Kongress
Bio für die Welternährung
VI. World Organic Forum im Bauernschloss Kirchberg

Die Wüste begrünen, Hunger bekämpfen und Ökoysteme erhalten: Weltweit sorgen Bio und Agrarökologie für den Schutz von Ressourcen und langfristige Ernährungssicherheit für alle. Beim 6. World Organic Forum, das Ende Juni auf Schloss Kirchberg stattfand, zeigten Referenten aus Brasilien, Ägypten und Deutschland anhand lebendiger Beispiele die Leistungen von Bio – und diskutierten darüber, wie Bio-Ausbau und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung vorangetrieben werden können.
Auf dem „Kraftplatz für die ökologische Bewegung“, der veranstaltenden Akademie Schloss Kirchberg, und als Gegenmodell zum World Economic Forum eröffnete Gastgeber Rudolf Bühler am 27. Juni 2023 das 6. World Organic Forum. Im Mittelpunkt stand das langfristige Ziel der Veranstaltung, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) im ländlichen Raum zu verankern und ein Netzwerk der SDG-Regionen weiterzuentwickeln. Dafür trafen sich wieder inter- nationale Vertreter dieser Regionen auf Schloss Kirchberg, tauschten ihr Fachwissen aus und inspirierten sich für neue Projekte. 150 Interessierte aus zwölf Ländern nahmen nach Angaben der Akademie am Forum teil, dazu wurde ein Online-Livestream angeboten.
„Wirtschaften sollte nach unserem Verständnis gemeinwohlorientiert und solidarisch sein“, sagte Bühler, „und im Einklang mit den Leitbildern ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ und ‚Respekt vor der Schöpfung‘ stehen.“ Bei den SDGs gehe es darum, die Welternährung langfristig zu sichern. Das funktioniere nicht über die klimafeindliche chemische Agrarwirtschaft. Selbst die Boston Consulting Group habe in einer kürzlich veröffentlichten Studie festgestellt, dass der jährliche Ressourcenverbrauch der konventionellen Landwirtschaft in Deutschland (89 Milliarden Euro) deutlich über ihrer Produktionsleistung (48 Milliarden Euro) liegt. „Das ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn!“, so Bühler. „Wir brauchen die Einpreisung externer Kosten und Vergütungssysteme für den externen Nutzen ökologischer Agrarsysteme“, folgerte er. Es sei ein politischer Auftrag, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten und damit das Verursacherprinzip umzusetzen.
Agrarökologie gegen Ausbeutung und Raubbau
Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigte Regine Kretschmer, Referentin für ländliche Entwicklung bei Misereor, am Beispiel Lateinamerika. Seitdem mit der Jahrtausendwende die Nachfrage nach Metallen für Handys expandierte, habe dort auch der Raubbau an der Natur massiv zugenommen. Als Folge des sogenannten Neo-Extraktivismus wurden große Waldflächen illegal abgeholzt. Zugleich florierte eine Landwirtschaft, die auf externen Inputs basiert: auf hohem Pestizideinsatz, gentechnisch veränderten Organismen und Maschinen statt Menschen. Das neue System führte zu Gewalt, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen, und Bergbau und Agrobusiness wurden zu „Hotspots von Ermordungen“, so berichtete Kretschmer.
Ein Gegenmodell sei die Agrarökologie, die auf dem kulturellen Wissen der Indigenen basiere. Die Länder und Territorien von Kleinbauern müssten dafür abgesichert werden und sie müssten Zugang zu Gemeingütern sowie eigenes Saatgut erhalten. Außerdem gelte es, Konsumenten und Kleinbauern zusammenzubringen, um die lokale Wirtschaft aufzubauen.
Chance Agrarsubventionen
„Bis zu 3,6 Milliarden Menschen leben in klimavulnerablen Kontexten“, berichtete Felicitas Röhrig vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die Frage sei daher nicht, ob die Transformation nötig sei, sondern wie man sie erreichen könne. Für ein System, das die planetaren Grenzen achtet, brauche es einen grundlegenden Paradigmenwechsel – mit neuen Finanzierungsmechanismen und einer Dezentralisierung von Macht. Das BMZ fördere die Agrarökologie und den Marktzugang von Bio-Produkten, engagiere sich für mehr Bodenschutz, Geschlechtergerechtigkeit und einen besseren Zugang zu gesunder Ernährung. „Die meisten Agrarsubventionen sind laut Studien ineffizient, ungerecht und schlecht für die Gesundheit“, klärte Röhrig auf. Heißt im Umkehrschluss: Sie umzustrukturieren bedeutet auch eine große Chance für die Transformation.
Ernährung sichern in Brasilien
Franciléia Paula de Castro, die bei der brasilianischen NGO FASE, die sich für Bildung und die Wahrung der Menschenrechte einsetzt, tätig ist, hob den Beitrag von Agrarökologie zur sozialen Gerechtigkeit hervor. Sie respektiere die Lebensweisen der lokalen Bevölkerung und umfasse Geschlechtergerechtigkeit und Antirassismus. „Agrarökologie ohne soziale Komponenten ist Gärtnerei!“, meint die Aktivistin und Agrarökonomin. Während Bolsonaro habe es in puncto Ernährungssicherheit große Rückschritte gegeben. 2022 waren laut einer Studie wieder 33 Millionen Menschen in Brasilien von Hunger betroffen, vor allem Frauen und Schwarze.
„Von 2014 bis 2018 waren wir gar nicht mehr auf der UN-Hungerkarte“, knüpfte daran Antonio Andrioli an, der aktuell an der Universität Hamburg als brasilianischer Gastprofessor und Experte für Agrarökologie lehrt. Jetzt habe die soziale Ungleichheit wieder sehr zugenommen: Ein Prozent der Großgrundbesitzer besäße über 47 Prozent der registrierten Ackerfläche. In Monokulturen werde viel zu viel billiges Soja angebaut und exportiert. Zwei Drittel davon gingen in Futtertröge und Tanks, anstatt auf Tellern zu landen. Auch bei der Wiederwahl von Lula da Silva sei die Hungerbekämpfung ein entscheidendes Thema gewesen. Alle Brasilianer sollen drei Mal am Tag etwas zu essen haben, so das Ziel des Präsidenten. Ein Schlüssel dafür sei es, die kleinbäuerliche Produktion zu fördern – wie es etwa im Programm der Schulspeisungen geschehen sei. Dabei kaufte die Regierung Produkte der lokalen Landwirtschaft, um warme Mahlzeiten für Schüler zur Verfügung zu stellen. Auch an die deutsche Regierung stellt Andrioli einige Forderungen: den Export von in der EU verbotenen Pestiziden verbieten, die Gentechnik nicht wieder flexibilisieren, das Mercosur-Abkommen stoppen und Tierprodukte aus Massentierhaltung kennzeichnen.
Bio braucht mehr Forschung
„Die Zeit für dogmatischen Idealismus ist vorbei“, verkündete Marco Schlüter, Interims-Geschäftsführer des Bio-Dachverbands IFOAM - Organics International. In einem permanenten Krisenmodus sei die Zeit für pragmatische Lösungen gekommen. Nach der Hülsbergen-Studie spare Bio verglichen mit konventionell Milliarden an Folgekosten. Auch die Energiekrise mit den erhöhten Düngerpreisen habe gezeigt, dass Bio ein Teil der Lösung ist – und keine Luxusoption. Allerdings gebe es noch Verbesserungspotenzial, was die Erträge angeht. „Bio ist sehr wissensintensiv und braucht permanente Innovation“, stellte Schlüter klar. Mit einer Umschichtung der Forschungsgelder, die bisher fast ausschließlich für die konventionelle Landwirtschaft verwendet würden, könne viel bewegt werden.
Ein starkes Plädoyer für den Ökolandbau als zentrales Instrument in der Klimakrise hielt auch Hubert Weiger, Ehrenvorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Der Ökolandbau muss Leitbild werden statt Nische!“, rief er auf. Er stelle den weltweit gefährdeten Boden als wichtigste Ressource in den Mittelpunkt, baue Humus auf, binde Kohlenstoff und erziele damit in tropischen Regionen sogar höhere Erträge als die konventionelle Landwirtschaft. Er schütze das Grundwasser, könne den Verlust von Arten aktiv stoppen und erhalte mit der flächengebundenen Tierhaltung Wiesen und Weiden als großräumigstes Ökosystem weltweit.
„Unsere täglichen Einkaufsentscheidungen entscheiden über unser Zukunft“, betonte Weiger. Deutschland sei das Land mit der höchsten Discounter-Dichte der Welt. Diese aber vernichteten dezentrale Verarbeitungsstrukturen. „Wir müssen bereit sein, für Qualitätslebensmittel auch entsprechende Preise zu zahlen.“
Gerechte Preise, würdiges Einkommen
Darüber, was ein gerechter Preis ist, referierte Christoph Simpfendörfer, Generalsekretär von Demeter International. Aktuell bekomme ein Landwirt das, was übrig bleibt, wenn die anderen ihre Margen kassiert haben. Betriebsnachfolger fehlten allerdings weltweit und es brauche Einkommensmöglichkeiten auf dem Land, damit die Leute dort bleiben – nicht nur existenzsichernde Löhne, sondern ein würdiges Einkommen, das dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht. Um dahin zu kommen, habe Demeter letztes Jahr etwa für seine Bananen Mindestpreis und Sozialprämie eingeführt. Auch auf seinem Hof in Deutschland lebt Simpfendörfer das Prinzip einer wertschätzenden Wirtschaft: Der Reyerhof wird von einer Solidarischen Landwirtschaftsgruppe mitgetragen, in der – nach einem System der freiwilligen Selbsteinschätzung – jeder das zahlt, was er kann.
Bio in der Wüste
Ein Experte für langfristige, wertschätzende Partnerschaften ist auch Sekem-Geschäftsführer Helmy Abouleish, der mit seinem Vater in Ägypten eine „Wirtschaft der Liebe“ etabliert hat. Mit Hilfe des „schwarzen Goldes“ Kompost und einer lebendigen, motivierten Gemeinschaft ist es Sekem gelungen, die Fruchtbarkeit und Wasserhaltefähigkeit des Bodens zu verbessern und so eine erfolgreiche Landwirtschaft in der Wüste aufzubauen – „eine richtige mission impossible“, so Abouleish stolz. Mit 800 Millionen Teebeuteln, die zu 80 Prozent in Ägypten verkauft werden, ist Sekem heute Marktführer im ägyptischen Kräuterteemarkt. Nebenbei wurde unter der Schirmherrschaft des Unternehmens die Heliopolis-Universität für nachhaltige Entwicklung eröffnet, an der sich heute 3.000 Studenten über nachhaltiges Unternehmertum, grüne Architektur und biologische Landwirtschaft weiterbilden. Aktuelles Ziel Sekems ist es, sein Wissen als Kompetenzzentrum weiter in die Gesellschaft zu tragen. Bis 2025 sollen 40.000 Bauern für die Bio-Umstellung erreicht werden.
Für Veränderung braucht es Mehrheiten
Aus der politischen Praxis in Deutschland berichtete der Grünen-Abgeordnete Harald Ebner, der dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz vorsitzt. „Für das, was wir hier diskutieren, gibt es im Bundestag keine Mehrheit“, so seine ernüchternde Einschätzung. Das Thema Klimaschutz habe eigentlich bei beiden Koalitionspartnern wenig Priorität – „und Biodiversität schon gar keine.“ Es sei daher schwer, das Notwendige zu tun. Damit, Verzicht zu predigen, erreiche man nicht viel. Das kommende Tierhaltungskennzeichen sei dagegen ein wichtiger Schritt, um Transparenz herzustellen. Subventionen müssten gemeinwohlorientiert vergeben werden, um die richtigen Anreize zu bieten. Gleichzeitig dürfe aber auch das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nicht zu kurz kommen – andernfalls sei komplett irrationales Verhalten die Folge.
Vom Anthropozän zu mehr Umweltschutz
Die globale Perspektive beleuchtete schließlich der Ehrenpräsident des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker. Das von der menschlichen Wirtschaft dominierte Zeitalter habe sich erst in den letzten 73 Jahren entwickelt. Die Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen sei dann als ‚Notschrei‘ in einer immer voller werdenden Welt verabschiedet worden. Dennoch verfolgten auch dort die ersten elf Entwicklungsziele aggressive anthropozentrische Wirtschaftsimperative – die drei Umweltziele kämen eher als Anhängsel. Weizsäcker schlug daher vor, die 17 SDGs als Pyramide aufzustellen, mit den Umweltzielen als Basis. Denn: „ohne gesunde Natur kein Wohlstand.“
Da die deutschen CO2-Emissionen nur rund zwei Prozent des weltweiten Ausstoßes umfassten, müsse das Klima auch auf der außenpolitischen Agenda stehen. Europa sei momentan der einzige Kontinent, der Klimaschutz einigermaßen ernst nimmt. Das Problem: Wohlstand korreliert mit Klimaschädigung – je höher das BIP, desto höher auch die CO2-Emissionen pro Kopf. Dieser Zusammenhang müsse dringend entkoppelt werden, zum Beispiel über den ‚Budget Approach‘: Dabei bekämen alle Länder ein gleiches Recht pro Kopf für Klimabelastung. Die alten Industrieländer hätten ihr Budget allerdings schon fast aufgebraucht und müssten in Entwicklungsländern Lizenzen kaufen. „Mit dem Ansatz würde Indien zum Beispiel durch den Kohleausstieg reicher“, erklärte Weizsäcker.
Energiepolitisch sieht der Umweltwissenschaftler viel Potenzial in der Photovoltaik, die innerhalb von 40 Jahren um den Faktor 300 billiger geworden sei. Besonders Agri-Solar könne mehr genutzt werden, vermindere es doch das Austrocknen des Bodens, helfe der Biodiversität und führe kaum zu Ernteverlusten. Außerdem brauche es dringend den klimaneutralen Verbrenner, Stichwort E-Fuels.
Auf die Frage nach den wichtigsten Treibern in Richtung Nachhaltigkeit nannte Weizsäcker Preise, die die ökologische Wahrheit sagen, mehr Gemeinschaftssinn und mehr Suffizienz – „ein neues Verständnis davon, was gut ist“. Der langsame Wandel werde nicht nur von der Regierung verantwortet. Langfristig denken sei nicht beliebt und das Volk ein wahnsinniger Bremser. „Wir brauchen eine Überzeugungskampagne“, folgerte er.
Das nächste World Organic Forum soll vom 1. bis 5. Juli 2024 auf Schloss Kirchberg stattfinden.
Lena Renner