Agrarwende
Zukunftskommission Landwirtschaft veröffentlicht neue Empfehlungen
Aus für Flächenzahlungen, Bürokratieabbau und mehr Fairness für Erzeuger

Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) hat heute nach ihren ersten Empfehlungen 2021 einen zweiten Abschlussbericht veröffentlicht. Das Ergebnis des ‚Forum des Interessenausgleichs‘ wird sowohl vom Deutschen Bauernverband als auch von Umweltschützern gelobt. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehört die Honorierung von Ökosystemleistungen anstelle von Flächenzahlungen, die Stärkung der Marktposition von Erzeugern, eine höhere Mehrwertsteuer auf tierische Produkte sowie Bürokratieabbau.
„Wir begrüßen, dass die Beratungen der ‚neuen‘ ZKL den Abschlussbericht der ‚alten‘ ZKL vom Herbst 2021 bestärken. Jener drängt auf die Notwendigkeit eines grundlegenden Umbaus des Agrar- und Ernährungssystem. Die Ernährungswirtschaft und Politik stehen in der Pflicht, diesen Umbau endlich zu umsetzen“, kommentiert Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
Der BÖLW gehört zu den rund 30 Vertretern aus Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Wirtschaft und Verbraucherschutz sowie der Wissenschaft, die in der ZKL versammelt sind. Der Deutsche Bauernverband ist ebenso Mitglied wie der Deutsche Tierschutzbund und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Umweltmaßnahmen: mehr finanzielle Anreize als Ersatz für Konditionalität
„Das schnelle Fortschreiten des Klimawandels, der fortgesetzte Verlust an Biodiversität sowie die gewachsenen geopolitischen und geoökonomischen Herausforderungen“ sind für die ZKL Gründe, die eine wirksame Weiterentwicklung der Agrarpolitik für eine zukunftsfähige Landwirtschaft erfordern.
Aus Sicht des Gremiums sollten flächengebundene Direktzahlungen als Instrument der Einkommensstützung in der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) bald der Vergangenheit angehören. Für die Akzeptanz des Abbaus bei Landwirten sei es nötig, Konditionalitäten – bislang geltende ökologische Mindeststandards für den Erhalt von Fördermitteln – ebenfalls entsprechend abzubauen. Dafür sollten Ökoregelungen sowie Agrar-, Umwelt-, und Klimaschutzmaßnahmen (AUKM) mit einem höheren Budget ausgestattet werden und eine einkommenswirksame Honorierung der Leistungen der Betriebe ermöglichen. Die Stärkung des Ökolandbaus wird dabei explizit als Maßnahme, um die gesellschaftlichen Leistungen so effizient wie möglich umzusetzen, genannt.
Um finanzielle Anreize für Umweltmaßnahmen zu schaffen, die über das gesetzliche Niveau hinausgehen, schlägt die ZKL außerdem das Aktionsprogramm ‚Biodiversität in der Agrarlandschaft‘ vor, das mit einer Neuorientierung der Förderlandschaft vor allem auf Basis kooperativer Modelle funktionieren soll. Angedacht sind regionale Agrar-Umwelt-Kooperationen, zu denen Landwirte, Landschaftspflegeverbände und Biodiversitätsberater gehören.
Weniger Bürokratie, einheitliche Nachhaltigkeitsbewertung
Zum Thema Pflanzenbau verkündet die ZKL: „Die Pflanzenzüchtung muss dazu beitragen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und die Nährstoffeffizienz der Pflanzen zu verbessern.“ Das Gremium spricht sich dafür aus, den Sortenschutz gegenüber dem Patentrecht zu bevorzugen und zu stärken. Es empfiehlt einen erheblichen Ausbau der Forschungsmittel für konventionelle und ökologische Projekte, die konsequent auf die Züchtung und Erforschung von umwelt- und klimaschonenden Sorten und Anbausystemen ausgerichtet sind. Die ZKL bestätigt zudem die methodischen Probleme des ‚Harmonized Risk Indicators I‘ und hält es für notwendig, die Indikatoren zur Bewertung von Pflanzenschutzmitteln weiterzuentwickeln.
Das derzeitige Düngerecht ist in den Augen der Mitglieder mit seinen vielfältigen Dokumentationspflichten für viele Betriebe zu kompliziert und von den Behörden kaum kontrollierbar. Das Gremium empfiehlt daher, die aktuellen Vorgaben durch eine jährliche gesamtbetriebliche Nährstoffbilanzierung für Stickstoff und Phosphor zu ersetzen.
Insgesamt spricht sich die ZKL in ihrem neuen Bericht klar gegen ein Übermaß an Bürokratie aus und bemängelt die aktuelle Regelungsdichte, die landwirtschaftliche Betriebe und Behörden überfordere. Erwünscht sind mehr Anreizsysteme statt pauschale Vorgaben, mehr Handlungsspielräume für die Umsetzung vor Ort und weniger kleinteilige exakte Regeln.
Die Regierung wird aufgefordert, bundesweit einheitliche digitale Dokumentationslösungen zu erarbeiten, sodass ein umfassender Datenraum entstehen kann, der auch mit europäischen Projekten kompatibel ist. Empfohlen wird auch die Standardisierung von Nachhaltigkeitsbewertungssystemen, inklusive eines betrieblichen Treibhausgas-Rechners. Ein einheitliches Benchmarkingkonzept könne dazu dienen, nachhaltige Praktiken besser zu vergleichen, Greenwashing zu verhindern und die gegenseitige Inspiration zu fördern.
© BMEL
Marktposition der Erzeuger stärken
Die ZKL identifiziert in einigen Warengruppen eine strukturelle Benachteiligung der Landwirtschaft, die sich daraus ergebe, dass über 260.000 landwirtschaftliche Betriebe wenigen einflussreichen Lebensmittelverarbeitern sowie Einzelhändlern gegenüberstehen. Trotz mehrfacher Anpassungen der Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (GMO) bleibe dieses Problem bestehen.
Das Gremium unterstreicht daher seine Empfehlungen aus 2021, einen Wettbewerbsraum zu schaffen, in dem zwischen Landwirten, Verarbeitern und Handel faire Verhandlungen stattfinden. Es sollten verbindliche Lieferverträge mit konkreten Angaben zu Menge, Qualität und Preis umgesetzt sowie innovative Instrumente erarbeitet werden, mit denen die Marktstellung der Erzeuger gestärkt werden kann.
Luft nach oben bei Tierhaltung
Dringenden Handlungsbedarf sieht die ZKL auch im Tierhaltungssektor. Planungssicherheit für die Betriebe sei die Voraussetzung dafür, dass der Umbau gelingt. Das staatliche Tierhaltungskennzeichen sowie das staatliche Herkunftskennzeichen sieht die ZKL als Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Deutschland nicht gut funktioniere. Beide Standards seien nicht gut mit bereits bestehenden privatwirtschaftlichen Initiativen koordiniert worden. Die Bundesregierung müsse sich mehr an den Empfehlungen der Borchert-Kommission orientieren und das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz konstruktiv weiterentwickeln. Der aktuell verfügbare Finanzierungsrahmen sei „absolut unzureichend“ und könne durch eine schrittweise, moderate Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte aufgestockt werden.
Den vollständigen Abschlussbericht unter dem Titel ‚Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in schwierigen Zeiten‘ finden Sie hier.