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Bio-Boom im Baltikum

Estnische Bio-Hersteller beliefern Europa

Bio-Boom im Baltikum © Organic Estonia

Estland bietet viel Potenzial für eine umweltfreundliche Landwirtschaft und den Bio-Ausbau auf seinen Flächen. Der Staat verfügt über viel unberührte Natur und eine geringe Bevölkerungsdichte. 22 Prozent des Landes sind aktuell als Naturschutzgebiete ausgezeichnet, 51 Prozent sind mit Wäldern bedeckt. Mit einem Bio-Anteil an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche von 23 Prozent (das entspricht 229.400 Hektar) befindet sich Estland unter den Top 3 in der EU und weltweit auf Platz 5 (Stand: 2021).

Von 2008 bis 2018 konnte die Bio-Fläche um 117 Prozent oder 111.423 Hektar zulegen. Günstige natürliche und klimatische Bedingungen machen den Ökolandbau in Estland besonders attraktiv. Es gibt viele ausgedehnte Grünflächen für die Weidehaltung und viele Wildgebiete, wo Beeren und Pilze gesammelt werden können.

Außerdem laden gute Exportaussichten zur Umstellung ein: 2017 wurde mit Bio-Exporten ein Umsatz von 27 Millionen Euro erzielt. 99 Prozent des gezüchteten Viehs wird exportiert, genauso wie große Mengen von Honig und Getreide. Nicht mal die Hälfte der produzierten Bio-Ware wird lokal konsumiert. Deutschland ist das Hauptexportland für die baltischen Staaten.

Vorherrschend ist in der estnischen Bio-Landwirtschaft der Ackerbau, gefolgt von Dauergrünland und noch wenigen Dauerkulturen. Auf dem Ackerland wird mit Abstand am meisten Getreide angebaut, aber auch Hülsenfrüchte und Ölsaaten spielen eine Rolle. Der stabilste und langlebigste Sektor ist die Milchviehhaltung; Fleischproduktion und Getreideanbau entwickeln sich ebenfalls gut. Es werden viele Rinder, Geflügel und Schafe gehalten, aber nur wenige Schweine. Die Produktion von Bio-Honig schließlich floriert und hat sich in einem Jahr mehr als verdoppelt.

Kama, Buchweizen und Erbsenmehl

Die Bio-Produzenten des kleinen baltischen Staats werben damit, besonders innovative Produkte hervorzubringen. Sanddorn, Johannisbeeren, Kartoffelstärke oder Erbsen- und Bohnenmehl können Einkäufer von estnischen Herstellern erwerben. Dank des Klimawandels gedeihen auch südländische Pflanzen wie Wassermelonen, Trauben und Sojabohnen immer besser. Als traditionelle Nahrungsmittel sind Kefir und Hüttenkäse bekannt – oder auch Buchweizen, der in den letzten Jahren immer gefragter war. Estnische Produzenten verarbeiten ihn nicht nur zu Mehl, sondern auch zu Tee, als Müsli oder in Keksen.

Eine weitere estnische Spezialität ist das traditionelle Körnergericht Kama, das durch Rösten mehrerer Getreidesorten (darunter Roggen, Gerste und Erbsen) hergestellt und vermischt mit Milch, Buttermilch oder Kefir als Frühstücksbrei verzehrt wird. Unternehmen wie ‚Just Kama‘ bieten Geschmacksrichtungen wie Erdbeere, Ananas, Sanddorn-Kürbis oder Heidel- und Preiselbeere an.

Gefriergetrocknete Beeren, auch in Pulverform oder als Saft, gibt es vom Hersteller Loov Organic. Als Bio-Energy-Drinks ‚für achtsame Hedonist*innen‘ werden die Soft-Punch-Getränke von Punch Club vermarktet – mit Cannabis, Hibiskus & Apfel oder Mate & Zitrone. Schwarzen Bio-Knob- lauch in verschiedenen Verarbeitungsformen bringt das Unternehmen Black Garlic auf den Markt. Und cremigen Bio-Wildhonig mit Bienenbrot (Ambrosia), fermentierten Blütenpollen oder Propolis stellt der Lieferant Metsaserva Mesi.

Ein sehr erfolgreicher Produzent, dessen Ware bereits in ausgewählten Läden in Deutschland verkauft wird, ist auch der Speiseeis-Hersteller La Muu. 2012 gegründet, liefert er inzwischen rund 2.000 Kilogramm Eis pro Tag und hält einen Marktanteil von zwei Prozent im gesamten Speiseeis-Sektor Estlands. Die Sorten reichen von klassischen Varianten bis zu Blutorangen-Sorbet oder veganem Banane-Schokoladen-Eis.

Große Pläne, kleines Budget

2014 hat die estländische Regierung den ‚Estonian Organic Farming Development Plan‘ verabschiedet, mit Hilfe dessen die Wettbewerbsfähigkeit von Bio verbessert und der Konsum von lokalen Bio-Lebensmitteln gefördert werden sollte. Vielerlei Ziele wurden dabei bis 2020 festgelegt. Erreicht wurde unter anderem das Vorhaben, den Export von Bio-Produkten zu verdreifachen. 2019 lag die Exportsumme bei 31,9 Millionen Euro. Das Ziel, die Öko-Fläche auf 175.000 Hektar zu bringen, wurde mit einer Fläche von 204.000 Hektar sogar übertroffen. Und der Anteil der Bio-Produktion an der gesamten landwirtschaftlichen Produktion konnte wie geplant um 50 Prozent gesteigert werden. Andere Ziele wurden nicht erreicht: so etwa ein Bio-Anteil von 30 Prozent in Kindertagesstätten oder die Ziel-Summe von über 200 bei den Bio-Verarbeitern.

Als ein weiteres Förderprogramm Estlands lief von 2018 bis 2021 das ‚Programme for Estonian eco-economy‘, mit dem die Bio-Wirtschaft als bedeutende Wirtschafts- und Export-Branche entwickelt werden sollte. Das Ziel war mit einer geplanten Öko-Fläche von 51 Prozent bis 2021 sehr ehrgeizig – und nach Meinung des Forschungszentrums für Ökolandbau der Estnischen Universität für Biowissenschaften auch nicht erreichbar. „Um Ziele zu erreichen, braucht es genügend finanzielle Mittel“, so das Fazit ihrer Analyse. Das Budget zur Förderung des Ökolandbaus sei zu knapp gewesen. Außerdem müsse bei zukünftigen Förderprogrammen darauf geachtet werden, dass regelmäßig Daten gesammelt und ausgewertet und die Pläne entsprechend angepasst werden.

Auch nach der Analyse des Bio-Dachverbands IFOAM – Organics Europe ist die fehlende finanzielle Förderung des Ökolandbaus in Estland die derzeit größte Gefahr für die dortige Bio-Bewegung. Für den gesamten Zeitraum der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (2023 bis 2027) ist ein Bio-Budget von 120 Millionen Euro geplant. Im Rahmen der ersten Säule soll es als Öko-Regelung für die ökologische Umstellung und im Rahmen der zweiten Säule als Unterstützung für die ökologische Tierhaltung bereitgestellt werden.

Öko-Landwirte könnten laut IFOAM wegen der niedrigen Fördersätze zur konventionellen Landwirtschaft zurückkehren und konventionelle erhielten nicht genügend finanzielle Anreize, um auf Bio umzustellen. Viele Ackerbaubetriebe diskutierten bereits die Möglichkeit, den ökologischen Landbau aufzugeben. Grund genug für die Regierung, das Ruder herumzureißen und künftig mehr Mittel freizumachen, damit die Entwicklung des Ökolandbaus weiter vorangehen kann.

Lena Renner

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