Möhren
Biomöhren
Ein Landwirt versorgt die Republik
Dithmarschen, ein Landstrich im äußersten Südwesten Schleswig-Holsteins, gilt als etwas ganz Eigenes. Schon die Landschaft ist außergewöhnlich: windig, bretteben, das Marschland extrem fruchtbar. Intensiver Acker- und Gemüsebau ist hier zu Hause, und Landwirte, die sich als Unternehmer verstehen. Bereits im 15. Jahrhundert handelten die Herren der damaligen Dithmarscher Bauernrepublik ihr Getreide auf Augenhöhe mit den Händlern der mächtigen norddeutschen Hansestädte. Auf seine Weise führt der Landwirt Rainer Carstens auf dem Westhof in Friedrichsgabekoog/ Dithmarschen die Tradition fort. Als Deutschlands größter Bio-Gemüsebauer hat er nicht nur über 600 Hektar unter dem Pflug, auch Verarbeitung und Vermarktung seiner Produkte und der seiner Berufskollegen laufen unter seiner Regie. Bundesweit gehen Möhren und anderes Gemüse vom Westhof bei Supermarkt, Discounter und Biohandel über die Ladentische, an Verarbeiter liefert die Schwesterfirma BioFrost Westhof auch tiefgekühlte Ware.
Zunächst einmal ist der 48-jährige Rainer Carstens Landwirt. 1978 hatte der Dithmarscher den Hof als Ackerbaubetrieb von den Eltern übernommenen, 1989 stellte er auf ökologischen Gemüsebau um und trat dem Biolandverband bei. Rings um die Hofstelle mit dem alten Baumbestand und den zweckmäßigen Gebäuden liegen die Ackerflächen.
Ein klarer Schwerpunkt liegt beim Möhrenanbau – auf 140 Hektar wachsen jedes Jahr rund 5600 Tonnen des Wurzelgemüses. Daneben gedeihen verschiedene Kohlsorten und anderes Lagergemüse, aber auch Salate und Erdbeeren in den schweren Böden. Den Anbau von Frühgemüse dagegen überlässt er anderen. „Mit unserem späten Frühling und dem langen Herbst ist die Küste eine Gegend für den Spätanbau," erklärt der Landwirt.
Landwirt, Abpacker und Händler in einem
Wenige Jahre nach der Betriebsumstellung nahm der Unternehmer Carstens auch die Aufbereitung und das Abpacken der Ware selbst in die Hand: Er gründete die Westhof Bio-Gemüse GmbH & Co. KG auf dem landwirtschaftlichen Betriebsgelände.
Heute beschäftigt das Unternehmen 35 Mitarbeiter und zählt bundesweit zu den drei größten Biogemüselieferanten. Das Angebot an eigener und zugekaufter Biolandware sowie Produkten aus EU-Bioanbau reicht von A wie Ackerpille über F wie Fenchel und M wie Möhren bis hin zu Z wie Zwiebeln.
In seinem Büro unter dem Dach der Verarbeitungshallen wird Carstens zum Händler. Am Telefon sichert er einem Kunden prompte Lieferung zu. „Bis morgen ist noch viel Zeit," bestätigt er den eingehenden Lieferauftrag über zwei Paletten Weißkohl. Der Gemüsehandel ist Tagesgeschäft, lediglich bei Industriegemüse kann Carstens mit Jahresverträgen arbeiten.
Momentan ist er als Anbieter in einer guten Verhandlungsposition, doch er weiß: „Es werden auch wieder andere Zeiten kommen." Als Voraussetzung für dauerhafte Lieferbeziehungen setzt er auf lückenlose Rückverfolgbarkeit, chargenweise Rückstandsanalysen, Qualitätssicherungssysteme und persönliche Kontakte zu den Lieferanten.
Pro Stunde zwölf Tonnen Möhren
Durch mehrere isolierte Hallen zieht sich die Reinigungs- und Abpackkette für das Hauptprodukt, die Westhof-Möhren. Erdig geht es bei der Annahme der Rohware zu. Stündlich rollen hier zwölf Tonnen Möhren zum Reinigen, Sortieren und Abpacken auf das Band.
Nach der Entsteinung befreit ein Rollen-Enterder die Wurzeln grob von Erde. Anschließend wandern sie erst durch die Wäsche und anschließend in die moderne Möhrenpoliermaschine. Mit Wasser gespült reiben sich die Möhren aneinander und an den rotierenden Nylonbürsten der Trommel. So werden letzte Erdreste entfernt, Bakterien und Pilze oberflächlich abgeschliffen, und die Möhre bekommt eine glatte Oberfläche.
Diese Technik, die Produkte deutlich sauberer und länger lagerfähig macht als eine herkömmlichen Wäsche, gilt in den Agrarexportländern Neuseeland und Australien als Selbstverständlichkeit. „Nach und nach setzt sich die Technik auch hier bei den großen Verarbeitern durch," sagt Carstens.
Dass er bundesweit einer der ersten war, der in eine Poliermaschine investiert hatte, hängt er nicht an die große Glocke. Seine Kunden interessiere das Produkt, nicht aber die Technik der Verarbeitung: „Der Käufer sieht die Möhre an. Kommt sie sauber und haltbar bei ihm an, ist er zufrieden."
Beim Aussortieren krummer, grüner, fleckiger oder anderweitig fehlerhafter Ware ergänzen sich Mensch und Technik. Auf die automatische Gewichtssortierung folgt mit der optischen Auslese eine weitere Hightech-Station. Mit optischen Sensoren erkennt die Maschine fehlerhafte Stücke an der Farbe und pustet sie mit Druckluft vom Band.
Der Durchsatz der Maschine ist immer gleich, egal, wie hoch der Anteil an Ausschussware ist. Das spart rund die Hälfte des Personals an den anschließenden Sortiertischen. „Außerdem macht die Sortiermaschine den Feierabend planbar," gewinnt Carstens der Rationalisierungsmaßnahme auch für die Arbeitnehmer etwas Positives ab.
„War viel Ausschussware in einer Lieferung, dauerte das Sortieren früher länger als geplant. Auch die Mitarbeiter beim Abpacken mussten dann länger bleiben." Denn der Arbeitstag endet erst, wenn die letzte gewaschene Möhre verpackt ist – je nach Abnehmer in verschiedensten Behältern von der Großbox für lose Ware bis zur Plastikschale für den Endverbraucher im LEH.
Bio für alle Absatzwege
Durch die beiden Ladetore rollt die Ware auf die bereitstehenden Sattelschlepper-Auflieger und von dort direkt zum Kunden. Hierzu zählt Carstens die ganze Palette der Absatzwege. Der Löwenanteil geht über Zentrallager an LEH und Discounter, der Naturkosthandel mit knapp einem Drittel der gesamten Absatzmenge spielt vor allem bei Frischgemüse und Spezialitäten wie der flachen Weißkohlsorte „Ackerpille" eine Rolle.
Ein Teil der Ware aber hat nur einen kurzen Weg vor sich: Auf dem Gelände der Bio-Frost Westhof GmbH & Co. KG im Nachbardorf Wöhrden, neben der Landwirtschaft und der Gemüseverarbeitung das dritte von Carstens geführte Unternehmen, wird das Gemüse im Dreischichtbetrieb zu tiefgekühlten Halbprodukten verarbeitet.
Seit 1998 bedient Deutschlands einzige reine Bio-Frosterei Babykost- und Convenience-Hersteller, unter anderem Hipp, sowie die Gastronomie. Beim Aufbau des Betriebs stand die Verwertung leicht verderblicher Frischware wie Erdbeeren oder Blumenkohl im Mittelpunkt, inzwischen wird ein breites Gemüsesortiment verarbeitet. Jährlich verlassen rund 5.000 Tonnen TK-Ware in Packungsgrößen zwischen zehn Kilogramm und einer Tonne die BioFrost-Hallen.
Rohwarenbündelung und Rückverfolgbarkeit notwendig
Längst reichen die umfangreichen Ländereien des Westhofs nicht mehr aus, um den bundesweiten Markt zu bedienen. Mindestens die Hälfte seiner Ware kauft Carstens inzwischen regional zu. Sein Handelspartner, die regionale Vermarktungsgesellschaft Bioland SH, beschafft das Gemüse bei Öko-Landwirten aus Schleswig Holstein.
Auf den Betrieben lagert auch ein Großteil der Ware: Der Westhof verfügt über rund 6.000 Tonnen Lagerkapazität, die Kapazitäten der Zulieferer betragen insgesamt noch einmal 20.000 Tonnen. Von außerhalb Schleswig-Holsteins bezieht Rainer Carstens rund zehn Prozent der gesamten Ware. Vor allem im Frühjahr liefern auch Handelspartner aus Süddeutschland und Italien Bio-Gemüse nach Dithmarschen.
Immer wieder kommt Carstens auf die Sicherheit als zentrales Argument für seine Ware zu sprechen. Jede Möhre, jeden Kohlkopf und jede Erdbeere, die seine Hallen verlassen, kann er schlaggenau bis zum Acker zurückverfolgen. Jede Partie, egal woher, lässt er auf Rückstände untersuchen. Lieferanten, bei deren Ware Rückstände gefunden werden, droht unmittelbar die Auslistung.
Rainer Carstens’ Unternehmen sind nach den im Handel üblichen Systemen zur Qualitätssicherung zertifiziert, von Eurep-GAP bis hin zu IFS. Außerdem haben sich alle drei Westhof-Firmen dem Anbauverband Bioland angeschlossen – die Landwirtschaft als Mitglied, die Westhof Bio-Gemüse und die BioFrost als Vertragspartner. Carstensen betont, dass er die Kontroll- und Sicherungssysteme nicht nur als zusätzlichen Aufwand, sondern als tatsächliches Plus an Sicherheit begreift: „Damit weiß ich, was habe ich geliefert".
Darauf alleine will sich der Unternehmer aber nicht verlassen. Auch deshalb kaufe er keine anonyme Ware. „Ich will jeden meiner Lieferanten persönlich kennen," fordert er, und so hat er diesen Winter bereits zwei Reisen zu seinen italienischen Anbauern unternommen.
Was er im dortigen Bio-Gemüseanbau sieht, gefällt ihm nicht immer. Besonders die parallele konventionelle und biologische Erzeugung auf einem Betrieb macht ihn skeptisch. „Ist das denn Bio?" fragt sich der Ökobauer bei Betrieben, die neben 2.000 Hektar konventioneller Produktion 100 Hektar Gemüse für den Biomarkt anbauen.
Hier sieht er auch den Händler in der Verantwortung. Wenig überraschend sei für ihn, dass er gerade bei Ware von solchen Betrieben immer wieder auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln stoße. „Den Italiener kennt hier keiner," im Zweifelsfall fielen Unregelmäßigkeiten auf den Ruf des Westhofs als Lieferanten zurück – für ihn ein Grund mehr für rigide Produktkontrollen und sorgfältige Lieferantenauswahl.
Rigide Produktkontrollen
„Wo kommt all die Ware her?" habe er sich im vergangenen Jahr bei den bundesweit sprunghaft gestiegenen Verkaufsmengen durchaus gewundert. „Es gibt viel Ware, die nach meinem Verständnis keine Bioware ist."
Dabei stellt er klar, dass für ihn weder Verbandsiegel noch Bilderbuchidylle ausschlaggebend sind. Wichtig sei vielmehr, dass der Landwirt den ökologischen Landbau als Bewirtschaftungsystem begreife, das sich nicht im Verzicht auf Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel oder in der Erfüllung einer Verordnung erschöpfe.
Eine wichtige Aufgabe der Anbauverbände sieht er daher auch eher in der Betonung dessen, was Öko-Landwirtschaft ist und sein soll als in der Profilierung eigener Merkmale innerhalb des Biosektors.
Überzeugt ist Carstens, dass, wie überall, auch in der Biobranche schwarze Schafe zu finden sind. Er fordert: „Die Biobranche darf nicht den Mund halten und sich vor Skandalen fürchten." Wo nötig, müsse auch in den eigenen Reihen aufgeräumt werden. Dabei bricht er eine Lanze für die in Betrieben zuweilen unbeliebten zeitraubenden Öko-Kontrollen: Eine gründliche Kontrolle des eigenen Betriebs lasse erwarten, dass auch andere Betriebe wirksam kontrolliert und Fehler aufgedeckt würden.
Florian Gerlach