Kongress
Öko for Future: Schafft die Bio-Branche die Zeitenwende?
VI. Öko-Marketingtage auf Schloss Kirchberg

Die Bedeutung des Fachhandels schwindet, Bio im Discount floriert. In Brüssel droht die Deregulierung der Gentechnik und die Bundesregierung wird in Kürze ihre Bio-Strategie vorstellen, mit der das 30-Prozent-Ziel erreicht werden soll. In Zeiten des Umbruchs traf sich die Bio-Branche am 8. und 9. November zu den 6. Öko-Marketingtagen der Akademie Schloss Kirchberg. Einflussreiche Akteure von Bio-Verbänden, Herstellung, Handel und Politik waren gleichermaßen vertreten wie Forscher, Wissenschaftler und interessierte Studenten – die Veranstaltung war restlos ausgebucht.
Das Thema ‚Zeitenwende in der Bio-Branche: neue Märkte, neue Strategien‘ hat die Insider nach Kirchberg geführt, denn die Verunsicherung in der Szene ist groß. Der Umsatz von Bio-Lebensmitteln ist im letzten Jahr um 3,8 Prozent zurückgegangen. Die Produkte werden zwar weiter gekauft, doch greifen die Verbraucher verstärkt zu den Eigenmarken der Discounter und weniger zu Markenprodukten im Fachhandel. „Zwischen Gewöhnung und Resignation“ verortet Hanna Kehl von der GfK-Marktforschung die aktuelle Konsumstimmung. Verschiedene Referenten beobachteten gerade bei der nachhaltigkeitsbewussten Jugend eine Abkehr vom als „altbacken“ wahrgenommenem Bio, die es daher dringend von den vielen Umweltvorteilen der Öko-Produktion zu überzeuge gelte.
„Es herrscht eine gewisse Ratlosigkeit in der Branche und es braucht neue Allianzen“, meinte Rudolf Bühler, Gründer der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH), in seiner Eröffnungsrede. Er forderte die Weiterentwicklung zu ‚Öko Plus‘ mit dem neuen Schwerpunkt Klimaresilienz und gab in Anlehnung an die Friday for Future-Bewegung ein neues Motto aus: Öko for Future.
War der Kongress in der Vergangenheit eher ein Treffpunkt von überzeugten Bio-Pionieren und der ‚engeren‘ Branche, so fand in diesem Jahr angesichts der Marktentwicklungen eine Öffnung für andere Bio-Vermarkter statt – bis hin zu den Discountern Aldi und Lidl. So stellte Julia Adou als Nachhaltigkeitsverantwortliche die Bio-Strategie von Aldi Süd vor, der eine ‚Demokratisierung von Bio-Produkten‘ anstrebe. Das ‚Bio-Smiley‘ der Eigenmarke Gut Bio sei in der Zwischenzeit bekannter als das EU-Bio-Siegel, so Adou. Mit der neuen Eigenmarke ‚Nur Nur Natur‘, unter der fast ausschließlich Naturland-Produkte vermarktet werden, will der Discounter sein Bio-Produktsegment nun weiter aufwerten und gleichzeitig Aufklärungsarbeit über Bio-Mehrwerte leisten. Auch die Bio-Verbände Naturland, Bioland und Demeter präsentierten ihre neuesten Marketing-Kampagnen, mit der sie das Bio-Image verbessern und Vorurteile bekämpfen wollen: von der Bio-Road-Show bis zu Safari-Events.
© Akademie Schloss Kirchberg/ Stefan Zimmer freiraumfoto.de
Dass das Ziel von 30 Prozent Bio bis 2030 ohne politische Unterstützung nicht erreichbar ist, darüber waren sich die Branchen-Akteure einig. Silvia Bender, Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), gab erste Einblicke in die Bio- und Ernährungsstrategie des Bundes – den kompletten Plan wird Landwirtschaftsminister Cem Özdemir am kommenden Donnerstag, dem 16. November vorstellen. Das BMEL wolle sich vor allem für eine starke ökologische Züchtung und Forschung einsetzen, Betriebe bei der Bio-Umstellung unterstützen, Bio in der Außer-Haus-Verpflegung ausbauen und regionale Bio-Wertschöpfungsketten voranbringen.
„Wir brauchen eine Zeitenwende zu einem resilienten Ernährungssystem und die Regierung will den Wandel mitgestalten“, stellte Bender klar. „Dabei wollen wir Ihr Partner sein, denn Sie sind die Pioniere und Vordenker der Branche“, wandte sie sich an die Teilnehmer des Kongresses.
Neben dem zweitägigen Hauptprogramm bot die Akademie Schloss Kirchberg einen Exkurs zur nachhaltigen Tierhaltung und klimafreundlichen Fleischerzeugung an. Am Dienstag diskutierten Reinhard von Stoutz, Geschäftsleiter des Deutschen Fleischerverbands, die Demeter-Viehhalterin Chrstine Bajohr und weitere Experten über den Klimanutzen von Weidehaltungsmilch, das Potenzial des Fleischerhandwerks in puncto Nachhaltigkeit und das Verschwinden regionaler Schlachthöfe. Außerdem konnten die Teilnehmer einen Schweine- und einen Mutterkuhbetrieb der BESH besuchen.
Vom rauen Wind, der der Bio-Branche aktuell in Brüssel entgegenweht, berichtete schließlich Jan Plagge, Präsident des Bio-Dachverbands IFOAM – Organics Europe. Verunsichert durch Kriege und Krisen propagierten die konservativen Parteien mit Hilfe des Narrativs der Ernährungssicherung Geschäftsmodelle von gestern, die auf externen Inputs und intensiver Agrarindustrie basieren. „Wir brauchen in der Branche eine interne Reform der Zusammenarbeit“, rief Plagge auf. Es sei ein engerer Schulterschluss nötig, um die Segel im Gegenwind neu zu setzen. Passend dazu wurde von den Partnern der Öko-Marketingtage zum Abschluss der Tagung gemeinsam die ‚Kirchberger Erklärung‘ zur Sicherung einer Gentechnik-freien Land- und Ernährungswirtschaft verabschiedet.