Politik
Ernährungsstrategie: hehre Ziele, Umsetzung fraglich
Regierung will gesündere AHV, mehr bio-regional und pflanzlich

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett die Ernährungsstrategie ‚Gutes Essen für Deutschland‘ verabschiedet. Sie wurde federführend vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitet und bündelt rund 90 geplante und bestehende ernährungspolitische Maßnahmen. Zu den Zielen gehören eine bessere Gemeinschaftsverpflegung, ein größeres bio-regionales und pflanzenbetontes Angebot sowie weniger Lebensmittelverschwendung und Ernährungsarmut. Branchenverbände begrüßen zwar die Absichten, zweifeln jedoch an der Umsetzung.
„Leckeres, gesundes und nachhaltiges Essen darf nicht vom Geldbeutel abhängen oder davon, aus welcher Familie man kommt. Mit der Ernährungsstrategie der Bundesregierung schaffen wir Angebote, die allen gutes Essen ermöglichen“, erklärt Ernährungsminister Cem Özdemir. Die Bundesregierung sei die erste, die Ernährungsarmut als gesellschaftspolitisches Problem anerkennt und ihr den Kampf ansagt. Mithilfe der Strategie soll eine vielseitige Ernährung mit viel Obst und Gemüse gestärkt werden, insbesondere in Kitas, Schulen und Kantinen.
Sechs Ziele sind in der Strategie festgeschrieben:
Gemeinschaftsverpflegung verbessern
Die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die zum Beispiel geringere Fleischmengen vorsehen, sollen bis 2030 in Schulen und Kitas verbindlich umgesetzt werden. Ernährungsbildung für Kinder und Erzieher soll gefördert werden. Außerdem will die Koalition Einrichtungen dabei unterstützen, vermehrt Bio-Lebensmittel anzubieten, zum Beispiel durch praxisorientierte Schulungen
Lebensmittelverschwendung reduzieren
Bis 2030 sollen Lebensmittelabfälle in jedem Sektor der Lebensmittelversorgungskette mit Hilfe von verschiedenen Initiativen halbiert werden. Auch gesetzliche Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung will die Regierung prüfen.
Pflanzenbetonte Ernährung stärken
Pflanzliche Angebote sollen attraktiver gemacht werden. Im Rahmen der Proteinstrategie soll es einen neuen Forschungsschwerpunkt zu alternativen Proteinen geben.
Das Angebot nachhaltig und ökologisch produzierter Lebensmittel erhöhen
Es soll eine Grundlage dafür geschaffen werden, dass die Rohwaren für Lebensmittel auf Pflanzenbasis in Deutschland nachhaltig angebaut und verarbeitet werden können. Bio-regionale Wertschöpfungsketten sollen gestärkt werden.
Sozial gerechten Zugang zu gesunder und nachhaltiger Ernährung schaffen
Die Koalition will die Wissensbasis zur Ernährungsarmut verbessern, die Ernährungssituation in armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern besser verstehen und interministeriell besser zusammenarbeiten.
Ausgewogene Ernährung sowie ausreichende Bewegung unterstützen
Hierfür bleibt der Plan bestehen, die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt einzuschränken. Außerdem will die Regierung sich für eine EU-weit verpflichtende Einführung des Nutri-Scores stark machen sowie die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten und den Nationalen Aktionsplan In Form für Ernährung und Bewegung weiterentwickeln.
„Wohlklingend, aber weitgehend folgenlos“
Slow Food Deutschland (SFD) begrüßt die Strategie als ernährungspolitische Rahmensetzung und wichtige Stütze, um das Ernährungssystem zukunftsfest zu machen. „Die Strategie ist ein Türöffner, um erstmalig Kohärenz zwischen Ernährungs-, Landwirtschafts-, Umwelt-, Klima- und Gesundheitspolitik herzustellen“, meint die SFD-Vorsitzende Nina Wolff. Gleichzeitig bemängelt der Verein, dass es an Konkretheit und an einer ausreichenden Finanzierung fehle, ohne die wirksame Maßnahmen zu scheitern drohten.
Auch die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch spricht von einem „wohlklingenden, aber weitgehend folgenlosen Papier“. Die Strategie enthalte zwar viele hehre Ziele, die aber überwiegend abstrakte Zukunftsvisionen blieben. Unklar sei zum Beispiel, wie die DGE-Standards in der Außer-Haus-Verpflegung erreicht werden sollen. Für Pflicht-Vorgaben in Schulen und Kitas wären die Länder zuständig.
Kritisch reagierte auch der Deutsche Fruchthandelsverband. „Natürlich freuen wir uns, dass sowohl in der Ernährungsstrategie der Bundesregierung als auch bei den Ergebnissen des Bürgerrates Ernährung Obst und Gemüse einen so herausragenden Platz auf der Prioritätenliste erhalten haben“, erklärt Geschäftsführer Andreas Brügger. „Allerdings hören wir solche Absichtserklärungen seit Jahren und Jahrzehnten, ohne dass konkrete Maßnahmen erfolgt sind. Anstatt der versprochenen Entbürokratisierung erhalten wir zunehmend Auflagen, Einschränkungen und Dokumentationspflichten, die Obst und Gemüse kein bisschen besser machen, sondern höchstens teurer.“
Die Regierung hatte bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Ernährungsstrategie insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche zu beschließen. An der Ausarbeitung der Strategie ‚Gutes Essen für Deutschland‘ waren Vertreter aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft sowie Gesundheits- und Umweltverbände beteiligt. Bürger wurden über ein Bürgerforum eingebunden. Für die Erreichung der Ziele ist ein Zeitrahmen bis 2050 gesetzt.