Agrarpolitik
Zukunftsprogramm Pflanzenschutz: Verbände kritisieren Verwässerung
Kompromiss-Papier zur Pestizidreduktion bietet wenig Konkretes

Am vergangenen Mittwoch hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir das ‚Zukunftsprogramm Pflanzenschutz‘ vorgelegt, mit Hilfe dessen der Pestizideinsatz in Deutschland bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden soll. Bio- und Umweltverbände sind allerdings nicht überzeugt. Sie kritisieren weitere Abschwächungen des früheren Entwurfs, das Fehlen wirksamer Maßnahmen wie einer Pestizid-Abgabe, mangelnde Verbindlichkeit und das Ausbleiben von Angaben zur Finanzierung.
Bereits im März hatte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) eine ‚Diskussionsgrundlage‘ veröffentlicht, zu der Bio-, Umwelt- und Bauernverbände eine Stellungnahme abgeben konnten. Auch Wissenschaftler und Praktiker aus dem Dialognetzwerk Zukunftsfähige Landwirtschaft seien in den Entstehungsprozess eingebunden worden.
„Mir war die Beteiligung und enge Einbindung der unterschiedlichen Interessengruppen wichtig“, erklärt Özdemir. „Unser Weg zu einem nachhaltigen Pflanzenschutz heißt: Zusammenarbeit, wirtschaftliche Anreize und landwirtschaftliche Vernunft. Ich bin überzeugt, dass wir ein Programm mit Maß und Mitte gefunden haben.“
Weder der Deutsche Bauernverband, der das Papier als „Affront gegen die Landwirtschaft“ betrachtet, noch Bio- und Umweltverbände sind mit dem finalen Programm jedoch zufrieden.
In einem offenen Brief haben 14 Bio- und Umweltverbände im Mai kritisches Feedback gegeben, die begriffliche Abschwächung des ‚Pestizid-Reduktionsprogramms‘ in ‚Zukunftsprogramm Pflanzenschutz‘ bemängelt und einstimmig eine Pestizidabgabe gefordert, mit deren Hilfe man nicht-chemische Pflanzenschutzmaßnahmen unterstützen könne.
Sie sehen ihre Forderungen im fertigen Papier nun nicht berücksichtigt. Im Gegenteil: „Der im März dieses Jahres vorgelegte Entwurf zum Zukunftsprogramm Pflanzenschutz war bereits enttäuschend – die überarbeitete und jetzt vorgestellte Fassung frustriert nun aber gänzlich“, kommentiert Gerald Wehde, Geschäftsbereichsleiter Agrarpolitik beim Anbauverband Bioland. Statt nachzuschärfen seien weitere Abschwächungen vorgenommen worden und Überlegungen, wie sich externe Kosten internalisieren ließen, komplett aus dem Papier verschwunden.
Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht „die schwammige Diskussionsgrundlage noch mehr aufgeweicht“. So fehle der ursprünglich angestrebte Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide in Trinkwasserschutzgebieten nun vollständig. „Mit diesem Zukunftsprogramm Pflanzenschutz wird die Bundesregierung die eigenen Pestizidreduktionsziele von 50 Prozent bis 2030 nicht erreichen“, befürchtet BUND-Interimsgeschäftsführer Patrick Rohde.
Versöhnlichere Töne kommen vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), der sich ebenfalls am offenen Brief beteiligt hatte. „Das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz bietet eine erste Arbeitsgrundlage“, meint NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Jetzt brauche es mehr Verbindlichkeit; gleichzeitig müssten Polemik und alte Grabenkämpfe überwunden werden. „Wenn es gelingt, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, kann das Papier zu einem echten Aufbauprogramm der landwirtschaftlichen Produktivität und unserer natürlichen Lebensgrundlage werden. Wir stehen zum Dialog bereit.“
Inhalt des Papiers
Das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz stützt sich auf drei Säulen: Innovation, Forschung und Beratung für pestizidarme Anbaumethoden und moderne Technik; Kooperation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zur Förderung der Biodiversität sowie Alternativen zu chemisch-synthetischen Pestiziden.
Im Detail nennt das BMEL zwölf Vorhaben zur Reduktion des Pestizideinsatzes:
- Integrierten Pflanzenschutz stärken
- Anbaudiversifizierung ermöglichen und Züchtung resistenter Sorten unterstützen
- Öko-Landbau bis 2030 auf 30 Prozent ausbauen – etwa durch die Unterstützung umstellungswilliger Betriebe und mehr Austausch zwischen Bio- und konventionellen Betrieben
- Verbreitung agrarökologischer Ansätze fördern
- Kooperativen Naturschutz stärken und Rückzugsflächen für Tiere und Pflanzen in der Agrarlandschaft schaffen
- Praxisverfügbarkeit biologischer Pflanzenschutzverfahren verbessern – zum Beispiel durch Rechtssicherheit beim Einsatz von Nützlingen sowie die Übernahme der Mehrkosten von biologischen Pflanzenschutzverfahren
- Prognosemodelle und Entscheidungshilfen kontinuierlich weiterentwickeln
- Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel verbessern – wenn möglich durch vorrangige Prüfung von biologischen Wirkstoffen und eine vereinfachte Zulassung von Pestiziden mit geringem Risiko
- Forschung und Innovationen fördern und Wissenstransfer in die Praxis stärken – etwa für praxisnahe Strategien zur konservierenden Bodenbearbeitung und neue Methoden zur biologischen Schädlingsregulierung
- Digitalisierung und moderne, mitteleinsparende Anwendungstechnik fördern
- Modellregionen und Modellbetriebe weiterführen und ausbauen
- Unabhängige Beratung stärken, Bildungsangebot kontinuierlich weiterentwickeln
Das vollständige Programm können Sie hier einsehen.