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Koalitionsvertrag bietet Chancen für Agrarwende

Pläne für 30 Prozent Ökolandbau und Ernährungsstrategie

Gestern haben die Ampelparteien ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Geplant sind 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ab 2022 und eine Ernährungsstrategie bis 2023. Der Pestizideinsatz soll beschränkt und Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt genommen werden. Verbände, die sich für Agrar- und Ernährungswende einsetzen, sehen den Grundlagentext als positives Signal. Jetzt gelte es, die nötigen Strategien und Maßnahmen zügig zu konkretisieren.

Unter dem Titel ‚Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit‘ kündigen SPD, Grüne und FDP an, künftig mehr Fortschritt zu wagen – auch in der Land- und Ernährungswirtschaft. Der Einsatz von Pestiziden soll auf das notwendige Maß beschränkt und die gesamte Landwirtschaft an den Zielen Umwelt- und Ressourcenschutz ausgerichtet werden. 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 will die neue Koalition erreichen und dazu das Bundesprogramm Ökolandbau mit mehr Mitteln ausstatten und die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau um die gesamte Bio-Wertschöpfungskette erweitern. Glyphosat soll bis Ende 2023 vom Markt genommen werden.

Der Abschnitt über die gemeinsame europäische Agrarpolitik bleibt kurz, jedoch sollen Begleitverordnungen zum nationalen Strategieplan der GAP unverzüglich „mit dem Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Einkommenssicherung angepasst werden.“

An erste Stelle im Landwirtschaftskapitel stellt die kommende Regierung das Thema Tierschutz. Sie plant eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ab 2022, die auch Transport und Schlachtung abdecken soll, zudem eine umfassende Herkunftskennzeichnung. Das Ziel seien verbindliche Standards in der ganzen EU. Investitionen sollen in der Regel nur für die oberen Tierhaltungsstufen gewährt werden. Der Vertrag sieht außerdem vor, dezentrale und mobile Schlachtstrukturen zu fördern und große Schlachthöfe per Kamera besser zu überwachen.

Bis 2023 soll eine Ernährungsstrategie geschaffen werden. Sie beinhaltet das Vorhaben, den Anteil regionaler und ökologischer Erzeugnisse entsprechend der Ausbauziele zu erhöhen. Die Lebensmittelverschwendung soll zudem branchenspezifisch verbindlich reduziert werden. Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt, die sich an Kinder unter 14 Jahren richtet, dürfe es in Zukunft nicht mehr geben. Pflanzliche Ernährungsalternativen sollen gefördert werden, auch im Hinblick auf die Zulassung von Innovationen im Bereich von Fleischersatzprodukten in der EU.

Viele Chancen und ein paar Haken

Naturland verbucht die Tierhaltungskennzeichnungspläne als Erfolg der Kampagne #wirzeigenHaltung, mit der sie gemeinsam mit der Tierschutzorganisation Provieh zur verbindlichen Kennzeichnung aufruft. Bei der Umsetzung komme es nun auf die Details an. „So muss die Kennzeichnung nicht nur Fleisch und Wurst, sondern auch für alle anderen tierischen Lebensmittel verpflichtend sein. Außerdem muss sie vierstufig aufgebaut sein, mit einer eigenen Stufe für ökologisch und besonders artgerecht erzeugte Produkte“, sagte Naturland-Präsident Hubert Heigl.

Positiv hob er auch die angekündigten Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht hervor. Es müsse Schluss damit sein, dass gerade Tierwohlställe mit Auslauf bei der Genehmigung immer wieder auf besondere Widerstände stoßen. Mit Blick auf die geplante Finanzierung des Umbaus sei darauf zu achten, dass landwirtschaftliche Betriebe von unnötiger Bürokratie verschont blieben.

Slow Food Deutschland bescheinigt dem Grundlagenpapier ebenfalls neue Chancen für eine ambitionierte Agrar- und Ernährungspolitik. Auch Kernforderungen des Vereins fänden sich im Vertrag wieder, vor allem die Schaffung einer Ernährungsstrategie bis 2023. Warnend weist er jedoch auf den Fokus von Fleischersatzszenarien als ‚alternativen Proteinquellen‘ hin, dazu die Regulierung gentechnischer Verfahren, die im Vertrag unerwähnt bleibt. Auch die Ernährungsbildung fehle.

Zurückhaltend reagierte der Deutsche Bauernverband (DBV) auf die Ampelvorhaben. Präsident Joachim Rukwied sieht darin noch „weitere gewaltige Herausforderungen für die Landwirtschaft.“ Die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft seien nur teilweise aufgegriffen worden und der Umbau müsse auch wirtschaftliche Nachhaltigkeit gewährleisten. Dagegen begrüßt auch der DBV die Pläne zur Tierhaltungskennzeichnung.

„Mit 30 Prozent Bio bis 2030 wagt die Ampel mehr Fortschritt. Aus ‚wagen‘ muss jetzt ‚machen‘ werden!“, kommentierte Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Auch das Mitdenken der ganzen Wertschöpfungskette und die neue geplante Ernährungsstrategie seien zukunftsweisende Signale. „30 Prozent Umbaupower“ fordert der geschäftsführende BÖLW-Vorstand Peter Röhrig jetzt in allen relevanten Bereichen: bei der Umstellung der Höfe, Gemeinschaftsverpflegung, Forschung und Ausbildung.

Zum Umbau gehört auch die Nachfrageseite: Die Rolle des Handels und seine Verantwortung fehlt in dem Papier. Auch die Bewusstseinsbildung der Konsumenten kommt nicht vor. Wichtige Faktoren, ohne die eine Transformation der Landwirtschaft schwerlich gelingen kann.

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