Agrarpolitik
Nachhaltiger Umbau des Lebensmittelsystems
Experten diskutieren über Farm-to-Fork-Strategie
Die EU-Kommission hat mit der Farm-to-Fork-Strategie positive Signale zum nachhaltigen Umbau der Land- und Ernährungswirtschaft gesendet. Welche Potenziale stecken in der Strategie und was fehlt ihr? Über wahre Preise, Leistungssubventionen und den Nutri-Score sprachen Experten heute in einer Web-Veranstaltung der Europa-Grünen.
EU-Kommissarin Sabine Jülicher stellte die umfangreiche Farm-to-Fork-Strategie von der Außer-Haus-Verpflegung über Pestizide bis hin zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung vor. Dabei betonte sie, die Strategie verstehe sich erst als Anfang und nicht als Ende des Transformationsprozesses. Eine Evaluierung sei bereits für 2023 vorgesehen.
Alexander Beck, Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), begrüßte, dass mit der Farm-to-Fork-Strategie ganzheitlich ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem angestrebt werde. Der Maßnahmenkatalog reiche jedoch für eine solche Transformation des Lebensmittelsystems noch nicht aus.
Labeln – aber richtig
Für eine tatsächliche Umstellung sei es entscheidend, dass die Preise die ökologische und gesundheitliche Wahrheit sagen. Auch gelte es, ein Ordnungsrecht zu schaffen, das den Bedürfnissen kleiner und mittelständischer Unternehmen entspräche, um das Metzgereien- und Bäckereiensterben zu stoppen. Um die Ernährungskompetenz der Bürger zu stärken, müsse vermehrt in Bildung und Kommunikation investiert werden. Außerdem dürfe die Kennzeichnung von Lebensmitteln nicht über einen Nutri-Score erfolgen, der ein Glas Cola besser als den frisch gepressten Apfelsaft bewerte.
Auch Europa-Abgeordnete Sarah Wiener betonte die Wichtigkeit des Labellings für ein verbessertes Lebensmittelsystem. Den Nutri-Score hält sie für einen guten Ansatz, der aber optimiert werden müsse: so sollte der Verarbeitungsgrad mit eingebunden sein und Zusatzstoffe sollten negativ bewertet werden. Wie Sabine Jülicher offenbarte, prüfe die Kommission aktuell verschiedene Systeme auf ihre Tauglichkeit für ein verpflichtendes Nährwertkennzeichen. Ausschlaggebend sei dabei, was der Verbraucher schnell erkenne und was ihn zu einer möglichst nachhaltigen Entscheidung bewege.
Leistung vor Fläche
Agrarwissenschaftler Prof. Harald Grethe verglich Farm-to-Fork mit einer Giraffe: „Der Kopf guckt in die eine Richtung, die Füße laufen in die andere.“ So sei die Strategie leider weit entfernt von den handelnden Akteuren und es komme bisher nicht viel davon in der Praxis an.
Auch Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, bemängelte, bei der GAP gehe alles genauso weiter wie bisher. Hektare zu subventionieren sei die uneffektivste Gestaltung, die man machen könnte. Zudem sollte man auch die Handelspolitik überdenken und die Bauern vor Freihandelsabkommen schützen. Was die wahren Preise anginge, so wage man es bisher nicht, sich mit der Industrie anzulegen. Aus den Billigpreisen resultiere mitunter auch das Problem der Lebensmittelverschwendung.
„Es ist keine Leistung, Fläche zu haben“, stimmte Harald Grethe dem Vorwurf der Flächensubventionen zu. Allerdings brauche es gar keine großen Freihandelsabkommen – unsere Märkte seien weitgehend offen. Und so würden auch „wahre Preise“ in den nächsten Jahren nicht verwirklicht, sondern die Preise weiterhin überwiegend vom Weltmarkt dirigiert werden. „Wir wollen immer mehr – die Märkte zahlen es aber nicht.“ Deshalb müsse die Agrarpolitik hier ansetzen und Umweltleistungen in der Landwirtschaft entsprechend entlohnen. Für die Öko-Regelungen sollten dafür nicht (wie diskutiert) 20 oder 30, sondern besser 50 Prozent der Mittel der ersten GAP-Säule aufgewendet werden.
Lena Renner