World Organic Forum
100 Prozent Biolandbau ist machbar
Das III. Word Organic Forum beschrieb Wege in die Agrarwende
Man versammelte sich in dem noblen Rittersaal des Schlosses Kirchberg/Jagst, betrieben von der Stiftung Haus der Bauern, eine Initiative der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Geladen waren Regierungsvertreter aus zwei indischen Bundesstaaten, Andhra Pradesh und Skkim, wie auch aus Zanzibar. Den Rahmen für die Veranstaltung gaben die Nachhaltigkeitsziele der UNO ab. Die ausländischen Referenten trafen hier auf deutsche Referenten, die auf Landesebene agrarpolitische Verantwortung tragen: Agrarminister Peter Hauk setzte sich tags zuvor im Vorprogramm für die Koexistenz ein, und der Staatssekretär im Baden-Württembergischen Umweltministerium, Andre Baumann, beschwor auf der Tagung die Verantwortung für die Natur durch den Biolandbau. Die bundespolitische Ebene war vertreten durch Renate Künast und die Abteilungsleiterin der GIZ, Frau Christel Weller-Molongua.
Unter barocken Deckengemälden des Tagungssaals und einer Wandbemalung zum deutschen Bauernkrieg, auf dessen Geist sich Schlossherr, Stifter und Bauern Rudolf Bühler als Veranstalter berief, stellten geladene Referenten ihre Initiativen dar, wobei diese auch hin und her pendeln zwischen Top-down und Bottom-up Ansätzen. 100 Prozent biologischer Landbau ist von dem kleinen Bundesstaat Sikkim im Himalaya schon seit zehn Jahren erreicht, und wird von dem südindischen Flächenstaat Andhra Pradesh bis 2024 angestrebt.
Dabei konnten die Referenten überzeugend darstellen, dass Ihre Ansätze eine gelungene Mischung zwischen begeisterten Bauern sind, die durch die biologische Landwirtschaft eine neue Perspektive für ihre Betriebe und ihr Leben entwickelten, und einer wichtigen Impulsgebung und Unterstützung durch überzeugte politische Führer auf Länderebene.
Sowohl Herr Khorlo Bhutia aus Sikkim als auch Herr Vijay Kumar aus Andhra Pradesh, beide die wichtigsten Promotoren für die biologische Landwirtschaft in ihren Bundesstaaten, sind altgediente hochrangige indische Beamte, aber sie agieren jetzt durch unabhängige parastaatliche Organisationen zur Förderung des biologischen Landbaus in ihren jeweiligen Bundesländern: durch die „Sikkim Organic Mission“ zum einen, und die „Rythus Sadhikara Samstha“ zum anderen. Doch beide Protagonisten tragen noch den offiziellen Titel des Staatssekretärs ihres Bundeslandes.
Bevor die Teilnehmer sich auf der Konferenz den Ausführungen der Redner aus Indien widmen konnten, lauschten sie der Position des baden-württembergischen Agrarministers Peter Hauk. Für die ausländischen Gäste war es befremdlich, dass Baden-Württemberg zwar als das deutsche Bundesland mit dem höchsten Anteil an Biobauern von rund zehn Prozent vorgestellt, dann aber der Bioanbau von dem Agrarminister doch nur als eine mögliche landwirtschaftliche Variante neben der konventionellen Landwirtschaft dargestellt wurde. Weil die Erträge der biologischen Landwirtschaft angeblich nur die Hälfte der konventionellen Landwirtschaft betragen, kann Hauks Meinung nach die Welt nur ernährt werden, wenn man die Techniken der konventionellen mit denen der biologischen Landwirtschaft verbindet.
Das traf auf keine Zustimmung unter den Teilnehmern und der indischen Referenten, denn sowohl Sikkim als auch Andhra Pradesh führten später in ihren Ausführungen aus, dass sie mit Hilfe der Umstellung auf biologische Wirtschaftsweise nicht nur die Agrarerträge steigern konnten, sondern auch gleichzeitig Verbesserung der Umweltleistungen erzielten. Für sie schließen die Methoden der Mobilisierung der Nährstoffe im Boden und die Förderung der Insektenvielfalt den Einsatz von Agrarchemie grundsätzlich aus, eine Synthese sei unangemessen.
Die anschließenden gut mit Bildern dokumentierten Vorträge von Vijay Kumar, Malla Reddy und Khorlo Bhutia, nachzuhören/sehen/lesen auf der Homepage der Akademie Schloss Kirchberg (https://www.schloss-kirchberg-jagst.de/index.php/akademie-schloss-kirchberg/dokumentationen), zeigten die für ihre jeweiligen Standorte am besten angepassten Methoden auf. Darüber hinaus lösten sie bei den Zuhörern auch eine Begeisterung aus für die sozialen Mobilisierungsstrategien. In Andhra Pradesh wird eine besondere Version der biologischen Wirtschaftsweise propagiert, die auf den indischen Guru Subhash Paleka zurückgeht.
Dabei fußt das Methodengefüge auf 4 Säulen: einer Aktivierung der Bodenbakterien durch eine Injektion mit Hilfe von präpariertem Kuhdung, einer speziellen Behandlung des Saatguts, einer Dauerbegrünung des Bodens und einer Mulchtechnik. Die Regierung nennt den Ansatz ZBNF (Zero Budget Natural Farming). Eine Million Bauernbetriebe praktizieren die Methode bereits auf 200.000 Hektar, und bis 2024 sollen es 90 Prozent aller Bauern in Andhra Pradesh sein.
Erstaunen löste die Information aus, dass in Sikkim Pestizide und synthetischer Dünger von Staatswegen verboten ist: der Verkauf, der Import und die Anwendung wird hart bestraft. Zu den Ausführungen zu Andhra Pradesh irritierte, dass für die Aktivierung des Bodenlebewesens der Kuhdung von einer Kuh für 15 Hektar ausreichen soll. Der Referent musste daraufhin den Unterschied erklären von einer organischen Düngung, die notwendig auf viel Biomasse aufbaut, und einem Inoculator, einer impfartigen Anstoßreaktion. Groß war auch die Neugierde des Publikums zu erfahren, welches die gesellschaftlichen Gegenkräfte seien. Vijay Kumar führt vier Lobbies an, die ihm stark zusetzen: die Agraruniversitäten, die Bürokratie und die politischen Parteien; die Agrarchemieindustrie kümmere ihn nicht.
Das Interesse an der Situation des Ökolandbaus auf der Welt war geweckt, und die Wissenschaftlerin Helga Willer vom Forschungsinstitut für Biologische Landwirtschaft FiBL stellte den sehr umfassenden Bericht ihres Instituts zu der Frage vor, der jährlich herausgegeben wird. Danach seien 2017 69,8 Millionen Hektar in der Welt biologisch angebaut, mit einer Zuwachsrate von 20 Prozent im letzten Jahr. Allerdings macht das nur 1,4 Prozent der weltweiten Nutzfläche aus. 2,9 Millionen Landwirtschaftsbetriebe sind biologisch. Die Unterschiede von Land zu Land sind aber erheblich. Der Umsatz für biologische Nahrungsmittel weltweit betrage 97 Milliarden US Dollar.
Natürlich durfte ein Beitrag zu der Frage, ob der biologische Landbau denn in der Lage sei, die Welt in Zukunft zu ernähren, nicht fehlen. Hartwig de Haen, der ehemalige beigeordnete Generalsekretär der FAO, hinterfragte das. Er ging von erheblich niedrigeren Erträgen der biologischen Landwirtschaft aus und rechnete vor, dass deshalb viel mehr Land für die gleiche Menge an Nahrungsmittelproduktion nötig sei. Dieses gäbe es so auf der Welt nicht. Deshalb sei eine Intensivierung unumgänglich. Allerdings räumte er ein, dass durch einen verminderten Fleischverbrauch, einer anderen Fütterung der Nutztiere und der Reduzierung der Lebensmittelverluste der Effekt überkompensiert werden könnte.
Die Erfahrungen der indischen Gäste zeigten ein anderes Bild. Nicht nur die Einkommenssteigerungen seien Realität, auch die Ertragssteigerungen ohne Agrochemie würden deutlich sichtbar wobei die örtliche Sortenvielfalt anstelle von Hybriden eine große Rolle spiele. Überraschend auch die Feststellung, dass ökologische Lebensmittel nicht automatisch teurer würden obwohl zugleich die staatlichen Subventionen wegfielen. Die würden oft bezahlt für die Agrochemikalien.
Star der Tagung war dann Renate Künast, die ehemalige deutsche Agrarministerin. In fünf Thesen widerlegte sie wesentliche Mythen, auf den die Argumentation des agroindustriellen Komplexes beruht. Sie vertrat wortgewaltig die Annahme, dass die Agrarwende in Zukunft durch die Städte erfolgen würde, denn hier seien die vielversprechenden Initiativen zu finden, die über ihr Interesse an der Ernährungswende und der Umwelt- und Klimaerhaltung die wirklichen Veränderungen erzwingen würden. Andre Baumann vom Umweltministerium in Baden-Württemberg überzeugte durch sein profundes Wissen über den Naturschutz. Nach ihm seien bei uns der starke Rückgang der biologischen Vielfalt auf die Überdüngung zurückzuführen, die über die Luft und das Wasser alle Gebiete erfasst, selbst die Naturschutzgebiete und die Insektenwelt.
Prof. Dr. Hartmut Vogtmann, deutsches Urgestein der biologischen Landwirtschaft, fasste zum Schluss der Tagung die Ergebnisse wie folgt zusammen: Der ökologische Landbau braucht Pioniere, die mit Mut, guten Führungseigenschaften, verbunden mit den Menschen auf dem Lande, gewillt sind, bei der Rettung der Zukunft des Planeten voranzugehen. Sikkim, Andhra Pradesh und Zanzibar haben uns den Weg gezeigt. Wir müssen die Herausforderung annehmen und die internationale Vernetzung fortführen.
Rudolf Buntzel