Agrarpolitik
GAP-Lockerungen: NGOs reichen Beschwerde ein
ClientEarth und BirdLife Europe wenden sich an EU-Ombudsstelle
Gestern haben die Umweltorganisationen ClientEarth und BirdLife Europe eine Beschwerde bei der Europäischen Bürgerbeauftragten gegen das Aus für Umweltregeln in der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) eingereicht. Nach Ansicht der NGOs hat sich die EU-Kommission mit dem Eilverfahren, in dem die GAP-Lockerungen durchgewunken wurden, über ihre eigenen demokratischen Standards hinweggesetzt.
Der Entwurf für die GAP-‚Reform‘ wurde im März von der EU-Kommission eingebracht und umfasst die Änderung von sechs der neun Standards für den ‚guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand‘ (GLÖZ) von Flächen, die entweder gestrichen oder verwässert wurden. Grünes Licht vom EU-Parlament gab es bereits Ende April und im Mai wurde die Vereinfachung vom EU-Ministerrat abgesegnet. Diese Geschwindigkeit war nur über ein sogenanntes Dringlichkeitsverfahren möglich, bei dem nicht wie üblich Parlamentsausschüsse über einen Entwurf tagen und auch keine Folgenabschätzung stattfindet.
Sowohl die Lockerungen als auch das Eilverfahren wurden von Umweltschützern scharf kritisiert. Knapp 150 europäische NGOs warnten in einem offenen Brief vor den Konsequenzen des ‚Rollbacks‘ in der Agrarpolitik. Der Bio-Dachverband IFOAM Organics Europe und die europäische Bauernorganisation Via Campesina, die von der Kommission vor der Entscheidung konsultiert worden waren, betonten, ihre Wünsche seien nicht in den Entwurf miteingeflossen. Außer diesen zwei Verbänden hörte die Kommission lediglich den EU-Agrarverband Copa-Cogeca und den Europäischen Rat der Junglandwirte (CEJA) an.
ClientEarth und BirdLife Europe bezeichnen das komplette Vorgehen nun als undemokratisch und „eklatant unvereinbar mit dem EU-Recht“. Bei der vorangegangenen GAP-Reform hätten sich über 300.000 Interessengruppen beteiligt. „Änderungen an bedeutenden Gesetzen wie diesem brauchen Jahre, um verabschiedet zu werden – im Gegensatz dazu dauerten diese nur Wochen. Wir haben dieses ‚Notfallverfahren‘ bisher nur während Covid-19 und dem Krieg in der Ukraine erlebt“, kommentiert Sarah Martin, Anwältin von ClientEarth.
Nach Einschätzung der Beschwerdeführer hat die EU-Kommission mit dem Verfahren gegen die Leitlinien für bessere Rechtsetzung verstoßen und die rechtlichen Grundsätze der EU in Bezug auf Transparenz, Konsultationen und evidenz-basierte Entscheidungsfindung unterlaufen. Auch die rechtliche Verpflichtung durch das EU-Klimagesetz sei nicht eingehalten worden, da keine Bewertung stattfand, ob der Reformvorschlag mit den Klimazielen vereinbar ist.
„Panikmache darf nicht zum Standard für EU-Prozesse werden“, betont Martin. „Die EU-Kommission hat den Weg für eine antidemokratische, umweltfeindliche und vor allem bauernfeindliche Gesetzgebung geebnet und damit einer mächtigen Lobby der Agrarindustrie nachgegeben, die nur einigen wenigen dient“, urteilt Marilda Dhaskali, Referentin für Agrarpolitik bei BirdLife.
Die Europäische Bürgerbeauftragte hat keine Durchsetzungsbefugnisse, kann aber Lösungen vorschlagen und offizielle Empfehlungen abgeben. Die NGOs warten nun auf eine Entscheidung über die Zulässigkeit ihrer Beschwerde sowie auf Stellungnahmen zu ihren Kritikpunkten. Dieser Prozess könne allerdings sechs bis 18 Monate in Anspruch nehmen.