Kongress
Bio-Boden, Klimalabel und Kooperation
IV. Öko-Marketingtage beleuchten Wege zu einer klimafreundlichen Ernährungswirtschaft

Die Wichtigkeit von Klimaschutz und CO2-neutralem Wirtschaften ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie weit sind Bio-Hersteller auf diesem Weg und wie können sie ihre Leistungen kommunizieren? Was muss der Handel tun, um die Ernährungswende zu ermöglichen? Und welche Rolle spielen Banken für eine klimafreundliche Ernährungswirtschaft? Die IV. Öko-Marketingtage am 8. und 9. Dezember 2021 spannten einen weiten Bogen rund ums Thema Klima entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Zu gut 30 Teilnehmern, die sich unter 2G plus-Regeln vor Ort im Rittersaal der Akademie Schloss Kirchberg einfanden, gesellten sich knapp 60 Zuschauer, die die Veranstaltung im Livestream digital verfolgten und sich mit Fragen via Chat einbringen konnten. Auch die vier verschiedenen Workshops, bei denen die Teilnehmer ein Thema ihrer Wahl vertiefen konnten, wurden für alle im hybriden Format angeboten.
„Unser Wohlstand basiert auf der Ausbeutung der Natur auf dem Rücken der Menschen im Süden“, sagte Rudolf Bühler, Vorsitzender der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und der Stiftung Haus der Bauern, in seiner Begrüßungsrede. Es sei daher unsere Verantwortung, zukunftsfähige Wege zu einer klimapositiven Ernährungswirtschaft zu finden.
Zwischen Bewusstseinswandel und Schneckenhaus
Markt- und Verbraucherforscher gaben zu Beginn des Kongresses einen Einblick in den Bewusstseinswandel der Konsumenten. „75 Prozent sehen Klimaneutralität als wichtigstes Nachhaltigkeitsziel“, erzählte Dr. Meike Gebhard, die als Geschäftsführerin der Nachhaltigkeitsplattform utopia seit vielen Jahren mit nachhaltigkeitsinteressierten Lesern in Kontakt steht.
Stephan Grünewald, Mitgründer des Marktforschungsinstituts rheingold, begrüßte das gestiegene Interesse an Gesundheit und Nachhaltigkeit, das durch die Pandemie nochmals verstärkt wurde. Gleichzeitig sieht er die Gefahr des Rückzugs ins „private Schneckenhaus.“ Bei allem positiven Wirken in der Region dürfe man die globale Perspektive nicht vergessen.
Wie man Kunden eine bessere Transparenz über den ökologischen Fußabdruck von Produkten geben kann, zeigte Volkert Engelsman, Gründer des größten europäischen Bio-Importeurs und Großhändlers Eosta. Für ihre Verbrauchermarke Nature & More verwendet Eosta eine Nachhaltigkeitsblume, auf deren Blättern die Produktionsauswirkungen für Klima, Biodiversität, Boden und mehr erfasst werden.
Trendwort ‚klimaneutral‘ – Greenwashing oder echter Impact?
Die Werbeexperten Bernd Eberle und Hassaan Hakim beschrieben die Probleme dabei, die Klima-Leistungen von Bios von denen konventioneller Hersteller und Händler abzugrenzen. Durch die inflationäre Verwendung des Begriffs ‚klimaneutral‘ gerate das Alleinstellungsmerkmal von Bio in Gefahr. Eberle riet daher dazu, die Klimathemen aus den eigenen Wurzeln heraus zu besetzen, mit Fokus auf einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise und guten Insetting-Projekten anstelle von „Ablasshandel“. Bio-Hersteller könnten sich auf ein einheitliches Klimalabel mit guten Kriterien einigen.
Dass es ganz ohne Offsetting-Maßnahmen in näherer Zukunft nicht geht, wurde bei der Vorstellung verschiedener Bio-Verarbeiter deutlich. Durch eigene Datenerhebungen, Umweltmanagementsysteme und Klimaschutz-Projekte nehmen Hersteller wie Bauck, Märkisches Landbrot und Andechser jedoch bereits eine echte Vorreiterstellung ein. Wie der Getreide-Verarbeiter Bauck feststellte, werden über die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen über den Boden und damit hauptsächlich über Düngung verursacht. Dem Humusaufbau, wie ihn die Andechser Molkerei mit der Initiative KlimaBauer gezielt fördert, kommt daher im Bio-Landbau durch die CO2-Bindung eine entscheidende Rolle zu.
Klimaschutz im Bankenfokus
Die Rolle der Finanzwirtschaft auf dem Weg zu mehr Klimafreundlichkeit beleuchtete Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank, in seinem Vortrag. Während die GLS-Bank ihre Unternehmenskunden bereits zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels berät, habe auch die Bankenaufsicht mittlerweile die finanziellen Risiken des Klimawandels erkannt und ihre Erwartungen an Banken angepasst. Dazu kommt die heiß diskutierte EU-Taxonomie, die wirtschaftliche Investitionen bereits ab Januar 2022 an Klimaschutzziele binden will.
Weniger Fleisch, aber ohne Labor
Auch auf die Notwendigkeit einer pflanzlicheren Ernährung für den Klimaschutz kamen die Referenten bei einer Podiumsrunde zu sprechen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass unser Fleischkonsum – 60 Kilogramm isst jeder Deutsche pro Jahr – deutlich eingeschränkt werden muss, was jedoch nicht die Abschaffung jedweder Tierhaltung zugunsten eines künstlichen Fleischersatzes bedeute. „Der Mehrwert muss auch beim Landwirt landen, nicht nur im Chemie-Labor!“, so Weizsäcker. Amelie Riedesel, Programm-Managerin bei der Innovationsplattform ProjectTogether, sieht eine Riesenpolarisierung zwischen Hardcore-Veganern und Landwirten, die viel Herzblut in die Tierhaltung stecken. „Wir müssen diese Fronten aufbrechen und gemeinsame Lösungen finden“, wünscht sie sich.
Globale Probleme brauchen globales Denken
Zurück zur globalen Perspektive führte Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung, mit einem scharfen Vortrag über die internationale und deutsche Klimapolitik. Fragen der Machtmechanik und die obsessive Beschäftigung mit der eigenen Situation stünden der Lösung des Weltklimaproblems entgegen. Ohne große Geldflüsse von den reichen in ärmere Länder, seien gravierende Konsequenzen für alle zu erwarten.
Einkäufer müssen ihr Verhalten ändern
In der Schlussrunde der Öko-Marketingtage entspann sich ein angeregter Austausch über die Macht der Einkäufer und die Notwendigkeit eines Systemwechsels, der die wahren Kosten von Nachhaltigkeit und Klimaschutz in seine Rechnungen integriert. Einkäufer müssten lernen, die Folgekosten ihrer Entscheidungen einzukalkulieren und von der ausschließlich am günstigsten Preis bemessenen Lieferantenwahl wegzukommen, wie Bioland-Präsident Jan Plagge erklärte. Dafür bräuchten sie Transparenz über die Preisrealität.
Handelsexperte Patrick Müller-Sarmiento, Senior Partner des Unternehmensberaters Roland Berger, betonte die Verantwortung des Handels dabei, ein Umfeld zu bauen, in dem Kunden gerne zu nachhaltigen Produkten greifen, und so die „Software der Menschen“ zu transformieren.
„Es gibt keine Endlösung, nur ein ständiges Ringen“, fasste Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Vorsitzender des Aufsichtsrats des World Future Councils und neuer Leiter der Akademie Schloss Kirchberg, in seinem Schlusswort zusammen. Der „Macherinnen-Spirit“ sei auf den IV. Öko-Marketingtagen ein weiteres Mal geweckt worden.
Den ausführlichen Kongressbericht finden Sie Ende Januar in der nächsten bioPress Printausgabe.
Lena Renner