ist, dass die Sozialpolitik der EU nur begrenzte Zuständigkeiten hat und so die konkrete Umsetzung innerhalb der europäischen Länder unterschiedlich ist. Einen europäischen Mindestlohn gibt es noch nicht, obwohl das öfters diskutiert wird. Aber in fast allen Ländern der EU gelten Mindestlöhne oder Tariflöhne, Arbeitszeitenregelungen, Vertragspflicht und Versicherungspflicht. Die Naturland Richtlinien gelten dagegen in jedem Land, unterstützen geltendes Recht und gehen darüber hinaus. So kontrolliert Naturland jährlich die Einhaltung der Sozialrichtlinien und führt in Risikogebieten, wie beispielsweise Spanien und Italien, zusätzliche Stichproben durch. Es hat sich gezeigt, dass viele lokale staatliche Behörden nicht in der gleichen Intensität prüfen.

Zudem sind europäische Unternehmen bisher nur an europäisches Recht gebunden und für Menschenrechtsverletzungen außerhalb der EU nicht haftbar. Hier würde ein Lieferkettengesetz die notwendige gesetzliche Grundlage bieten. In einigen europäischen Ländern gibt es bereits eigene Initiativen, wie in Frankreich mit dem Gesetz für unternehmerische Sorgfaltspflicht Loi relative au devoir de vigilance des sociétés meres et des enterprises donneuses d’ordre.

Welche Auswirkungen haben UNO-Regelungen auf diese Entwicklung?

Staaten sind ja grundsätzlich angehalten UN-Normen in nationales Gesetz umzuwandeln, wenn sie die UN Normen ratifiziert haben. Dies geschieht leider zu selten. Die UN Normen, wie die ILO Kernarbeitsnormen oder der Sozialpakt bieten jedoch eine sehr wichtige Grundlage. Sie dienen nicht nur vielen NGOs und den Zertifizierern wie Naturland als Richtschnur, sondern auch den Regierungen bei der Überarbeitung von Gesetzesgrundlagen. Auch bei der Diskussion zum Lieferkettengesetz waren sie maßgeblich.

Die Initiative Lieferkettengesetz fordert aber zudem, dass das Gesetz wichtige ökologische Kriterien mitberücksichtigt! Das ist aktuell nicht Teil des Nationalen Aktionsplans (NAP) der Bundesregierung. Problematisch sind in diesem Zusammenhang die Bestrebungen, bei der Human Rights Due Dilligance (HRDD) nur die erste Produktionsebene zu überprüfen. Wenn der Zulieferer des deutschen Unternehmens wieder Subunternehmer hat, gelten die Anforderungen zu HRDD schon nicht mehr. Naturland bezieht die ganze Lieferkette in die Audits mit ein.

Bezogen auf die Naturland-Anforderungen: Was muss Naturland konkret anpassen - was wird heute schon verlangt und erfüllt?

Die Naturland-Richtlinien definieren heute schon sehr weit gehende Anforderungen (siehe Bericht). Sollte ein Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen kommen, müssten Naturland-zertifizierte Unternehmen höchstwahrscheinlich nichts ändern, da sie alle aktuell diskutierten Punkte von HRDD bereits erfüllen. Abgesehen davon entwickeln wir unsere Richtlinien aber stetig weiter. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahren Anforderungen anpassen werden.

Peter Jossi

 

Infobox
Naturland, Menschenrecht und soziale Verantwortung
http://www.naturland.de
Kontakt Nora Taleb Naturland-Verantwortliche ‚Fair & Soziale Verantwortung‘:
n.taleb@naturland.de
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