Gesunde Ernährung
Koalitionsvertrag enttäuscht ernährungspolitisch
Der Ernährungsrat Niedersachsen kommentiert den Koalitionsvertrag

Gesunde Ernährung ist im Koalitionsvertrag kein Thema, kritisiert der Ernährungsrat Niedersachsen. Habe die CDU/CSU sich schon vor der Bundestagswahl gegen Maßnahmen für eine gesündere Ernährungsumgebung ausgesprochen, so sei vom Engagement der SPD für die Empfehlungen des Bürgerrats ‚Ernährung im Wandel‘ wenig zu spüren. Auch wissenschaftliche Studien zu dem Thema würden ignoriert. Als ‚Enttäuschung‘ resümiert der Ernährungsrat den Vertrag.
2023 hatten die Abgeordneten des Bundestags einen Bürgerrat Ernährung einberufen, um Empfehlungen zur Verbesserung der Ernährungspolitik zu erarbeiten. Anfang 2024 wurden neun Empfehlungen vom Bürgerrat vorgestellt, allen voran ein gesundes und kostenfreies Mittagessen für alle Kinder in Kitas und Schulen. „Nichts davon findet sich im Koalitionsvertrag wieder“, bedauert Peter Wogenstein, Sprecher des Ernährungsrats Niedersachsen.
Mit Blick auf gesunde Ernährung für Kinder sei der Vertrag allgemein enttäuschend. So fehle auch:
- eine Werbebeschränkung von ungesunden Produkten für Kinder
- eine Steuer auf Zucker und zuckerhaltige Getränke
- eine verpflichtende, für den Verbraucher leicht zu verstehende Kennzeichnung auf hoch verarbeiteten Produkten der Lebensmittelindustrie
„Die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen findet in der neuen Regierung keinen Anwalt“, so Wogenstein. Damit würden auch vorliegende Studien ignoriert, etwa das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeslandwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2020 sowie die vielen wissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen ungesunder Ernährung. Dass die gesundheitlichen Folgen ungesunder Ernährung auf circa 60 Milliarden pro Jahr geschätzt werden, scheine in der neuen Koalition immer noch nicht angekommen zu sein.
Zwar heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir fördern verstärkt Bewegung und gesunde Ernährung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen“, wie die Förderung konkret aussehen soll, wird jedoch nicht weiter erläutert. „Eigentlich bleibt es wie bisher: die Verantwortung für Ernährung wird den Konsument:innen, Jung und Alt zugeschoben“, bedauert Wogenstein.
Warum der Widerstand gegenüber einer Veränderung des Ernährungssystems so groß ist, mache eine aktuelle Studie aus Großbritannien deutlich. Darin legten ehemalige politische Entscheider die in ihren Augen vier wichtigsten Gründe für den Stillstand offen:
- Versuche, Einfluss auf das Ernährungsverhalten in der Gesellschaft zu nehmen, würden in der öffentlichen Diskussion vehement als „Bevormundung“ und „Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit“ abgetan.
- Die massive Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie und Furcht vor negativen Auswirkungen in der Wirtschaft hindere Entscheider daran, Einsichten und Wissen in Gesetze umzusetzen.
- Das Thema Ernährung habe es noch nie in die Liste der Top-Themen der Politik geschafft.
- Die Verantwortung für gesunde Ernährung ist über zahlreiche Ministerien verstreut und eine übergreifende Zusammenarbeit gelinge nicht oder nur schwer.
„Die Lebensmittelindustrie hat weiterhin ihren Fuß in der Tür“, folgert Wogenstein. „Und das verheißt nichts Gutes. Protest ist dringend notwendig. Diese Koalition wird von allein keine Wende unseres Ernährungssystems bringen.“