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Editorial

Editorial Ausgabe 106/Januar 2021, 1. Quartal

Liebe Leserinnen, liebe Leser.

Die Latte für Bio liegt höher denn je. Dorthin gelegt haben sie (fast) alle Landwirtschaftsministerien, dazu Ernährungs- und/ oder Familien- und Erziehungsministerien und auch in manchen Wirtschaftsministerien ist Bio angekommen. Der Clou dabei: Bio-Einsatz in Kantinen lässt sich direkt durch Entscheidungen von Politikern beeinflussen. So attraktiv war Bio noch nie.

In Ausschreibungen werden Bioquoten vorgegeben, und schon gewinnt nicht mehr der Billigste das Los. Aber Vorsicht, Zusagen in der Ausschreibung werden nicht immer ernst genommen. Schließlich ist doch Fleisch aus Massenproduktion für Kantinenesser die vorgezogene weil billigere Variante. Und bevor Vernunft siegt, blockieren oft Egoismen, die auf der Klaviatur von Ängsten spielen, den Fortschritt.

Auch die Verbraucher reden heutzutage mit bei der Qual der Wahl. Man geht schlicht dort einkaufen, wo es Bio gibt. Das zeigen die Zahlen während der Corona-Pandemie. Die Gastronomie musste schließen, mehr Essen hat wieder zurück in die privaten Küchen gefunden. Und was passiert da? Der Bio-Umsatz steigt sprunghaft, vor allem bei den Biovollsortimentern, den 100 Prozent Fachgeschäften. Kaufleute sollten daraus Konsequenzen ziehen.

Wer mischt noch mit? Die Anbieter, der Handel! Und auch die Hersteller? Wenn ja, welche? Nummer Eins im Biohandel ist Aldi, zwei dann REWE, drei Dennree – von dem der konventionelle LEH wenig mitbekommt. Was treibt Dennree? Den Fachhandel bedienen und sie erzielen damit über eine Milliarde Euro Umsatz. Alnatura folgt mit knapp einer Milliarde! Die aber sind die beliebteste – weil so bekannte? – Biomarke.

Die Nummer Eins und Zwei und Vier machen ihren Umsatz größtenteils mit ihrer Handelsmarke. Dennree bewegt zwar auch Mengen mit der Eigenmarke, lebt jedoch überwiegend vom Großhandel mit vielen Biomarken. Und das ist dann auch der Vorteil des Fachhandels: Im Bio-Laden und -Supermarkt finden die Verbraucher die gewünschte Markenvielfalt. Auswahl, oft nach Herzenslust.

Vor zwanzig Jahren, als bioPress in Umfragen beim LEH noch unter ein Prozent Bioangebote vorfand, gab es neben der Handelsmarke noch zwei, drei Dachmarken. Alle hatten ein ähnliches Produktportfolio. Und heute? Sind es im Durchschnitt vielleicht sieben Prozent Bioanteil am Sortiment. Manche, wie tegut, schaffen sogar 30 Prozent und profitieren als Leuchtturm von hoher Kundenbeliebtheit. Ein bisschen Bio ist mühselig. Wo geklotzt wird, brummt heute das Biogeschäft.

Die Politik konzentriert sich auf 25 Prozent Anteil ökologischer Landbau. Mindestens. Bayern und Baden-Württemberg trauen sich 30 und mehr Prozent zu! Und was bedeutet das? Sieben bis acht Prozent Bio-Marktanteil waren es 2020, oder 14 Milliarden Euro Handelsumsatz. Das hochgerechnet auf 25 Prozent ergibt dann? Plus 20 Milliarden – über den Daumen betrachtet! Und wer bitte nimmt diese Biomengen in den kommenden Jahren in die Hände?

Wer zögert, bleibt auf der Strecke. Viele klassische Bioanbieter stehen immer noch mit den Händen in ihren Hosentaschen da. Doch das täuscht! Die meisten liebäugeln schon längst mit Umsätzen bei den Kaufleuten. Viele Bio-Hersteller ergänzen ihre Produktionsauslastungen seit vielen Jahren mit der Herstellung der Handelsmarken. Und stöhnen unter der Abhängigkeit. Das passt jedoch nicht zu den ganzheitlichen Ansätzen der Biobranche. Da sind eher alte Marktkräfte am Werk, deretwegen die Biobranche sich aufgemacht hat, die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Nicht so einfach, die eigene Marke in die Regale zu bringen. Manche arbeiten gar daran, erst alle Supermärkte in Biosupermärkte verwandeln zu wollen. An der Schwelle von Bio im Mainstream und bei dem absehbaren kräftigen Aufschwung, wo Bio in die Breite getragen wird und flächendeckenden Marktzugang findet, dreht sich der Wind. Wer jetzt schon in den Startlöchern hockt, kann los spurten. Wer erst noch die Schuhe anziehen oder gar noch aus dem Schrank kramen muss, wird das Nachsehen haben.

Kaufleute heben sich vom Wettbewerb ab mit Qualitätsangeboten. Sie vermeiden Einheitsbrei und ordern Marken-Vielfalt. Produkte mit Geschichte und Herkunftsgarantie. Ihre Vorstufe kann das, jedoch (noch) nicht mit Bio.

Erich Margrander
Herausgeber

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