Editorial
Editorial Ausgabe 123/April 2025, 2. Quartal
Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Der Biomarkt hat sich erholt, das sagen jedenfalls die Statistiker auf der Biofach. Die Verschiebung der Kundenströme scheint jedoch fest etabliert. Das Wachstum im Handel ist mehr als doppelt so groß wie im Fachhandel. Die Fachhandelsbranche ist auf rund 1.500 Läden geschrumpft und gibt sich konziliant. Insgesamt werden jetzt 17 Milliarden Euro Bioumsatz gezählt, im Fachhandel weniger als 20 Prozent davon.
Der Lebensmittelhandel wird jetzt anders gesehen und behandelt. Die Bio-Markenhersteller sind systemrelevant. Man hat scheinbar erkannt, dass die Hersteller überleben müssen, damit sie auch weiterhin den Ladnern die Regale füllen können. Also wird hingenommen, dass auch der Mainstream außerhalb des Fachhandels beliefert wird.
Bio-Großhändler werden von den Markenherstellern nicht mehr zurückgehalten, wenn sie die zusätzliche Zielgruppe der Kaufleute beliefern wollen. Selbst der Fachhandel schlägt neue Marketing-Töne an: Jetzt wird der Ich-Nutzen entdeckt und nach vorne gestellt.
Ideologie muss sich mit hinteren Plätzen begnügen. Die Realität ist plötzlich kein Verrat mehr! Menschen sind Gewohnheitswesen und ein gesunder Egoismus bewirkt mehr Frieden als Fehleinschätzungen.
Zitieren wir nochmal Urs Niggli (save the Bear): Die ersten Treiber waren die Biobauern, die zweiten waren die Biohersteller und die dritten, nein das waren nicht die Bioladner, das waren die Biokäufer!
Drei Jahrzehnte Verweigerung haben zu Angebots-Verwerfungen geführt. Auf der Biofach pfeifen jetzt die Spatzen vom Dach, dass 30 Jahre Lieferverbot der Biomarken an den LEH/SEH zur Eigeninitiative des Handels und in der Folge zu 67 Prozent Eigenmarkenanteil geführt haben. Man streitet sich jetzt eher um den Zugriff auf knappe Rohstoffe als um die politisch korrekte Einkaufsstätte.
Teile der Branche suchen Zukunftsorientierung. Hersteller sowieso, sie geben sich bei den Handelszentralen die Klinke in die Hand und freuen sich über Listungen, auch wenn nur marginale Teile ihrer Sortimente in die Regale kommen. Die werden umringt von den Handelsmarken, um diese aufzuladen mit Nachhaltigkeitsgefühlen. Die Naturkostgroßhändler werden als Logistiker entdeckt. Doch die sind skeptisch und wollen nicht zum Steigbügelhalter degradiert werden.
Während des Strategiedialogs in Stuttgart mit der Politik und dem Ministerpräsidenten, den großen Handelshäusern und der Biobranche, vorneweg auch Naturkostgroßhändler, kam die Vorstellung auf den Tisch, dass die Bios bis hierher alles gut gemacht hätten, jetzt aber die Großen ran sollten, weil die große Mengen handeln könnten.
Da recken sich aber einige der Bio-Experten und stellen sich strittig. Wer Bio besser kann, wird plötzlich eine zentrale Frage. Einfach alles bei den Big Playern abliefern, wollen die kleinen Jungs nicht. Sie rebellieren. Kennen sie doch den Wert ihrer Arbeit sehr genau und wissen, dass BWL allein nicht ausreicht. Kenntnisse über Bio und die Seelen der Bauern gehören ebenso dazu wie Bewusstsein über Lebensmittelqualitäten und ein Ökogewissen auf dem rechten Fleck. Glaubwürdigkeit bei den Kunden lässt sich nicht wie eine Maske aufsetzen.
Es war herrlich, die Schwingen zu erleben, denen es nicht um das sich Behaupten als Fachhandel ging, sondern um den Aufbruch in eine Zeit mit Bio im Mainstream und die Frage, ob das in den richtigen Händen gestaltet wird oder in einer Laienveranstaltung hängen bleibt. Soll Bio auf Augenhöhe mit den bestehenden Handelsstrukturen entwickelt oder einfach bei den Handelszentralen abgeliefert werden?
Ein Hinweis für die Politik: Wenn Politiker sich ständig gegen Oligarchen wehren müssen, auch wenn sie aus kleinen Verhältnissen kommen, dürfen sie doch von den Bio-Experten keinen Kniefall vor den Großen verlangen! Was soll dann aus Bio werden? Der Verdünnungsprozess lässt sich weltweit beobachten. Wir hier in Deutschland sind noch gesegnet mit starken Bio-Impulsen, auch wenn Lidl und Aldi, Edeka oder Rewe mit Unterstützung der Öko-Verbände massenweise Geld damit verdienen. Die Bio-Experten sollen Bio mit ihrem Herzblut und intensivem Wissen in ihren Händen behalten. Statt Unterwerfung ist Zusammenarbeit auf Augenhöhe gefragt. Jeder sollte das beibringen, was er am besten kann.
So könnte es etwas werden und Bio die nächste Ebene erreichen: Biobauern weiten ihre Flächen aus, täglich werden mehr Böden gerettet vor der Anilin. Vitale Lebensmittel dank dynamischem Biom auf den Äckern fördern gesunde leistungsfähige und bewusste Menschen!
Vollsortimenter-Kaufleute verstehen, dass sie mit Bio-Vollsortimenten zukunftsfähig bleiben. Gerade in diesem Segment würden Lücken nicht gut ankommen bei den Kunden mit der Bereitschaft, mehr Geld in eine transformierte Ernährung zu investieren...
Erich Margrander
Herausgeber