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Pestizide

Bürgerkampf gegen Glyphosat-Wiederzulassung

Zahlreiche NGOS wollen EU-Kommission verklagen

In der vergangenen Woche haben viele verschiedene NGOs parallel zueinander Beschwerden bei der Europäischen Kommission eingereicht, um die Wiederzulassung von Glyphosat anzufechten. Sie verletze das Vorsorgeprinzip und verstoße gegen EU-Recht. Sowohl ein Konsortium aus sechs Nichtregierungsorganisationen um PAN Europe als auch das französische Kollektiv ‚Secrets toxiques‘ und in Deutschland die Aurelia Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) haben als ersten Schritt im Rechtsstreit einen Antrag auf interne Überprüfung bei der Kommission gestellt.

Nach Ansicht von ‚Secrets toxiques‘ war das Überprüfungsverfahren, das zur Wiederzulassung Glyphosats geführt hat, nicht rechtskonform. Das sogenannte Blaise-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sieht vor, dass jede toxikologische Analyse eines Stoffes auch die langfristigen Auswirkungen (mehr als zwei Jahre) seiner Exposition betrachten muss, und zwar in der Form, in der es in der kompletten Produktzusammensetzung auftritt. Dagegen habe die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nur eine ‚repräsentative Formulierung‘ untersucht, und zwar das von Bayer vertriebene Roundup Bioflow. Sie habe Schlussfolgerungen auf Basis von getrennt vorliegenden Verbindungen gezogen und im Bewertungsbericht fehlten Angaben, die eine Einschätzung der langfristigen Toxizität für Umwelt und menschliche Gesundheit ermöglichen. Zu Secrets toxiques gehören 78 französische und europäische Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen.

PAN Europe und Co heben unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip hervor, dass die wissenschaftliche Literatur in der Bewertung nicht ausreichend berücksichtigt wurde: Über 90 Prozent der existierenden toxikologischen Studien seien außen vor geblieben. Nur sehr wenige, die sich mit der fortpflanzungsgefährdenden Wirkung und den Folgen für die Biodiversität befassen, seien miteingeflossen – den Großteil machten veraltete Studien von Pestizidherstellern aus, die noch an Protokollen hängen, die vor mehreren Jahrzehnten von der Industrie entwickelt wurden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur krebserregenden Wirkung, Genotoxizität und Neurotoxizität fehlten. Der Antrag wurde neben PAN Europe von PAN Germany, PAN Netherlands, ClientEarth (EU), Générations Futures (Frankreich) und Global 2000 (Österreich) unterschrieben.

Auch Deutsche Umwelthilfe und Aurelia Stiftung stellen eine aus Sicht der Verbände unzureichende Risikobewertung und erhebliche Datenlücken ins Zentrum ihres Antrags. Die Auswirkungen von Glyphosat auf Wasserorganismen, Rückstände in Produkten sowie Risiken für bestäubende Insekten und Amphibien seien bis heute nicht abschließend bewertet worden, wie die EFSA in ihren wissenschaftlichen Schlussfolgerungen vom Juli 2023 bestätigt habe. Die unabhängig von Pestizidherstellern durchgeführten Studien belegten dagegen den unmittelbaren negativen Einfluss auf bestäubende Insekten. „Die EU-Kommission verschärft mit ihrer Glyphosat-Entscheidung das Artensterben und gefährdet dadurch mittelfristig auch die Ernährungssicherheit in der EU“, so Matthias Wolfschmidt, Vorstandsvorsitzender der Aurelia Stiftung.

Im Herbst 2023 hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, das umstrittene Totalherbizid Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen. Nachdem in zwei Abstimmungsrunden unter den Mitgliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit erreicht wurde, hat die EU-Exekutive die Zulassungsverlängerung im Alleingang durchgesetzt.

Durch die neuen Regeln der Aarhus-Konvention, die 2021 reformiert wurden, hatten Bürgerorganisationen die Möglichkeit, die Entscheidung innerhalb von zwei Monaten anzufechten, was mit den Anträgen auf interne Überprüfung geschehen ist. Die Kommission wiederum hat nun rund fünf Monate Zeit, um auf die Beschwerden zu reagieren. Wenn sie den Einspruch ablehnt, können die Beschwerdeführer innerhalb von zwei Monaten Berufung beim EuGH einlegen.

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