Start / Business / Themen / Märkte / Masse ohne Klasse

Biomärkte

Masse ohne Klasse

Auswirkungen fragwürdiger Bio-Qualitäten

In den USA und neuerdings in Frankreich bringt der Lebensmittelhandel fragwürdige Bioprodukte in Umlauf. Die immer schwelenden Zweifel an der Echtheit von Bio werden durch Betrugsfälle und Verwaschung der Biokriterien, in den USA begünstigt durch falsche Landwirtschaftspolitik, neu befeuert. Ähnliches droht aktuell auch den EU-Bio-Regeln, wo die Politik vor der Lobby eingeknickt ist und zukünftig größere Herden und neue Gentechniken zugelassen werden. Der Bioabsatz in Frankreich geht zurück, wie eine ARTE-Dokumentation berichtet. Und Bauern in Frankreich geben den ökologischen Anbau auch wieder auf, weil fünf Cent Aufschlag nicht ausreichen. So gingen mehr als 50.000 Hektar Ökolandbau verloren. Kunden kaufen wegen schlechten Erfahrungen weniger Bio.

In der ersten Dezemberwoche berichtete ARTE Erschreckendes über den Biomarkt in Frankreich. Der Big-Handel hat Bio in den Mainstream getragen und der Biovermarktung zum Erfolg verholfen. Die Verantwortlichen der Supermarktketten folgen dabei jedoch weniger den Ökolandbauregeln als den systemkompatiblen Gewinnerwartungen auf Kosten der versprochenen Bioqualität.

Französische Vermarkter von Ökoprodukten sind verschreckt, weil die Kunden ausbleiben. Der Ausweg wird in der Distanzierung vom Bio-Label gesucht. Im Produktmarketing wird das Bio-Label von der Verpackung entfernt und sich an die Bewegung Nature & Progres angelehnt. Auf den Produkten werden die einzelnen ökologischen Maßnahmen kommuniziert, von denen man sich natürlich nicht trennen will. Im Gegenteil, der echte Bioanbau wird verteidigt. Das scheint nur noch mit der Abkehr von den Biolabels möglich.

ARTE berichtet von fehlender Durchsetzungskraft der Zertifizierer, die machtlos der Korruption ausgesetzt sind. Diplomatie und bleibende gute Beziehungen beispielsweise zu Bulgarien scheinen wichtiger zu sein als bestehendes Recht. Auch die mit Pestiziden verseuchten Bioprodukte aus Spanien scheinen folgenlos zu bleiben. Wer Bio fälscht, muss aus dem Markt entfernt und mit Produktions- und Handelssperre belegt werden - so das Bio-Gesetz. Unterbleiben die Folgemaßnahmen, wirkt das wie eine Aufforderung zum Betrug. Geschädigt werden dabei die Ehrlichen. Sie können dem kriminellen Preisdruck nichts entgegensetzen.

Das Real Organic Project in Amerika beklagt seit Jahren die Unterwanderung der Biobewegung durch die Konzerne und den Landwirtschaftsminister und steigt aus dem Biomarkt aus. Sie können die in der Zwischenzeit wieder akzeptierte Massentierhaltung nicht mehr mittragen. Die Preise der Bauern mit ehrlicher Öko-Tierhaltung werden unterboten. Der Preisverfall für Ökofleisch und -Milch ruiniert die Ehrlichen. Rückblickend wird erkannt, dass es ein Fehler war, leichtgläubig auf Koexistenz mit der Industrie und dem Handel zu setzen. Kaum im Boot hatten die das Sagen und überstimmten die Bio-Ethik. Anfängliches Staunen musste der Ernüchterung weichen, neue Vermarktungswege ohne die Lebensmittelkonzerne gesucht und wieder von vorne begonnen werden.

Im Pflanzenanbau hat die US-Industrie-Lobby die Organic-Kriterien aufgeweicht und Hydroponik durchgesetzt, also Bioanbau ohne Boden! Da werden dann riesige Flächen Glyphosat verseuchter Böden mit schwarzer Kunststofffolie abgedeckt, um dann Bio in zehntausenden Töpfen mit Hydrokulturen anzubauen. Das geht dann ohne Wartezeit. Schließlich kommen die Pflanzen ja nicht mit dem Glyphosat in Berührung!  Auch Anbau in Containern wird betrieben, beispielsweise gerne in Asien, wo dann Bioprodukte ohne Boden wachsen und ohne je die Sonne gesehen zu haben.

Weit über 100 Milliarden Dollar Bio-Umsatz weltweit weckt das Interesse des Handels und seiner Nahrungsmittelindustrie. Sie wollen sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Und anstatt die Biobewegung zu unterstützen, wie sie angeben, erliegen sie ihrer Gier mit massenweise Greenwashing.

In Frankreich hat es eine Bio-Filialkette schwer getroffen. Ein Umfeld mit einer Filiale sollte das Wachstum auf fünf Filialen verkraften. Eine wurde bald wieder geschlossen. Der Umsatz der urprünglichen Filiale von rund fünf Millionen Jahresumsatz ging zurück auf 3,5 Millionen. Die vorgegebenen Jahresziele konnten nicht mehr erreicht werden. Adam Riese? Nie was davon gehört? Der Markteinbruch dürfte wohl nicht alleinige Ursache für schlechte Filialergebnisse sein.

In Deutschland fragen sich misstrauische Verbraucher seit Jahren, wo das viele Bio her kommt. Im Umfeld solcher negativen Nachrichten, auch wenn sie aus dem Ausland kommen und oft nur Fake sind, werden die Unkenrufe geweckt, auch die Ängste jener, die Bio gut machen und das Fleisch für ihre - eher kleine - Bio-Supermarktkette direkt von der Erzeugergemeinschaft aus dem Umfeld beziehen.

Was könnte das Geheimnis des stabilen, weltweit zweitgrößten Biomarktes Deutschland mit aktuell 17 Milliarden Euro Umsatz sein, wovon annähernd drei Viertel im Mainstream von Aldi und anderen Discountern über Edeka und Rewe bis zu allen Großflächen getragen wird?

Sind es die Verbände, die starke Kontrakte mit dem Handel geschmiedet haben? Auch hier gibt es Ängste, weil die nicht auf Ewigkeit ausgelegt sind. Muss sich die Branche wappnen für den Tag, an dem die Marktkräfte den großen Verbündeten in die Hände spielen werden und sie dann keine Rücksicht mehr nehmen auf die Bio-Ethik, wenn noch mehr Profit winkt?

Reicht der Einfluss jener Bioproduzenten, die ein paar ihrer Bioprodukte an die Handelszentralen liefern. Sie wollen ihre Produktion auslasten, und der Handel lässt sie in ihre Regale, weil sie auch deren Eigenmarken produzieren? Oder wirken sie nur wie Steigbügelhalter, wie manche befürchten? Wenn sich Produktgruppen durchgesetzt haben, werden die in die Eigenmarkenstrategie integriert. Sie hat heute schon mit 60 Prozent Eigenmarkenanteil eine viel höhere Quote als die herkömmlichen Eigenmarken (rund 40 Prozent). Oder was wird mit jenen, die mit viel Herzblut und Marketing den Weg ihrer Marke in die Regale geschafft haben? Werden sie ihre Preisvorstellungen weiter halten können, wenn der Handel Alternativen von Dr. Oetker oder Nestle aufweisen kann?

Heute liegt der Bio-Anteil bei rund sieben Prozent Lebensmittel-Marktvolumen. Nach 25 Jahren ist das 20 Prozent-Ziel von Renate Künast noch in weiter Ferne. Dennoch zielen alle, der Markt, die Politik - und auch die Bauern? - auf 30 Prozent. Das wären dann zwischen 60 und 80 Milliarden Euro. Wo sind die Systeme, wo ist das System, mit dem das im Sinne der Biobewegung organisiert werden kann, nach dem Motto: Der Handel braucht Bio, aber braucht Bio auch den Handel?

Zur Zeit bewegt sich jeder Einzelne möglichst in die Zentralen des Handels, der, wenn Produkte gelistet werden, schon jetzt die Produktwahl und Anzahl bestimmt. Das ist keine Nachhaltigkeit, eher ein Übergang, wie sich zeigen wird.

Auf der einen Seite steht die Biobranche mit ethischen und ökologischen Zielen, auf der anderen Seite der Handel, der mit seinen Outlets die 80 Millionen Verbraucher mit Lebensmitteln versorgt. Und nun steht eine Transformation an, weg von mit Agrochemie und Zusatzstoffen verseuchten Nahrungsmitteln hin zu vitalen Lebensmitteln, die neben Gesundheitsnutzen auch bei der Produktion den Boden und damit das Klima retten sollen.

Zur Zeit haben es die Zentral-Einkäufer, die wenig wissen von den Ursachen und Wirkungen der Kraft gesunder Biolebensmittel, in der Hand, wohin die Reise gehen wird. Kann Biolandbau die Welt ernähren? Nein werden die sagen. Klar, meint die Biobranche. 

Wie aber kann das umgesetzt werden. Die Bauern stellen nur auf Ökolandbau um, wenn sie sowohl Zukunft als auch einen stabilen Absatzmarkt darin sehen. Allein eine Umstellungsprämie reicht da nicht aus. In Frankreich hat der Handel die Bauern zur Umstellung verführt und das dann versaut, weil sie nur den Teil der Methode in die Verträge geschrieben zu haben scheinen, der dem Handel nützt. Die Bauern sind damit untergegangen. Und die Verbraucher auf der Strecke geblieben. Werden die Einkäufer in Deutschland Lehrgänge besuchen und dort lernen, das besser zu machen? Oder ist der Gedanke Unsinn?

Was bringt Resilienz in die Biomarktentwicklung? Das Motto "Viel vom Gleichen", wie es die Handels-Systeme anwenden, geht schief. Das sehen wir. Aus dieser Schieflage ist der Biolandbau doch erst notwendig geworden. Wieso also sollte dieses Handelssystem die Lebensmittel-ökologische Transformation schaffen?

Hin und wieder ist der Ruf nach Solidarität in der Biobranche zu hören, um dieses Problem anzugehen und auch nach einem Think Tank, in dem die Köpfe zusammen gesteckt werden sollen. Das Ziel: Der Handel wird gebraucht, dort kaufen die Menschen ihre Lebensmittel. Hindernis: Die Zentralen können das nicht richten. Sie sind anders gestrickt. Das ist vergleichbar mit einem Verkehrsrowdy, der Verkehrsregeln vorgeben soll.

Wäre das eine Lösung: Die LEH-Zentrale verhandelt mit einer Erzeugergemeinschaft. Die fühlen sich nicht ernst genommen und unterschreiben nicht. Sie liefern jetzt direkt an die Outlets der Lebensmittelkaufleute. Regionale Beziehungen oder auch lokale, wenn die Losgrößen zum Ausrollen nicht genügen, lassen sich in unserer Lebensmittel-Handelslandschaft eher umsetzen als anderswo.

Planwirtschaft im Handel kann genau so schief gehen, wie jede x-beliebige Zentralherrschaft, ob Kommunismus oder Putin. Freie Marktwirtschaft lässt regionale oder lokale Strukturen genau so zu wie zentralistische. Der Erfolg ist dabei von intelligenten Entscheidungen und den Machern abhängig. Hier und heute sind das in erster Linie natürliche, gesunde Lebensmittel und faire Beziehungen zu allen Beteiligten, den Bauern, den Kaufleuten und den Verbrauchern, basierend auf ethischen Grundsätzen, die gestern galten so wie  heute und  nicht erst ab morgen gelten sollen.

Ein gesunder Geist braucht einen gesunden Körper und umgekehrt. Das könnte den Kaufleuten als nachhaltiger Leitgedanke dienen. Gesunde Lebensmittel auf dem Teller werden auf gesunden Böden ohne Agrochemie erzeugt. Die Verantwortung dafür tragen alle, die Bauern, die Kaufleute und die Verbraucher. Aktuell liegt der Ball bei den Kaufleuten. Wenn sie frische Bio-Vollsortimente in ihre Theken und Regale bringen, gewinnen sie Vertrauen und das Ringen um die Verbauchergunst.

Verwaltung und Politik benötigen mit der Rücksicht auf demokratische Prozesse etwas mehr Zeit, das mag ihnen verziehen sein. Die werden mit aktualisierten Rahmenbedingungen nachziehen, wenn, wie in den letzten 25 Jahren, immer mehr Menschen Bio als Grundlage für ihre gesunde Ernährung erkennen. Wir sollten von der Politik und den Verwaltungen jedoch erwarten und verlangen dürfen, dass sie geltendes Recht durchsetzen und erreichtes nicht aufweichen lassen.

Erich Margrander

[ Artikel drucken ]


Das könnte Sie auch interessieren

Wasgau baut elektrische LKW-Flotte auf

Strategischer Entscheid für E-Mobilität

Wasgau baut elektrische LKW-Flotte auf © WASGAU AG

Die Wasgau C+C Großhandel GmbH, der Cash-und-Carry-Spezialist des Pirmasenser Lebensmittel-Handelsunternehmens Wasgau, hat drei neue Elektro-Zustell-LKWs und eine Elektro-Sattelzugmaschine angeschafft, die auch schon in Rheinland-Pfalz und dem Saarland unterwegs seien. Im Laufe des Jahres sollen zwei weitere Elektro-Zustell-LKWs hinzukommen.

01.07.2025mehr...
Stichwörter: Frankreich, Nachhaltigkeit, Handel, The Real Organic Project, Biomärkte

Hohe Haltungsform auf einen Blick

Aldi Süd ordnet Frischfleischkühlung neu an

Hohe Haltungsform auf einen Blick © ALDI SÜD

Unter dem Motto ‚Haltungswechsel‘ hat sich Aldi Süd bereits 2021 zum Ziel gesetzt, bis 2030 Frischfleisch, gekühlte Fleisch- und Wurstwaren sowie Trinkmilch nur noch aus Haltungsform 3 und höher anzubieten. Damit Kunden noch einfacher erkennen können, aus welcher Haltungsform die Produkte stammen, geht der Discounter nun den nächsten Schritt und ordnet die Frischfleischkühlung neu an: nach Haltungsformen statt nach Tierarten.

12.05.2025mehr...
Stichwörter: Frankreich, Nachhaltigkeit, Handel, The Real Organic Project, Biomärkte

Symposium Essen und Trinken lädt zum Kick-off

Auftaktveranstaltung der neu formierten Dialogplattform SET am 6. März in München

Unter dem Motto ‚Die Zukunft is(st) jetzt‘ lädt das Symposium Essen und Trinken zum Jahresauftakt in München. Am Donnerstag, 6. März von 10 bis 23.00/0.00 Uhr, treffen sich laut Veranstaltern Entscheider und namhafte Experten aus der ganzen Wertschöpfungskette im Dampfdom der Münchner Motorwelt, um die Branche enger zu vernetzen und fit für die Herausforderungen von Morgen zu machen.

28.02.2025mehr...
Stichwörter: Frankreich, Nachhaltigkeit, Handel, The Real Organic Project, Biomärkte