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Ukrainische Biobranche – vielfältiges Potenzial trotz allem!
Im Frühling 2024 erinnert sich die ukrainische Biobranche an den Beginn des russischen Angriffskriegs vor zwei Jahren

Trotz allem erweist sich der ukrainische Ökolandbau weiterhin als widerstandsstark und produktiv. Seit rund zehn Jahren durchlief die ukrainische Biobranche eine erfolgreiche Aufbauphase und etablierte Fach- und Vermarktungskontakte in Europa und weltweit. Gleichzeitig mit dem Flächen- und Mengenausbau wurden die rechtlichen und organisatorischen Grundlagen für die Umsetzung der branchenüblichen Anforderungen und Zertifizierungsabläufe etabliert.
Im ersten Jahr des auf das ganze Land ausgeweiteten russischen Angriffskriegs erzielte die ukrainische Biobranche dank gut verankerten Vermarktungspartnerschaften sogar einen Exportrekord.
Großes Bio-Potenzial erhalten und ausbauen
In einer Reihe von Bio-Pionier-Regionen, wie etwa der noch immer teilweise besetzten Oblast Cherson und den direkt in Frontnähe liegenden Gebieten, ist die Bioproduktion heute stark eingeschränkt oder gänzlich verunmöglicht. In den nicht direkt an der Front liegenden Gebieten halten die in der Landwirtschaft, Verarbeitung und Logistik Tätigen jedoch die Produktion aufrecht – nach wie vor mit erstaunlichem Erfolg.
Die Ukraine hat ein riesiges Potenzial für die Produktion von biologischen Nahrungsmitteln. Auf der Biofach, der Weltleitmesse der Biobranche im Februar 2024, wurden die neuesten Zahlen präsentiert (siehe Infobox). Diese stammen mehrheitlich aus dem Jahr 2022 und zeigten für die Ukraine einige Trends. Namentlich auf dem Inlandmarkt war die Nachfrage aufgrund der sinkenden Kaufkraft stark rückläufig. Diese Abnahme konnte zumindest zeitweise durch gestiegene Exporte kompensiert werden.
Nach Angaben von Maryna Kyslytska, Leiterin der Abteilung für staatliche Politik im Bereich ökologische Produktion im Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine, ist die landwirtschaftliche Situation des Landes durch den Krieg stark beeinträchtigt worden. Zwei Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sind derzeit vermint und es stehen keine Mittel für staatliche Förderprogramme zur Verfügung. Hinzu kommen hohe Logistikkosten und anhaltende Exportrisiken sowie eine geringere Kaufkraft in der Ukraine aufgrund der kriegsbedingten wirtschaftlichen Probleme.
In der Ukraine gibt es mehrere Organisationen und NGOs im Bereich des ökologischen Landbaus, die trotz des Krieges sehr aktiv sind. Sie organisieren inländische Kongresse im Hybridformat, initiieren inländische Kampagnen zum Absatz in der Ukraine erzeugter Bioprodukte oder setzen sich für den Aufbau von Wirtschaftskontakten in die EU ein. Bemerkenswert ist auch, dass es seit August 2023 möglich ist, sich nach dem eigenen ukrainischen Gesetz zum ökologischen Landbau zertifizieren zu lassen. Bereits mehr als 170 Betriebe in der Ukraine haben das seitdem getan.
Vielfältiger Biofach-Auftritt
Die rund 40 Aussteller auf der Biofach 2024 zeigten eine große Vielfalt an Angebot und Struktur – von kleinen Landwirtschafts- und Verarbeitungsbetrieben bis zu großen Agrarunternehmen. In vielen nehmen Frauen leitende Funktionen ein, verstärkt durch die Auswirkungen der Kriegssituation (vgl. Artikel: Frauen in der Ukraine verändern die Welt). Bereits zum elften Mal in Folge war die Ukraine mit einem Landesstand bei der Biofach in Nürnberg vertreten. Zur Bekräftigung der volkswirtschaftlichen Bedeutung wurde der ukrainische Biosektor von einer hochrangigen politischen Delegation begleitet.
© Dr. Dreesmann
Unter der Schirmherrschaft des ukrainischen Ministeriums für Agrarpolitik und Ernährung (MAPF) wurde die ukrainische Präsenz auf der Biofach von mehreren Partnern unterstützt, darunter die ‚Deutsch-Ukrainische Kooperation im ökologischen Landbau (COA)‘. Das Projekt wird aus Mitteln des bundesdeutschen Landwirtschaftsministeriums finanziert.
Der Aufbau der ukrainischen Biobranche wird zudem seit rund zehn Jahren von Schweizer Fachleuten unterstützt, etwa durch die schweizerisch-ukrainische Förderorganisation ‚Quality Food Trade Program‘ (QFTP). Das QFTP wird vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) geleitet und vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) finanziert. Das Projekt hat zum Ziel, nachhaltigen Handel zu fördern und in der Ukraine Arbeitsplätze im Biolandbau sowie im Milchsektor zu schaffen. Die Ukraine ist verstärkt auf die europäischen Exportmärkte angewiesen, da Übersee-Handelswege aufgrund des Kriegs schwieriger oder gar nicht mehr zu bedienen sind.
Peter Jossi
- Die biologische Anbaufläche in der Ukraine betrug 2022 noch gut 263.000 Hektar. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahr (422.299 Hektar) betrug damit rund 38 Prozent.
- Der Wert der ukrainischen Bioexporte blieb trotz des Kriegs praktisch stabil: Sie beliefen sich 2022 auf 219 Millionen US-Dollar, im Vorjahr waren es 222 Millionen US-Dollar.
- Gleichzeitig stieg der Wert der ukrainischen Bioexporte in die EU und in die Schweiz 2022 um 14,6 Prozent auf 191,5 Millionen US-Dollar. 2021 waren es noch 167,2 Millionen US-Dollar gewesen. Die Ukraine exportierte im Jahr 2022 225.800 Tonnen Bioprodukte in die EU und in die Schweiz. Das entsprach einem Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zu 2021 (200.200 Tonnen).
- Damit avancierte die Ukraine 2022 zum drittwichtigsten Lieferanten von Bioprodukten und -futtermitteln in die EU, was vor allem auf die zunehmenden Lieferungen von Sojabohnen, Weizen und Mais zurückzuführen ist.
- Der Inlandverbrauch von Bioprodukten ging 2022 im Vergleich zu 2021 aufgrund des Kriegs um 52 Prozent zurück.