Ernährungswende
Gesunde Umwelt, gesunde Menschen
Wege aus der kollektiven Verantwortungslosigkeit

Warum muss der Staat stärker eingreifen, damit die Ernährungswende gelingen kann? Welche Orientierung bietet der One-Health-Ansatz der WHO? Und wie lassen sich finanzielle Hindernisse auf dem Weg zu ‚Bio für alle‘ in der Gemeinschaftsverpflegung überwinden? Bei einer Online-Tagung des Verbands der Unabhängigen Gesundheitsberatung (UGB) am 6. und 7. Mai standen Nachhaltigkeitsthemen von Umweltethik bis zu den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen im Fokus.
Mit ‚Bio für Kinder‘ stellte Daniela Schmid, Projektleiterin beim Tollwood-Festival und Vorstandsmitglied des Münchner Ernährungsrats, einen Vorreiter für funktionierende Bio-Projekte in der Außer-Haus-Verpflegung vor. Bereits 2006 wurde das Pilotprojekt vom damaligen Referat für Gesundheit und Umwelt der heutigen Biostadt München gemeinsam mit Tollwood gestartet. Bis 2012 konnten 32 verschiedene Kinderbetreuungseinrichtungen bei der Umstellung auf 100 Prozent Bio-Kost begleitet werden. Der kostenlose Bio-Speisenplanmanager, der weiter optimiert werden soll, werde inzwischen von gut 1.500 Nutzern in ganz Deutschland verwendet. Seit letztem Jahr wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Besseres Küchenmanagement für leistbares Bio
„Mehrkosten sind zwar die größte Befürchtung, aber nicht das eigentliche Problem!“, stellte Schmid klar. Durchschnittlich liege der finanzielle Zusatzaufwand pro warmer Hauptmahlzeit bei 30 Cent oder 16,5 Prozent mehr als im Vergleich zur konventionellen Verpflegung vor Projektstart. Die meisten Einsparungen ließen sich durch Verbesserungen im Küchenmanagement erzielen: weniger Fleisch, weniger vorverarbeitete Produkte und mehr regional und saisonal verfügbare Zutaten. Seien Küchenkräfte anfangs aufgrund der engen finanziellen Vorgaben in der Regel eher kritisch eingestellt, ließen auch sie sich von dem Mehrwert von Bio begeistern, wenn ihre Schulungszeit als Arbeitszeit anerkannt würde. „Wir gehen aber nur auf Einrichtungen zu, wo auch der Wunsch nach einer Bio-Umstellung besteht“, so Schmid.
Den Zusammenhang einer gesunden, nachhaltigen Ernährung und einer gesunden Umwelt verdeutlichte Uta Eser vom Büro für Umweltethik anhand der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs). Die Lebensmittelproduktion – verbunden mit den SDGs zu Wasserversorgung, Klima- und Meeresschutz sowie der Bewahrung der Ökosysteme des Landes – sei Voraussetzung dafür, das Entwicklungsziel der Ernährungssicherung für alle zu erreichen. Dies werde im sogenannten One-Health-Ansatz der Weltgesundheitsorganisation auf den Punkt gebracht.
„Gesunde Menschen gibt es nur, wenn auch Tiere und Ökosysteme gesund sind“
Die Ökosystemleistungen der Natur reichten von der Versorgung mit essentiellen Gütern über die Selbstregulierung zu ‚kulturellen‘ Werten für den Menschen, wie Stressabbau und Erholung. Durch kollektive Verantwortungslosigkeit seien die kollektiven UN-Ziele der nachhaltigen Entwicklung gefährdet. Dem Grund und Boden der Landwirte und den Einkäufen der Konsumenten als private Güter stünden die Kollektivgüter Klima und Biodiversität gegenüber.
Noch gravierender als das Problem der Marginalität – dass man als Einzelner alleine nicht viel beiträgt – sei das Trittbrettfahrerproblem zu bewerten: Wer sich eines Problems annimmt, hat den ganzen Aufwand, ohne mit der positiven Wirkung belohnt und zum Weitermachen motiviert zu werden.
Steigende Komplexität und unfaire Ernährungsumgebung
Die Lösung: Es brauche ein gemeinsames Regelwerk, einen ordnenden Rahmen, der es den Menschen leichter macht, sich gemeinwohlorientiert zu verhalten – zum Beispiel über die richtigen steuerlichen Eingriffe.
Zum Schluss, dass eine nachhaltige Transformation der Ernährung nicht ausschließlich durch die individuellen Entscheidungen von Konsumenten möglich ist, kommt auch Sarah Iweala, Doktorandin an der Universität Göttingen. Ausschlaggebend dafür seien im Wesentlichen drei Punkte:
- der Gegenwartsbias: wir bevorzugen Belohnungen in der Gegenwart statt in der Zukunft
- die steigende Komplexität des Einkaufs – auch Label bieten durch ihren unterschiedlichen Bekanntheitsgrad und das Vertrauen, das sie jeweils genießen, keine einheitliche Orientierung
- eine unfaire Ernährungsumgebung, die stark wirtschaftlich und von großen Lebensmittelproduzenten mit hohen Gewinnmargen geprägt ist
„Niemandem ist die Umwelt egal“, ist Eser überzeugt. Win-Win-Lösungen machten zwar einen schönen Eindruck, seien aber oft nicht wirklich realistisch. Mut zum Weniger müsse man schon haben. „Gleichzeitig immer mehr und immer nachhaltiger geht eben nicht.“
Lena Renner