Editorial
Editorial Ausgabe 119/April 2024, 2. Quartal
Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Ist der Drache endlich erlegt, kann das letzte Zucken mit dem Schwanz für den Bezwinger immer noch tödlich ausgehen. Die Biobranche steht seit 30 Jahren ständig an diesem Scheideweg. Je stärker die Idee um sich greift, desto umfangreicher die Gegenwehr. Verständlich ist das ja, ist die Abwehrreaktion aber auch notwendig?
Warum sollte die herkömmliche Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nicht koexistieren und in die Transformation mit eingehen? Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wie wird Profit gemacht? Mit langatmiger Nachhaltigkeit oder mit schnellem Geschäft? Der Planet wartet nicht und er kümmert sich nicht um blind oder Scharfsicht. Die Katastrophen fressen am Ende alle ohne Ausnahme oder Rücksicht auf Schuld.
Dass die Argumente für eine Veränderung in den Köpfen der Menschen greifen, beweist die konventionelle Lebensmittelwirtschaft selbst. Sie kapert reihenweise die Attribute der ökologischen Transformation, verleiht sie der eigenen Sprache ein und richtet ihr meinungsbeherrschendes Marketing entsprechend aus. Wirkliche Veränderungen, die Geld kosten würden, sind nicht gefragt.
Es werden Worte und Begriffe der Öko-Landbaubewegung und nachhaltigen Ernährungsweise benutzt, um damit das eigene Handeln schön zu färben.
Nicht nur die Biobranche ist Zielscheibe dubioser Veränderungen.
Beispielsweise wehrt sich auch die Fleisch- und Milchwirtschaft dagegen, dass nicht-tierische Produkte als Fleisch, Wurst oder Milch bezeichnet werden. Mit der In-vitro-Produktion im Bioreaktor wird dieses Phänomen noch weiter um sich greifen.
Nicht jeder Verbraucher erkennt das, schon gar nicht auf den ersten Blick. Auch die Lebensmittel-Kaufleute sind weit davon entfernt, die Verantwortung zu sehen. Wenn die Kunden Fälschungen kaufen, dann wollen sie das?
Bei einer Biofach-Befragung hat knapp die Hälfte der Aussage zugestimmt, regenerative Landwirtschaft sei das neue Bio. Unfassbar, dass Besucher der Bio-Fachmesse solche Vorstellungen äußern. Seit einigen Jahren schon befeuert die kapitalgesteuerte Lebensmittelwirtschaft die Mär von der regenerativen Landwirtschaft – ein ungeschützter Begriff!
Hier wird deutlich, wer zuerst da war, die Henne oder das Ei! Es gibt kein Ei ohne Henne.
Es gibt auch kein Frankensteinfleisch ohne Wissenschaft, die nicht der Ethik, sondern dem Golem folgt. Auch diese Frage wurde auf der Biofach gestellt: Sollte die Biobranche das Thema Kunstfleisch aufgreifen und diskutieren? Ja, sollte sie, weil schon der Begriff KUNST in dieser Perversion von Fleisch nichts zu suchen hat. Gesund soll das sein und sogar nachhaltig und dem Tierwohl dienen sowieso, weil nicht mehr geschlachtet werden muss. Und der Mensch, dem so etwas als Lebensmittel untergeschoben wird? Zwei amerikanische Vertreter im Representantenhaus haben einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der in Schulen Zellklumpen in Schulkantinen verbieten soll. Sie dürfen keine Versuchskaninchen werden.
Bio + regenerativ hört sich an wie nachhaltige Ökologie. Ökologie ist nachhaltig! Biolandbau ist regenerativ! Der Begriff Atomkraft hatte den Leuten Angst gemacht, also wurde der Begriff weichgespült und fortan gab es die Kernkraft. Ein Kern der Dinge beruhigt und Widerstände bricht!
Assoziationen sind die Wirkkraft des Marketings. Beim flüchtigen Hinschauen wird ein (falscher) Eindruck erweckt und schon nach kurzer Zeit ist so ein Ei gelegt.
Biolandbau braucht kein PLUS regenerativ. Wer hat diesen neuen Trend erfunden? Wer hat Interesse daran? Das Perfide: Grubbern statt Pflügen genügt schon, Glyphosat muss nur dokumentiert, nicht weggelassen werden? Stickstoff von der Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen? Bitte schön, das gehört zu regenerativ! Auch wenn Stickstoffdüngung die Pflan- zen dopt, zum Schnellwachstum anregt und Vitalität zerstört. Wenn niemand mehr danach fragt, wo denn dann der Kohlenstoff in der Erde noch Platz hat – Stickstoff-Überfülle verdrängt Kohlenstoff in die Luft! – dann könnte unter den Begriff regenerativ fallen, was in Wirklichkeit die Klimakatastrophe befeuert.
Auch das war vor 20 Jahren ein Attribut der Biobranche: Regional. Und vegane Fleischalternativen gab es nur im Reformhaus und Bioladen.
Die Ankunft von Bio im Mainstream ist ein großer Erfolg. Dass Bioprodukte aber mehrheitlich in den Eigenmarken vorkommen, sollte keiner wollen. Bio als dezentrale Struktur vernetzt sollte den Druck von Big Business verdrängen. Das Gegenteil ist erreicht. Auch darüber sollte die Biobranche nicht nur nachdenken. Sie muss auch handeln. Möglichst solidarisch, und das auch mit den Kaufleuten und Lebensmittelhandwerkern. Sie versorgen 80 Millionen Menschen in Deutschland. Und sie sind es, die mit ihrem eigenständigen Handeln für Vielfalt stehen und höchste Lebensmittelqualität ermöglichen (können).
Erich Margrander
Herausgeber