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EU-Ökoverordnung

Streitschrift der ökologischen Lebensmittelwirtschaft

Die Idee einer Totalrevision der Bio-Verordnung durch die EU

{mosimage}12. Mai 2014   |   Die Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat in den letzten zwei Jahrzehnten in Europa hohe Wachstumsraten erreicht, in vielen Regionen über Jahre hinweg im zweistelligen Bereich. In einigen Teilmärkten hat diese „Bio-Qualität“ die Nische verlassen und ist zum Bestandteil der üblichen Ernährung vieler Menschen und zu einer anerkannten und weit verbreiteten Produktionsmethode geworden. Die ökologischen Herausforderungen sind die Triebfeder der Bio-Branche und erfordern zwingend die Zielsetzung, das heute vorherrschende Ernährungssystem durch ein nachhaltiges ökologisches Ernährungssystem zu ersetzen.

Die EU-Kommission positioniert in einer eigendynamisch getriebenen Wachstumssituation in den Mainstream einen Vorschlag für eine neue Bio-Verordnung, die darauf abzielt, die Branche zurück in die Nische zu schicken. Das vorgestellte Konzept geht von einer deutlicheren Verringerung der Anpassungsfähigkeit der Verordnung aus und versucht den Rechtsrahmen weg von einer Prozessqualität hin zu einer Produktqualität zu drehen.

Man schreibt in internen Papieren davon, dass Produzenten den Bio-Markt verlassen sollen, dass hohe Produktionskosten akzeptiert werden und dass man höhere Margen für die Kette will. Ein Konzept, das auf eine feine Premium-Nische und nicht auf eine Erneuerung der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft abzielt, wie sie für die Zukunft der Menschen so dringend erforderlich ist.

Wie kommt es dazu? Neben der interessanten Frage, welche Kreise in der Vorbereitung dieses Vorhabens Ratgeber der Kommission waren, - das können ja nur die Vertreter der konventionellen Agrar- und Lebensmittelwirtschaft gewesen sein, - ist die Kommission bewusst oder unbewusst von einer Reihe falscher Voraussetzungen bei ihrem Projekt Totalrevision der Öko-Verordnung ausgegangen:

  1. In ihrer Kommunikation versucht die Kommission von Anfang an einen Gegensatz aufzubauen zwischen Qualität und Quantität. In Wirklichkeit ist ja gerade der enorme Erfolg der Bio-Branche der Beweis dafür, dass man mit hoher Qualität und diskursiven Kommunikationskonzepten einen Markt für Qualitätsprodukte quantitativ sehr erfolgreich entwickeln kann. Daher die Frage: Warum wird plötzlich ein Gegensatz zwischen Qualitätsorientierung und quantitativen Erfolgen aufgebaut und warum wird suggeriert, Qualität sie nur ohne quantitatives Wachstum zu haben?

  2. In ihrer Kommunikation behauptet die Kommission, ein Hauptproblem des Bio-Marktes wäre das mangelnde Vertrauen der Bürger aufgrund der Betrugsfälle der letzten Jahre. Sie fordert eine Verordnung, die klarer und an den Bedürfnissen der Verbraucher ausgerichtet ist. D.h. die einfacher und klarer strukturiert ist und z.B. Vorgaben für Rückstandshöchstmengen macht. Was dabei völlig unberücksichtigt bleibt ist, dass wir nach wie vor einen vom Vertrauen der Bürger getriebenen Nachfragemarkt haben, dessen Problem die zu schwache heimische Produktion ist. Verschärft man durch eine Gesetzgebung - wie oben beschrieben - diese Diskrepanz zwischen Nachfrage und Anbau weiter, wird dies nur zu noch mehr Importen aus relativ unsicheren Drittländern führen. Stärkt dies das Vertrauen der Verbraucher in Bio-Produkte?

  3. Die Kommission schreibt in einem ihrer Dokumente, dass die Verordnung „verwässert“ worden wäre. Diese erstaunliche Formulierung trifft in keiner Weise die Wirklichkeit. Die Bio-Verordnung wurde tatsächlich über die letzten zwei Jahrzehnte inhaltlich kontinuierlich weiter entwickelt und konkretisiert.
    Vorschriften sind sukzessive strenger geworden und der Geltungsbereich umfassender. Von einer Verwässerung kann keinesfalls die Rede sein, eher von einer qualitätsorientierten kontinuierlichen Weiterentwicklung auf der Grundlage der Erfahrungen bei der Umsetzung in der Praxis.
    Die Bio-Verordnung hat eher das Problem, dass sie zu kleinteilig angelegt und aufgrund der vielen Detailregelungen unübersichtlich geworden ist. Von einer Verwässerung kann keinesfalls gesprochen werden.
    Es stellt sich die Frage, mit welcher Absicht die Kommission gegen ihre eigene Verordnung polemisiert?

  4. Die Kommission sieht ihren Auftrag darin, einen Beitrag zu leisten, um die Branche fit zu machen für die Zukunft und die Öko-Verbraucher zu schützen. Sie übersieht dabei, dass der gewachsene Öko-Lebensmittelmarkt Ausdruck einer Bürgerbewegung ist.
    Der postulierte Gegensatz zwischen Produktion (böse Erzeuger und Hersteller) und Konsumption (gute Verbraucher) besteht nicht – das ist ein Bild aus der argumentativen Mottenkiste.
    Gerade in Bezug auf Bio-Lebensmittel sind und waren die Bürger immer Teil der Bewegung und Treiber hin zu einer Ökologisierung. Die Akteure des Bio-Sektors als Teil dieser Bewegung haben aufbauend auf ihren Erfahrungen in der Praxis die Grundlage für die heutige Öko-Verordnung gelegt und immer wieder Anregungen für eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung gegeben.
    Die Funktion des Gesetzgebers ist nicht, Treiber für die Bewegung zu sein, sondern für die Akteure - von der Landwirtschaft bis zum Verbrauch - einen verlässlichen und funktionalen Rechtsrahmen zur Verfügung zu stellen. Alles andere ist Anmaßung.

  5. Die Kommission hat die Idee, durch eine Totalrevision und eine komplett neue Verordnung erhebliche Verbesserungen erreichen zu können. Fakt ist jedoch, dass weder die in der bisherigen VO angelegten Möglichkeiten der Weiterentwicklung ausgeschöpft wurden, noch die Potenziale der Lösung von Umsetzungsproblemen in den Ländern genügend in Betracht gezogen wurden für eine Weiterentwicklung des Bio Rechtsrahmens und dessen Umsetzung.

Bei jeder Art von Projekt ist es schwierig, dieses erfolgreich zu Ende zu führen, wenn die Grundannahmen (Hypothesen) bereits falsch gestellt waren. Diese führen dann in der Regel zu wirklichkeitsfremden Bewertungen der Sachlage und in der Folge zu falschen Handlungsansätzen und Maßnahmen. Das Ergebnis in Bezug auf die Bemühungen zur Revision der Bio-Verordnung liegt nun vor in Form eines Vorentwurfes (siehe Anlage – Dokumente der IFOAM). Dieser Entwurf hat das Zeug dazu, den Markt für ökologische Lebensmittel deutlich zu verkleinern und im Kern die Prozessorientierung in der Bio-Zertifizierung durch eine Produktorientierung zu ersetzen.

Dies birgt das Risiko, dass die Qualitätsbotschaft – gesunder Boden, gesunde Pflanze, gesundes Tier, gesunder Mensch – ausgehöhlt wird und legt damit die Lunte an das Selbstverständnis der Branche und die Erwartungen der Verbraucher.

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