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Editorial

Editorial Ausgabe 122/Januar 2025, 1. Quartal

Liebe Leserinnen, liebe Leser.

Das letzte bioPress-Editorial war noch eingebettet in die Ampel-Koalition. Noch nie in 30 Jahren überschlugen sich die politischen Ereignisse derart rasant wie während dieser aktuellen weltweiten Umwälzungen, die Putin-Depression eingeschlossen. Vor zwei Jahren wurde der Untergang des Biomarktes befürchtet und lauthals in den Medien zelebriert. Und wo stehen wir heute?

Die hochpreisigen Märkte sind eingeknickt. Bio hat jedoch dort, wo es bezahlbar angeboten wird, weiter hohe Wachstumsraten erzielt. Da muss nicht gleich von Billig-Bio die Rede sein. Aber man darf schon hinterfragen, wie die Billig-Bioprodukte erzeugt werden oder wo die hohen Erlöse bleiben und ob bei den Bauern tatsächlich faire Erzeugerpreise ankommen.  

In den USA ist die Biobranche seit einigen Jahren aufgespalten. Es gibt die Billigproduktion der Bio-Industrie, die 30.000 Kühe in einem Stall als ökologisch darstellt und billige Biomilch produziert, die hierzulande wahrscheinlich niemand kaufen wollte. Was sonst noch unerträglich als Normal-Bio im Markt herumschwappt, bringt einige Mitbegründer der Bio-Evolution auf die Palme und gestandene Organics in die Insolvenz.

Jetzt hat uns ein Arte-Bericht Ähnliches über Frankreich und aus einigen Ecken in der EU erzählt. In Frankreich ist der Markt aus den Fugen. Die Verbraucher verlieren das Vertrauen. Bio-Bauern der ersten Stunde entfernen das EU-Bio-Label von ihren Produktverpackungen und werben nur noch mit Nature et Progrès, einer 1964 konstituierten Bio-Vereinigung. Das Marketing ohne Bio-Label erzählt jetzt die Geschichte vom Bioanbau und seinen Fakten direkt auf den Verpackungen oder es wird nur noch regional und lokal vermarktet. Das Wort Bio wird, wie es das EU-Gesetz bei Produkten ohne Bio-Label verlangt, gemieden.

So entziehen sich diese Enttäuschten dem industriellen Biomarkt mit seinen, wie sie sagen, unterirdischen Billig-Preisen, bei denen für die Landwirte nur noch fünf Cent Bio-Aufschlag übrig bleibe. Sie geben auf und so verliert Frankreich rund 50.000 Hektar Ökolandbau. Echt Bio – bei uns als Werbeslogan gebraucht – ist in Frankreich eine passende Tatsache geworden.

Es scheint schwer, das Problem Bio-Masse in sachlichen Grenzen halten zu können. Der Agrochemie-Drache ist nicht tot, nicht einmal ernsthaft angeschlagen und schon speit er Rauch und Feuer. So leicht lässt sich die Kapital-Lobby nicht die Butter vom Brot nehmen. In aller Ruhe mischt sich die Lebensmittelindustrie unter die gerne als Bio-Ideologen diffamierte Community und – so jedenfalls in den USA und wohl auch in Frankreich – presst Bio wie eine Zitrone zum eigenen Vorteil aus.

Da bleibt wenig übrig von der Ethik des fairen Umgangs mit dem Boden/der Natur, den Produzenten und den Verbrauchern. Ist Deutschland ein Sonderfall? Hier trotzen unterschiedliche Kräfte dem vermuteten Greenwashing. Aldi wird ernsthaft hehres Verhalten zugestanden. Doch die Lage ist nicht so stabil, wie es scheint. Auch hierzulande liegt einiges im Argen. So hat eine Reportage aufgedeckt, wie Lidl arbeitet. Von ihren rund 600 Bio-Produkten sind vielleicht 70 Bioland-gelabelt. Das Bioland-Marketing umkreist jedoch alle Bioprodukte derart, dass Unbedarfte – das sind die meisten – die restlichen Billig-Bioprodukte nicht von der Bioland-Qualität unterscheiden können. Also doch schon Anfänge von Unterwanderung?

Das Handels-System verführt die Biobranche geradewegs in die Fallen. Bio wird im Mainstream zu über 60 Prozent unter Eigenmarke gehandelt. Bei herkömmlichen Produkten sind es 40 Prozent. Von der konventionellen Schiene können die Bio-Protagonisten lernen. Wer seine Marke in den Supermarktregalen verkaufen will, muss für die Zentralen auch die Eigenmarken produzieren. Dafür stehen dann ein paar Marken-Artikel als Lockvogel daneben. Wer sich wehrt, wird ausgelistet, so erzählen Whistleblower. Der Handel sitzt mit seiner Machtkonzentration am längeren Hebel. Vielleicht wird konventionell auf der anderen Seite auch schon mit der Biokarte unter Druck gesetzt.

Es bleibt die Alternative der vielen tausend Kaufleute, die, anders als die Discounter, Vollsortimente anbieten und die Lücke im Markt mit Bio-Vollsortimenten füllen können. Ihnen gehören zwar die Handelszentralen und sie sind froh über ihre gut funktionierende Vorstufe – die ist aber auch Teil der Service-Wüste. Das können Kaufleute zu eigener Stärke ummünzen. Mit ihrer Nähe zu Kunden kennen sie deren Bedürfnisse. Die Ansprüche gehen über preiswerte Eigenmarken hinaus. Gefragt sind Vielfalt und qualitativ hochwertige Bio-Produkte, oft aus der Region oder lokal zu beschaffen. Eine Aufgabe für Zentralen?

Was mit den regionalen Kooperationen funktioniert, geht noch viel besser mit Bio plus Regional. Eine Umfrage der GfK zeigt, dass Nachhaltigkeits-aspekte an Vertrauen verlieren und Bio zulegt. Das erklärt auch das ungebrochene Bio-Wachstum: Die Menschen setzen auf das Original!

Auf der Biofach 2025 erwarten auf rund 500 Quadratmetern Meetingpoint BIOimSEH samt Bio-Experten-Lounge rund 40 Markenanbieter und ein Bio-Großhändler die Kaufleute. In einer Vorkassen-Bäckerei wird frisches Bio-Brot gebacken, es gibt eine Fleisch- und eine Käse-Theke, eine Salatbar und Getränkebar und Rapunzel schenkt Helden-Kaffee aus (Halle 7-751+851).
Die Handels-Strategie-Umfrage ist auf der bioPress-Website wieder aktiv. Kaufleute können sich eine gratis Karte zur Biofach sichern, wenn sie als einer der ersten 30 Teilnehmer ihre Antworten abgeben.

Erich Margrander
Herausgeber

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