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Ernährungswende – wer ist verantwortlich?

Agrarbündnis untersucht Handlungsspielraum der verschiedenen Stakeholder

Ernährungswende – wer ist verantwortlich? © stock.adobe.com/lado2016

Weniger Fleisch, mehr Obst und Gemüse, mehr Bio: Wie sich die Ernährung für mehr Gesundheit und Nachhaltigkeit ändern müsste, ist hinreichend bekannt. Aber wie sieht der Weg dorthin aus, welche Hindernisse gibt es und welche Rolle können und sollten die verschiedenen Akteure in der Wertschöpfungskette spielen? Diesen Fragen ging das Agrarbündnis in seiner Online-Tagung am 15. Oktober auf die Spur. Rund 100 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil.

Was Bürgern in puncto Ernährung wichtig ist, hat die Forschungsorganisation ‚More in Common‘ in einer quantitativen sowie qualitativen Befragung im Auftrag der Robert Bosch Stiftung ermittelt. David Melches stellte zu Beginn der Tagung die Ergebnisse vor. Dabei bleiben persönliche Aspekte durch die Gesellschaft hinweg die stärksten Einflussfaktoren: Auf Platz 1 landete der Geschmack, gefolgt vom Preis und dem gesundheitlichen Mehrwert. Auch Regionalität, Tierwohl und die Naturbelassenheit von Produkten spielen für die meisten eine wichtige Rolle, während Überlegungen zum Klima- und Umweltschutz etwas weiter hinten rangieren.

Zwar halten knapp 60 Prozent das Thema Ernährung für Privatsache und gut jeder Vierte fühlt sich von anderen in seinem Lebensstil angegriffen, dennoch sind 64 Prozent der Meinung, dass die Art, wie wir uns ernähren, sich ändern muss. Drei Viertel der Befragten kochen bereits selbst, rund 70 Prozent nutzen Lebensmittel auch noch nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum und jeder Fünfte gab an, überwiegend Bio zu kaufen.

Auch verschiedenen politischen Maßnahmen stehen die Umfrage-Teilnehmer offen gegenüber. So wird eine Steuersenkung für gesunde und nachhaltige Produkte von fast 90 Prozent befürwortet. Auf Platz 2 und 3 landeten strengere Produktionsstandards für die Lebensmittelindustrie und die stärkere Unterstützung kleinbäuerlicher Betriebe. Fast 80 Prozent stimmten für die Förderung des Ökolandbaus.

Verzerrte Preise verhindern nachhaltige Entscheidungen

Sind Verbraucher in der Pflicht, ihre Ernährungsweise zu ändern? „Das Ernährungssystem braucht Korrekturen auf allen Ebenen“, stellte Gesa Maschkowski, Diplom-Ökotrophologin am Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) und Gründerin des Vereins ‚Bonn im Wandel‘ fest. Einzelne könnten die Systemfrage jedoch nicht lösen.

Wissenschaftliche Ziele im Sinne der Planetary Health Diet gäben vor, dass hierzulande 60 Prozent weniger Fleisch und 30 Prozent weniger Eier und Eierprodukte konsumiert werden, als es aktuell im Durchschnitt der Fall ist. Auf der anderen Seite sollten doppelt so viel Obst und Gemüse verzehrt werden, drei Mal so viele Hülsenfrüchte und vier Mal so viele Vollkornprodukte – alles aus nachhaltigem Anbau.

Das Problem: „Eine planetare Ernährung braucht auch eine planetare Produktion“, erklärte Maschkowski. Um die Ziele zu erreichen, müsste auch mehr angebaut werden, der Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse liege in Deutschland momentan nicht einmal bei 30 Prozent.

Zweitens machten verzerrte Preissignale für Verbraucher eine nachhaltige Entscheidung derzeit unmöglich. Nur 18 Prozent der Kosten für Umweltschäden würden aktuell über Steuern von den Verursachern gezahlt. Wer Ressourcen verbraucht, werde daher belohnt – wer Ressourcen schont und dadurch mehr Arbeitskräfte braucht, werde finanziell bestraft. „Wir bezahlen den Ladenpreis und die Schäden“, stellte Maschkowski klar. Der Ökolandbau spare im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft jährlich 1,5 Milliarden Euro an Klimakosten ein. Und doch müssen Verbraucher für Bio oft tiefer in die Tasche greifen. Abhilfe verspricht zum Beispiel das True Cost Accounting, mit dem die Wahren Preise samt internalisierten Kosten abgebildet werden sollen.

Marktgestalter LEH?

Wie die verschiedenen Stakeholder den Wandel bewegen können, untersuchte Gesa Busch, Professorin für die nachhaltige Transformation der Ernährungssysteme an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, am Beispiel Fleisch. Sowohl Tierhalter als auch Schlachter und Verarbeiter stünden unter ökonomischem Druck in einem wettbewerbsintensiven Markt, stellte sie fest. Die Verbraucher am anderen Ende der Wertschöpfungskette seien wiederum abhängig von ihrer Ernährungsumgebung.

Eine starke Position in beide Richtungen attestierte Busch dagegen dem Lebensmitteleinzelhandel, der seinen Einfluss zum Beispiel bereits durch die Auslistung von Käfigeiern unter Beweis gestellt habe. Die vier größten Unternehmen, Aldi, Lidl, Edeka und Rewe, wollen sich auch im Fleischbereich verändern und haben sich alle zum Ziel gesetzt, ab 2030 das Frischfleisch der Eigenmarken nur noch aus Haltungsform 3 (Frischluftstall) und höher anzubieten. Wie die Umsetzung in die Praxis aussehen wird, stellte Busch jedoch in Frage, denn bislang stammten etwa nur drei Prozent des Schweinefleischs in Deutschland aus den Haltungsformen 3, 4 und 5 (Bio).

Wie genau Supermärkte das Einkaufsverhalten beeinflussen, führte Britta Schautz, Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Berlin, aus: vom Cross-Selling über Werbeprospekte bis zu grünen Preisschildern, die den Verbrauchern nachhaltige und faire Produkte suggerieren. „Der Anteil der bewussten Käufe liegt höchstens bei 30 Prozent“, verdeutlichte sie. Geringere Margen und eine bessere Platzierung von Bio-Produkten und anderen Lebensmitteln mit niedrigem Fußabdruck legte Maschkowski dem Handel nahe.

Vernetzt die Politik antreiben

Deutschland braucht eine stärkere Ernährungspolitik – darin waren sich alle ReferentInnen einig. Außerdem gelte es mehr in Bündnissen zu denken und zu arbeiten. In Finnland spielte das Gesundheitsinstitut THL eine wichtige Rolle bei der Ernährungswende, durch Datensammlung, die Entwicklung von Ernährungsempfehlungen und die Beratung der Regierung bei der Umsetzung von Ernährungsprogrammen. „Wer könnte diesen Part in Deutschland übernehmen?“, fragte Maschkowski. Als positives Netzwerk-Beispiel nannte sie außerdem die Robin Food Coalition, die von Ex-Eosta-Chef Volkert Engelsman mitgegründet wurde und in der mittelständische Unternehmen aus der Lebensmittelbranche gemeinsam nach Lösungen für die Ernährungs- und Agrarwende suchen. „Wir müssen uns gesellschaftlich vernetzen, dann macht auch die Politik mit“, meinte Maschkowski. Es gelte, Rückenwind für gute politische Entscheidungen zu erarbeiten.

Mit Blick auf das aktuelle Rollback in der Politik rief Jochen Dettmer aus dem Vorstand des Agrarbündnisses zum Durchhalten auf. Ein gewisses Auf und Ab sei normal und müsse ertragen werden. „Halten wir an unseren Positionen fest!“, forderte er.

Lena Renner

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