Ernährungswende
Was Landwirtschaft und Ernährung erneuert
Neues Dossier des Instituts für Welternährung
Die Zeit der billigen Lebensmittel ist vorbei. Die galoppierenden Preise offenbaren, wie verwundbar das System der Welternährung ist. Schon lange ist offensichtlich, dass die globalisierte Agrarindustrie die Ernährungssicherheit weltweit untergräbt, weil sie Bodenfruchtbarkeit vernichtet, Wasserreserven erschöpft, Artenvielfalt ausradiert und das Weltklima aufheizt. Sicherheit bei Lebensmitteln ist nur durch eine grundsätzliche Wende der Ernährungspolitik möglich. Mit welcher Strategie Ernährungssouveränität und Resilienz erreicht werden kann, ist Thema eines neuen Dossiers des Instituts für Welternährung (IWE).
Das Dossier führt aus, dass Hochtechnologien, die die Produktion von Nahrungsmitteln in Bioreaktoren und auf das Wirken von Mikroorganismen und Zellkulturen verlagern, überschätzt werden. Die angekündigten Produkte seien bisher ernährungsphysiologisch kaum erforscht, mit gesundheitlichen Risiken verbunden und noch deutlich von der Marktreife entfernt. Zudem begünstige ein so wissens- und kapitalintensives Verfahren die Produktion durch große Ernährungskonzerne und sei ungeeignet für die Menschen in den Armuts- und Hungerregionen der Welt.
Auch an der neuen Gentechnik CRISPR/Cas meldet das IWE grundsätzliche Zweifel an. Es behandle Symptome, nicht die Ursachen und könnte die Lebensdauer des auf Monokulturen und industrieller Landwirtschaft basierenden Systems künstlich verlängern, indem es seine Schäden repariert. Nach dem Leitspruch ‚better safe than sorry‘ müsse das Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik aufrecht erhalten bleiben.
Bei Modellen des Wandels, die stattdessen tatsächlich zukunftsfähig sind, stellt das IWE die Bedeutung des Mikrobioms und der Vielfalt im Mikrokosmos des Bodens als Grundlage eines agrarökologischen Systems in den Vordergrund. Vielfalt biete die Gewähr für sicherere Erträge, langfristige Produktivität und Widerstandskraft gegen Extremwetterlagen, die im Zuge des Klimawandels vermehrt auftreten werden. Eine stets geschlossene Pflanzendecke durch Zwischenfrüchte und Untersaaten sorge für bodennahe Kühlung, fördere den regionalen Wasserkreislauf und verbessere die Speicherfähigkeit im Boden. Regenerative Landwirtschaft, Permakultur und Agroforstwirtschaft werden beispielhaft als Modelle für einen ökologischen Systemwechsel in der Landwirtschaft genannt.
Als einer der größten Hebel für gesündere Ernährungsgewohnheiten in der Gesellschaft hebt das IWE die Außer-Haus-Verpflegung hervor. Als zukunftsfähige Modelle des Wandels werden außerdem die Solidarische Landwirtschaft und bäuerliche Erzeugergemeinschaften genannt. Was den Lebensmitteleinzelhandel angeht, so stehe dieser heute unter großem Druck, nachhaltige Produkte anzubieten. Verbraucher hätten die Chance, mit ihren Kaufentscheidungen die konstruktive Unruhe des Handels zu befördern.
Politisch müssten die Flächenzahlungen der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) in Zahlungen umgewandelt werden, die an gesellschaftliche Leistungen geknüpft sind. Die Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte aus Massentierhaltung könnte erhöht und die auf Obst und Gemüse aus ökologischen Anbauverfahren gesenkt werden, um eine Verbesserung der Ernährung zu erzielen. Eine erneuerte Ernährungspolitik müsse eine der Kernaufgaben der neuen Legislatur werden.
Das vollständige IWE-Dossier finden Sie hier.