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Allgäuer Alpkäse aus eigener Kultur
Baldauf verbindet altes Sennerei-Handwerk mit nachhaltiger Produktion

Bergkäse gleich Schweizer Käse? Dass auch im deutschen Allgäu hochwertige Käsespezialitäten entstehen, ist vielen noch nicht bekannt. Seit den 70er Jahren hat sich das 160-jährige Familienunternehmen Baldauf auf die Herstellung von Allgäuer Alpkäse spezialisiert – aus der Heumilch lokaler Kleinbetriebe, in traditionellem Sennerei-Handwerk und mit immer höherem Bio-Anteil. Sein Alleinstellungsmerkmal: Die Bakterienkulturen werden im eigenen Labor vor Ort gezüchtet.
Bereits 1862 hat der Firmengründer Martin Baldauf in Goßholz bei Lindenberg im Allgäu einen Großhandel für Käse- und Milcherzeugnisse aufgezogen. In dieser Zeit brachte der Lindenberger Käsehändler Josef Aurel Stadler erstmals Schweizer Emmentaler Käse ins Allgäu und läutete damit die Transformation der Region zur Grünlandwirtschaft ein. War dort bislang der Ackerbau von Flachs für die Leinenweberei vorherrschend, so erkannten die Bauern nun das kommerzielle Potenzial der Milchwirtschaft und schlossen sich für die Vermarktung zu Kleingenossenschaften zusammen.
Von Emmentaler zu Bergkäse
„Das Allgäu war damals bettelarm“, erzählt Georg Baldauf, der 2012 als Geschäftsführer der fünften Generation in den Familienbetrieb eingestiegen ist. „Der Käse hat die Landschaft verändert.“ Während der Emmentaler seinen Siegeszug antrat, stiegen die Söhne des Gründers, Martin und Hans Baldauf, selbst in die Käseproduktion ein und wurden 1903 Geschäftspartner der Sennereigenossenschaft Hopfen, in der zehn Kilometer außerhalb von Lindenberg auch heute noch Baldauf-Käse entsteht. Bald kamen weitere Sennereien hinzu und viele Jahre lang florierte das Geschäft mit Emmentaler, der in ganz Europa und sogar in die USA verkauft wurde.
Der nächste große Umbau erfolgte erst 1972, als Herbert Baldauf, der Vater des jetzigen Eigentümers, das Unternehmen übernahm. „In den 70er Jahren war der Betrieb fast pleite“, so Baldauf. Technische Probleme nach der Einführung von Melkmaschinen und die Konkurrenz durch große industrielle Käseproduzenten hätten zu finanziellen Einbußen geführt. Viele der kleinen Dorfsennereien überlebten die Industrialisierung nicht.
Die Rettung kam mit Herbert Baldaufs Idee, einen Alpkäse nach Vorbild des französischen Comtés herzustellen. Die Produktion des Emmentalers wurde eingestellt und es entstand der laut Baldauf erste Allgäuer Bergkäse. Anders als in der Alpenregion konnte die Spezialität ganzjährig statt saisonal im Almsommer hergestellt werden, und eine stetig wachsende Nachfrage sorgte dafür, dass sich das Unternehmen bald wieder erholte.
Der erste Alpkäse entstand in der Sennerei Hopfen, der letzten historischen Käserei des Betriebs. Um die Jahrtausendwende wuchs durch den EU-Beitritt Österreichs das Alpkäse-Angebot in Deutschland und Baldauf erweiterte sein Sortiment um eine Schnittkäsevariante mit der Handelsbezeichnung ‚Bauernkäse‘ und dessen mit Kräutern versetzte Variationen. Waren bisher alle Sennereien Baldaufs gepachtet, ging 2020 in der Zentrale in Goßholz die erste eigene Sennerei in Betrieb. Früher hat das Unternehmen noch viel zugekauft und Absatz über die Veredelung von Rohlingen erzielt. Das sei mit der neuen Produktionsanlage Vergangenheit. „Wenn jetzt Baldauf drauf steht, ist auch Baldauf drin!“, so der Geschäftsführer.
Besonders stolz ist er auch auf das nachhaltige Energierecycelsystem der Goßholzer Sennerei. Durch eine Wärmeschaukel und ein Blockheizkraftwerk, das mit Biogas betrieben wird, könnten im Vergleich zur traditionellen Käserei 50 Prozent Energie eingespart werden. Seit 2022 ist die Produktion frei von fossilen Brennstoffen und soll noch in diesem Jahr eine offizielle klimaneutral-Zertifizierung erhalten.
Traditionskäse aus eigenen Kulturen
In den letzten zehn Jahren hat sich Georg Baldauf viel mit der traditionellen Käserei nach Vorbild der Hochalpen beschäftigt. In teils 100 Jahre alten Holzwannen reife dort die Milch in einem bakteriell durchsetzten Calciumbelag. Diese Keime wollte Baldauf nachbilden und – angepasst an die eigenen Voraussetzungen und Produktionsvorschriften – selbst Milchsäurebakterien suchen und züchten. Mit einem hausinternen Labor und der Hilfe eines Mikrobiologie-Experten habe man die Erforschung und Entwicklung eigener Bakterienkulturen in den letzten Jahren perfektioniert.
„So etwas gibt es sonst nirgends in Deutschland“, ist der Geschäftsführer überzeugt. Dass andere Hersteller die Kulturen lediglich zukaufen, sorge auch für eine Verarmung der genetischen Vielfalt. Baldaufs Produktion basiert mittlerweile auf vier verschiedenen Stammkulturen, jedes Jahr finde man ein bis zwei neue Keime.
In einem Kupferkessel mit 3.000 Liter Fassungsvermögen wird die tagesfrisch gelieferte Heumilch in der Sennerei Hopfen ohne vorherige Entrahmung langsam erwärmt und eingedickt. „Aus dieser Menge werden nachher zwölf Laibe Käse, zu je 28 Kilogramm“, so Baldauf. Das Kupfer unterdrücke die Entstehung von Kolibakterien. Traditionelles Kälberlab bringt die Milch zur süßen Gerinnung. Das Unternehmen habe auch Versuche mit mikrobiellem Lab gemacht, das von der Käseindustrie hauptsächlich aufgrund des deutlich günstigeren Kostenfaktors verwendet wird. „Aber das lässt sich qualitativ nicht vergleichen!“
Ist die Milch eingedickt, wird die entstandene Gallerte mit der Käseharfe gleichmäßig zerteilt, sodass sich Käsebruch von Molke trennt. In einer wendbaren Käsepresse mit zwölf Siebformen kann die überschüssige Molke abfließen, der Käsebruch wird aufgefangen und anschließend in Laib-Formen gepresst. Nach einem 48-stündigen Bad in gesättigter Kochsalzlösung geht es weiter in den Gärkeller.
Mit Fichtenholz und Rotschmiere
Alle Käselaibe Baldaufs reifen auf unbehandeltem Fichtenholz. „Das ist hygienisch ideal!“, so der Geschäftsführer. In einem sterilen Umfeld könnte schon ein falscher Keim zum Supergau führen. Von der Sennerei Hopfen reisen die Käse in die großen Reifekeller bei der neuen Sennerei Goßholz. Bis an die Decke reihen sich dort fast sieben Meter hoch die Regale voller Käselaibe. Im älteren Lager ist in fünf Gängen Platz für 7.500 Stück Alpkäse, im neuen können bis zu 60.000 Schnittkäselaibe untergebracht werden. Eine moderne Klimatisierungsanlage sorgt für die ideale Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
„Die Pflege von Bergkäse ist viel aufwendiger als die von Emmentaler“, erklärt Baldauf. Alle drei Tage werden die Laibe von einem Schmierroboter mit Schmierwasser gebürstet und gewendet. Dafür verwendet der Hersteller eine klassische Rotschmiere mit gesättigter Salzlake und Apfelmost. Nach einigen Wochen bildet sich dadurch die schützende, würzige Naturrinde des Käses, die mitgegessen werden kann und im Laufe der Reifezeit einen immer dunkleren Rotton erhält.
Im letzten Produktionsschritt werden die Laibe von Hand affiniert. In Wannen mit Kräutern, Blüten und Gewürzmischungen, die nach eigenen Rezepturen zusammengestellt werden, reiben Mitarbeiter die Käse ein und sorgen so für eine gleichmäßige Veredelung.
Gekäst wird an sieben Tagen der Woche, auch an Feiertagen. Die Käser arbeiten in Schichten und haben mittlerweile eine Fünftagewoche. In der neuen Sennerei werden zwischen drei und sechs Kesselfüllungen pro Tag, das sind bis zu maximal 48.000 Liter Heumilch, verarbeitet. Daraus entstehen 840 Käselaibe zu je sechs Kilogramm. Zusätzlich werden in Goßholz jeden zweiten Tag 20 Laibe Schafskäse hergestellt. Auf Konservierungsmittel und synthetische Zusatzstoffe wird in der gesamten Produktion verzichtet.
Heumilch-Gütesiegel und internationale Preise
Heute macht die Käserei insgesamt 24 Millionen Euro Umsatz. 100 Mitarbeiter sind für die Verarbeitung und Vermarktung von 16 Millionen Liter Milch im Jahr zuständig. Die 31 Bio-Landwirte, die Baldauf momentan angehören, haben dabei eine durchschnittliche Herdengröße von nur 35 Kühen. „Wir sind einer der kleinsten Käsehersteller, die deutschlandweit liefern“, meint Waldemar Reichert, der als Teil der Geschäftsführung das Marketing verantwortet. Das Angebot beläuft sich inzwischen auf rund 20 Sorten – mit Schwankungen nach Saison. Neben den ‚Puren‘ gibt es Wildblume, Zitronenpfeffer, Alpenfeuer, Bärlauch, Walnuss, Schnittlauch oder Bauerngarten. Alle Bio-Landwirte Baldaufs sowie die Käse-Endprodukte sind nach Bioland-Standard zertifiziert.
Die Höfe der Heumilchbauern liegen im Umland der Zentrale in Goßholz. Auf ihren Weiden grast das traditionelle Allgäuer Braunvieh, das im Jahr durchschnittlich 8.000 Kilogramm Milch liefert und deutlich länger als Hochleistungskühe lebe. Silage und vergorene Futtermittel werden zur Fütterung nicht verwendet. 2017 hat Baldauf für seine Allgäuer Heumilch ein eigenes Gütesiegel entwickelt, für das die Landwirte nun regelmäßig von der Kontrollstelle ABCert besucht werden. Den Mehraufwand belohnt der Hersteller mit einem festen Milchgeldpreis, der mehr als 30 Prozent über dem süddeutschen Durchschnitt liege.
Verschiedene unabhängige Preise haben die Qualität des Baldauf-Käses jüngst bestätigt. Der ‚1862 Bio Meisterstück‘ gewann 2019 eine Goldmedaille beim World Cheese Award in Bergamo (Italien). Der ‚Bio Allgäuer‘ wurde beim World Cheese Contest in Madison (USA) als Sieger in der Kategorie Schnittkäse mit Gold ausgezeichnet und der ‚Bio Schafskäse‘ schnitt beim selben Wettbewerb in seiner Klasse mit Bronze ab.
Qualitätsabsatz für Qualitätsprodukte
Aktuell sind für die Hartkäseproduktion in Hopfen zwei bis drei Tage für die Bio-Herstellung reserviert, in der restlichen Woche wird noch konventionell produziert. Beim Schnittkäse werden täglich zwei bis drei Kesselchargen Biomilch gefahren und danach die konventionelle Heumilch verarbeitet. Der Umsatz wird zu 60 Prozent über die konventionelle Vermarktung erzielt.
„Unsere Vision ist 100 Prozent Bio“, so Baldauf. Als neue Partner nehme der Betrieb fast nur noch Bio-Bauern auf und auch bei den jetzigen sei die Umstellungsbereitschaft groß. Da alle Landwirte Baldaufs auf Pestizide wie Glyphosat komplett verzichten, ist der Schritt zu Bio nicht allzu weit. Über die Bio-Qualität könne sich Baldauf auch noch mehr von herkömmlichem Schweizer Bergkäse abheben.
Mit seinem Produktionsprozess ist das Unternehmen inzwischen voll zufrieden. „Jetzt geht es um eine zukunftsfähige Vermarktung.“ Durch rund 500 Kunden in Fachhandel, Großhandel, Distribution und ausgesuchtem LEH ist der Hersteller bereits breit aufgestellt. Den Bergkäse und Schnittkäse in die SB-Auslagen zu bringen, sei keine große Schwierigkeit. Die meisten konventionellen Händler wären jedoch nicht auf Bio als Thekenware vorbereitet. Zudem sei Baldauf-Käse aktuell noch ein erklärungsbedürftiges Produkt. „Die Kunden denken, dass der beste Bergkäse aus der Schweiz kommt“, bedauert Waldemar Reichert. Qualität und Nachhaltigkeit des Allgäuer Heumilchkäses müssen ihnen erst kommuniziert werden. Über direkten Kontakt und Besuche will der Produzent weitere Händler ins Boot holen.
Lena Renner