Editorial
Editorial Ausgabe 51 / Mai 2007
Liebe Leserin, lieber Leser!
Nach den Lebensmittelmessen im Frühjahr – Internationale Süßwarenmesse, Fruit Logistica und BioFach – sind die Tendenzen nach mehr Bio rundum bestätigt.
Und die Beteiligungen am Wettbewerb des Handels um den „Bio-Markt des Jahres 2007“ haben sich verdoppelt. Auch wenn noch viele nicht ganz klar sehen, was wirklich gefordert ist, zeigt sich der Handel gut aufgestellt und will eine Selly gewinnen.
Bio in allen Gassen – so könnte der Slogan aktuell und für die nahe Zukunft auf einen Punkt gebracht werden. Wer noch nicht dabei ist, wird schwer die Kurve kriegen. Die Rohstoffverknappung zeigt die Hürden auf, mit denen der Markt zur Zeit zu kämpfen hat. Auch wenn so manche Übertreibung mit im Spiel ist, die Versorgung mit ausreichenden Biomengen wird noch viele Köpfe rauchen lassen. Und mit dabei werden jene sein, die den Druck ausnutzen und Bio „aus dem Hut zaubern“!
Die beste Zeit für Umbrüche. Also versuchen einige Bio-Großhändler, die Grenzen zwischen den Fachmärkten und dem konventionellen Handel zu sprengen. Es kreist der Slogan - von Naturkost West gestreut - dass zur nächsten BioFach die Dämme gebrochen wären. Dagegen macht die Lobby des Fachhandels mobil! Eine Unterschriften-Sammlung kursiert aktuell mit dem Ziel, diejenigen Hersteller aus den Sortimenten des Fachhandels zu verbannen, die dem herkömmlichen Lebensmittelhandel Biomarken aus der Fachhandelsbranche liefern. Der Bundesverband für Naturkost und Naturwaren BNN ist dabei, neue Regeln aufzustellen, die Lieferungen an den LEH ermöglichen sollen.
Der Handel findet zur Zeit wenig Alternativen. Wer ein Bio-Vollsortiment anbieten will, dem fehlt die Vorstufe. Die alte Weisheit, dass der Handel nur so gut sein kann, wie seine Vorstufe, gilt aber immer noch. Welcher Kaufmann lässt sich statt dessen auf 60 bis 100 Bio-Lieferanten ein? Und wer den Ausweg über einen Bio-Großhändler sucht, der mag seine Erfahrungen machen! Auslistungen sind vorprogrammiert. Heute rein, morgen raus! Dieses Erlebnis haben schon einige hinter sich.
Die Zentralläger sollen die Lücke füllen, schaffen das aber nicht. Die Arithmetik steht dagegen. Handelsunternehmen wie tegut... sind selten. Dort wird für Platz im Zentrallager von der Unternehmsleitung her gesorgt. Eine Aufbauleistung, die sich nicht innerhalb der heute vorhandenen kurzen Zeit einfach aufholen, geschweige denn überholen lässt.
Sprachen die Unternehmen vor ein, zwei Jahren noch von 300 bis 400 Bioprodukten als ausreichendes Bio-Angebot im Einzelhandel und dabei gar von einem Bio-Vollsortiment, liegt heute die Latte höher: 1.000 bis 1.200 Produkte scheint jeder im Köcher zu haben. Dass es sich dabei um viele Dubletten handelt und der Kaufmann vorort nicht allzuviel damit anfangen kann, dämmert so manchem, auch wenn sich plötzlich überall „Bio-Spezialisten“ einmischen und gutes Wetter versprechen. Der Gipfel ist erreicht, wenn Altgediente im Handel ihre Biozukunft mit den Markenherstellern lösen wollen. Die würden schließlich Finanzsicherheit bieten, Listungsgebühren bezahlen und in ein, zwei Jahren genügend Bio-Artikel anbieten können! Wer diesen Floh in die Welt gesetzt hat?
Derweil wundern sich Fachleute über die Entwicklung in den Köpfen der Verbraucher. Die wollen Produktsicherheit, Gesundheit und Genuss in Einem! Dazu kommt, dass die Leute auch noch die Nase voll haben von Versprechungen der „Konzentrations-Lobbyisten“. Das Misstrauen gegenüber „immer Größer - immer besser“ folgt dem Vertrauensverfall der Geiz ist geil-Versprechen! Die Leute suchen ihre Wege bei Handwerkern, die mit ihrem greifbaren Lebensstil und Namen bürgen und Lebensmittel aus der Region verarbeiten. Plötzlich werden Lebensmittel mit fassbaren Lebenselementen verknüpft und falsche Versprechen auch als „Versprecher“ enttarnt. Der mündige Bürger ist eben doch nur ein Gewohnheitsmuffel, der gesteuert wird.
Nun stellt sich ein Problem für die ewig Gestrigen. Zukunftsforscher haben Konjunktur. Sie wissen heute, was morgen gefragt ist. Aber wussten sie auch gestern, was die Leute heute erwarten? Ist, was sie erzählen und prognostizieren, zuverlässig oder schon wieder überholt? Erkennen die Konzernspitzen im Lebensmittelhandel und bei den Lebensmittelherstellern, was die Stunde geschlagen hat? Ist das nicht doch alles nur ein Alptraum? Oder muss sich die Leitungsebene der Zukunft mit Unsicherheiten, sich ständig verändernden Verhältnissen herumschlagen?
Und was ist das Problem? Die Natur mit ihren uralten Parametern! Wo überall haben wir sie überfordert? Wo müssen wir zurückrudern oder besser vorwärts blicken und die Dinge wieder ins Lot bringen? Wer soll das alles nur fassen und fehlerfrei bewältigen?
Erich Margrander
Herausgeber