Agrarpolitik
Umweltleistungen und Kleinbauern fördern
Strategischer Dialog der EU fordert Kehrtwende in der Agrarsubventionspolitik

Am vergangenen Mittwoch wurde der Abschlussbericht des Strategischen Dialogs über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übergeben. Die Empfehlungen auf 110 Seiten zeigen einen Konsens über die Notwendigkeit einer klimagerechten Agrarwende und beinhalten eine langjährige Forderung von Bios und Umweltschützern: die Abkehr von flächenbezogenen Subventionen zugunsten der Förderung von Ökosystemleistungen. Statt Großbauern sollen laut Gremium pauschal nur noch Landwirte unterstützt werden, die eine Förderung besonders benötigen: Kleinbauern, Junglandwirte oder Neueinsteiger.
Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte den Strategischen Dialog in ihrer Rede zur Lage der Union im September 2023 angekündigt und ihn im Januar 2024 eingeleitet. Unter dem Vorsitz von Peter Strohschneider, der bereits die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) geleitet hat, versammelten sich 29 Interessenvertreter aus dem europäischen Agrar- und Ernährungssektor, der Zivilgesellschaft, ländlichen Gemeinschaften und der Wissenschaft, um eine gemeinsame Vision für die Zukunft der Agrar- und Ernährungssysteme der EU zu erarbeiten. Von Januar bis August fanden sieben Plenarsitzungen des Strategischen Dialogs teil, an denen von der Leyen zwei Mal teilnahm. EU-weit tätige Organisationen konnten sich im Rahmen einer Konsultation mit Beiträgen beteiligen.
Im Fokus des Dialogs standen folgende vier Ziele:
- Landwirten und ländlichen Räumen eine bessere Perspektive und einen angemessenen Lebensstandard bieten
- die Landwirtschaft unter Achtung der planetaren Grenzen unterstützen
- Wissen und technologische Innovationen besser nutzen
- für Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Agrar- und Ernährungssystems sorgen
Eine echte Revolution fordert der Abschlussbericht mit Blick auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Die Interessenvertreter wünschen sich, dass künftig vor allem Landwirte gefördert werden, die eine sozioökonomische Unterstützung „am dringendsten benötigen“. Darunter fallen besonders kleine und gemischte Betriebe, Junglandwirte und Neueinsteiger sowie Betriebe in Gebieten mit naturbedingten Benachteiligungen. Außerdem sollen positive gesellschaftliche Leistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Tierwohl gefördert und das Budget für Umwelt- und Klimamaßnahmen substanziell aufgestockt werden. Eine unabhängige Arbeitsgruppe soll die geeignetsten Mechanismen für eine gezieltere Verteilung der Subventionen auswerten.
Um den Übergang zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu finanzieren, fordert das Gremium neben den GAP-Fördergeldern die Einrichtung eines Agrarfonds für eine faire Weiterentwicklung des Agrar- und Ernährungssystems sowie eines Fonds für die Wiederherstellung der Natur.
Mit Hilfe eines EU-weiten Benchmarking-Systems sollen die Methoden der Nachhaltigkeitsbewertung vereinheitlicht werden. Außerdem soll ein neuer Rechtsrahmen für ein EU-weites Tierwohlkennzeichnungssystem geschaffen werden. Eine Europäische Beobachtungsstelle für landwirtschaftliche Flächen soll künftig dafür sorgen, dass bis 2050 ein Flächenverbrauch von Netto-Null erreicht wird.
Damit die gemeinsamen Empfehlungen umgesetzt und weiterentwickelt werden, wünscht sich der Strategische Dialog die Einrichtung eines Europäischen Agrar- und Ernährungsforums, das von der EU-Kommission mit verschiedenen Interessenvertretern besetzt werden und die Kommission künftig in Fragen der Nachhaltigkeitspolitik beraten soll.
Umweltverbände begrüßen den Abschlussbericht des Strategie-Dialogs. So spricht das Europäische Umweltbüro (EEB) von einem „entscheidenden Moment für die Zukunft der Lebensmittel und der Landwirtschaft in der EU“. Das Dokument zeige den breiten Konsens über die Notwendigkeit, Produktion und Konsum von Lebensmitteln an die planetaren Grenzen anzupassen.
Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling lobt die Würdigung des Ökolandbaus in dem Bericht sowie die vorgesehenen Anreize für Ökosystemleistungen, die einen wirklichen finanziellen Mehrwert bieten sollen: „Das hieße, ein Anreizsystem zu etablieren und wäre wirklich neu.“ Gleichzeitig vermisst er konkrete Zielmarken und Zeitpläne, wie sie bei der Farm-to-Fork-Strategie vorgesehen waren. Genaue Zahlen und Werte stehen im Bericht bisher aus. Auch zur Höhe des Agrarbudgets für die EU-Finanzperiode 2028 bis 2034 hat das Gremium keine Angaben gemacht.
Die Ergebnisse des Strategischen Dialogs sollen der Kommission nun als Richtschnur bei der Gestaltung der Vision für Landwirtschaft und Ernährung dienen, die in den ersten 100 Tagen der zweiten Amtszeit von der Leyens – das heißt bis März 2025 – vorgelegt werden soll.
Die Kommission kündigte an, die Empfehlungen genau zu bewerten, und will wie gefordert eine neue Plattform für den Austausch von Akteuren aus dem gesamten Agrar- und Ernährungssektor, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft einrichten, die die strategische Arbeit fortführt.
Den vollständigen Bericht des Strategischen Dialogs (auf Englisch) finden Sie hier.
Eine Kurzversion steht auch auf Deutsch zur Verfügung.
Die Empfehlungen des Strategischen Dialogs im Überblick:
1. Stärkung der Position der Landwirte
- durch engere Zusammenarbeit, Kostensenkung, Effizienz, bessere Marktpreise und Einkommen
2. Neuer Ansatz zur Verwirklichung von Nachhaltigkeit
- ein EU-weites Benchmarking-System im Agrar- und Ernährungssektor, um die Methoden der Nachhaltigkeitsbewertung zu vereinheitlichen
3. Zielgerichtete Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)
- sozioökonomische Unterstützung für die Landwirte, die sie am dringendsten benötigen – besonders kleine und gemischte Betriebe, Junglandwirte und Neueinsteiger sowie Betriebe in Gebieten mit naturbedingten Benachteiligungen
- Förderung positiver gesellschaftlicher Leistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Tierwohl, die über rechtliche Anforderungen hinausgehen und auf robusten Indikatoren mit quantifizierbaren Ergebnissen beruhen
- Rahmenbedingungen für lebenswerte ländliche Räume
- Eigenes angemessenes Budget, das allen Zielen der EU ausgewogen gerecht wird. Die finanzielle Unterstützung für Umwelt- und Klimamaßnahmen muss substanziell aufgestockt werden.
4. Finanzierung des Übergangs
- Einrichtung eines Agrarfonds für eine faire Weiterentwicklung des Agrar- und Ernährungssystems
- ein sektorspezifisches Sonderkreditprogramm der Europäischen Investitionsbank
5. Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in der Handelspolitik
- mehr Kohärenz zwischen der Handels- und Nachhaltigkeitspolitik der Europäischen Kommission
- stärkere Führungsrolle bei der Reform des globalen handelspolitischen Rahmens
6. Gesunde und nachhaltige Entscheidungen einfach machen
- Förderung des Wandels zu pflanzlicher Ernährung
- umfassende Überprüfung der EU-Rechtsvorschriften zur Lebensmittelkennzeichnung
- Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen in Bezug auf an Kinder gerichtete Werbung
- Steuererleichterungen für Verbraucher und Maßnahmen, um Lebensmittel für einkommensschwächere Verbrauchergruppen bezahlbar zu machen
7. Förderung nachhaltiger landwirtschaftlicher Produktionsmethoden
- Biodiversität in der Landwirtschaft, Reduzierung externer Inputs wie Mineraldünger und Pestizide, Verbesserung der Nährstoffbewirtschaftung, Dekarbonisierung mineralischer Düngemittel und biologische Schädlingsbekämpfung fördern
- Unterstützung von Ökolandbau und Agrarökologie
- Einrichtung eines Fonds für die Wiederherstellung der Natur
8. Verringerung der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft
- ein System zur Erfassung von Treibhausgasemissionen und feste Ziele für die verschiedenen landwirtschaftlichen Produktionsformen
9. Nachhaltige Tierhaltung
- Entwicklung einer Strategie für die Tierhaltung in der EU
- Überarbeitung der Vorschriften zum Tierwohl
- neuer Rechtsrahmen für ein EU-weites Tierwohlkennzeichnungssystem
10. Flächenerhalt und Pflanzenzucht
- neue Europäische Beobachtungsstelle für landwirtschaftliche Flächen, um bis 2050 einen Netto-Null-Flächenverbrauch zu erreichen
- neues System zur Unterstützung von Innovationen in der Pflanzenzucht, ausgerichtet an schwierigen klimatischen Bedingungen und Nachhaltigkeit
11. Risiko- und Krisenmanagements
- stärkere Integration von Risikomanagementinstrumenten und entsprechende Investitionen
- besserer Zugang der Landwirte zu landwirtschaftlichen Versicherungen
- Reform der derzeitigen Agrarreserve, bessere Ausrichtung auf Katastrophen
12. Attraktiver und vielfältiger Sektor
- Erleichterung des Eigentumswechsels bei Agrarflächen, finanzielle Unterstützung und bessere Ausbildung, um den Generationswechsel voranzutreiben
- Geschlechterungleichheit und mangelnde Diversität angehen
13. Wissen und Innovation
- mehr öffentlich-private Partnerschaften und größere Investitionen in Forschung und Innovation
- Zulassungsverfahren straffen und Digitalisierung fördern
14. Governance und Kooperationskultur
- neue Kultur der Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen
- neues Europäisches Agrar- und Ernährungsforum (European Board on Agri-Food [EBAF]), das die Umsetzung und Weiterentwicklung der Empfehlungen voranbringt
- unnötigen Bürokratieaufwand vermeiden, gründliche Folgenabschätzungen durchführen, inklusive Beratungs- und Entscheidungsverfahren sicherstellen
Teilgenommen am Strategischen Dialog haben:
- Peter Strohschneider (Vorstand)
- Leo Alders (Fertilizers Europe)
- Lili Balogh (Agroecology Europe)
- Faustine Bas-Defossez (European Environmental Bureau)
- Kristjan Bragason (European Federation of Food, Agriculture and Tourism Trade Unions)
- Ariel Brunner (Bird Life Europe & Central Asia)
- Marco Contiero (Greenpeace Europe)
- Christel Delberghe (Eurocommerce)
- Thierry de L’Escaille (European Landowners’ Organization)
- Michael Gohn (Euroseeds)
- Monique Goyens (BEUC The European Consumer Organisation)
- Thibaut Guignard (European LEADER Association for Rural Development)
- Nelli Hajdu (European Liaison Committee for Agricultural and Agri-Food Trade)
- Sjoukje Heimovaara (Wageningen University and Research)
- Dirk Jacobs (FoodDrinkEurope)
- Christiane Lambert (COPA Committee of Professional Agricultural Organisations)
- Joseph Lechner (Geopa-COPA Employers’ Group of Professional Agricultural Organisations)
- Philip Lymbery (Eurogroup for Animals)
- Peter Meedendorp (CEJA European Council of Young Farmers)
- Marta Messa (Slow Food)
- Lennart Nilsson (Cogeca General Confederation of Agricultural Cooperatives)
- Spyros Papadatos (Rural Youth Europe)
- Jan Plagge (IFOAM Organics Europe)
- Rocco Renaldi (FoodServiceEurope)
- Claire Skentelbery (EuropaBio)
- Geneviève Savigny (European Coordination Via Campensina)
- Nina Schindler (European Association of Co-operative Banks)
- Uno Svedin (EURAGRI)
- Jacques Vandenschrik (European Food Banks Federation)
- Gelsomina Vigliotti (European Investment Bank)