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Ernährungswende

„Wir sind alle in der Verantwortung“

Podium diskutiert über Wege in eine neue Ernährungsumgebung

„Wir sind alle in der Verantwortung“
v.l.n.r.: Nadine Küster, Generalsekretärin für Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Recht und Nachhaltigkeit bei Danone; Chris Methmann, Geschäftsführer von Foodwatch Deutschland; Lea Fließ, Geschäftsführerin des Forums Moderne Landwirtschaft; Silvia Bender, Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; Christoph Graf, Geschäftsleiter Einkauf bei Lidl in Deutschland; Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, und Moderatorin Tanja Busse

Wer ist verantwortlich dafür, dass die Ernährungswende gelingt? Wie sieht eine gesunde und nachhaltige Ernährungsumgebung aus? Was passiert bereits und wo gibt es noch Handlungsbedarf? Zur Frage ‚Wie gelingt die Transformation zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung?‘ unterhielten sich am vergangenen Dienstag bei ‚Lidl im Dialog‘ Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Als viertgrößter Lebensmittelhändler in Deutschland sei sich Lidl seiner großen Verantwortung bewusst, sagte der Geschäftsleitungsvorsitzende Christian Härtnagel in seiner Begrüßung. „Wir wollen neue Wege gehen.“ Über 670 vegane Produkte gebe es bei dem Discounter bereits übers Jahr verteilt im Sortiment. Seit 2017 würden Zucker und Salz in der Eigenmarke reduziert und seit 2018 werde als Partner von Bioland auch das Bio-Sortiment ausgebaut.

Wie groß der Handlungsbedarf ist, machte Christine Chemnitz, Direktorin des Thinktanks Agora Agrar, deutlich. Bis zu ein Viertel der Treibhausgasemissionen in Deutschland seien mit Ernährung verbunden. Und ein Drittel der landwirtschaftlichen Emissionen gehe wiederum auf Nutztierhaltung zurück. Gleichzeitig steige die Adipositas-Rate weiter an. „Wir sind nicht on track“, so Chemnitz. Es gelte, die Ernährungspolitik als Handlungsfeld ernst zu nehmen. Die richtige Ernährungsumgebung zu schaffen, sei vor allem eine politische Steuerungsaufgabe. Auch der Lebensmitteleinzelhandel könne als Schnittstelle zwischen Produzenten und Verbrauchern Eigeninitiative zeigen, Signale setzen und Strukturen formen.

Junkfood-Werbeverbot für Kinder

„Viele Entwicklungen sind in die falsche Richtung gegangen“, meinte Silvia Bender, Staatssekretärin am Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Etwa das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung oder dass Fleisch zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden sei. Zwar wollten sich mehr und mehr Menschen gesund ernähren, das gestiegene Bewusstsein alleine reiche aber nicht. Als entscheidender Faktor müsse sich die Ernährungsumgebung ändern, stimmte sie Chemnitz zu. Es brauche ein attraktives Angebot an möglichst wenig verarbeitetem Obst und Gemüse, an Hülsenfrüchten und ballaststoffreichen Getreideprodukten. Es müsse saisonales Bio aus der Region angeboten werden und weniger Fleisch in der Außer-Haus-Verpflegung. Außerdem gelte es, ein Level Playing Field zu schaffen, in dem Engagement für Nachhaltigkeit nicht mit Wettbewerbsnachteilen verbunden ist.

Ein Baustein für eine gesündere Ernährungsumgebung sei das geplante Junkfood-Werbeverbot für Kinder, das Ernährungsminister Cem Özdemir Ende Februar vorgestellt hat. „15 Werbungen für ungesunde Produkte am Tag sehen Kinder durchschnittlich“, weiß Chris Methmann, Geschäftsführer von Foodwatch Deutschland, und lobte angesichts dessen den Grünen-Vorstoß. Über die Sinnhaftigkeit der Maßnahme bestand auch beim Rest des Podiums Einigkeit. Gleichzeitig herrschte Unverständnis über die viele Kritik an dem bereits im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorhaben. Lidl ist beim Thema Werbeverbot bereits vorangegangen und will nur noch ausgewogene Produkte seiner Eigenmarken bei Kindern bewerben.

„Wir müssen weg von einem vulgarisierten Freiheitsbegriff“, rief Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, auf. Nach Kant sei Liberalismus kein ‚mach, was du willst‘, sondern stehe für Handeln aus guten Gründen. So wie einst die Kinderarbeit verboten wurde, gelte es auch in anderen Bereichen aus guten Gründen Grenzen zu setzen, um als Gesellschaft zukunftstauglich zu werden.

Kommunikation gut, Umsetzung mangelhaft

Im Herbst 2022 hat das Umweltbundesamt eine Studie zur Nachhaltigkeit von Supermärkten veröffentlicht. Kommunikation und Strategie wurden darin positiv beurteilt, mit der Umsetzung hapere es allerdings noch. „Bisher ist Nachhaltigkeit in Supermärkten noch eine Randerscheinung und kein Mainstream“, fasst Messner zusammen.

Das kann Nadine Küster, Generalsekretärin für Kommunikation und Nachhaltigkeit beim Lebensmittelkonzern Danone, aus der Praxis bestätigen. Bei Verhandlungen spiele das Thema Nachhaltigkeit immer noch eine zu kleine Rolle: Am Ende stünden doch wieder die Preise im Vordergrund. Sie wünscht sich daher mehr Partnerschaften mit dem Handel.

„Wir sind alle in der Verantwortung“, betonte Messner. „Wir müssen uns zusammensetzen, Ziele vereinbaren und vorangehen. Das Fingerpointing muss aufhören.“ „Man muss auch einfach mal loslaufen“, fügte Härtnagel aus der Unternehmensperspektive hinzu. „Am Ende brauchen wir keine 10.000 Kunden, die es zu 100 Prozent richtig machen, sondern vielleicht 80 Millionen, die es zu 50 Prozent richtig machen.“

Lena Renner

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