Mikrobiom
Der Wert des Bodens
Weshalb Gentechnik ungeeignet ist, die Probleme der Landwirtschaft zu lösen
Knapp drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen in der EU sind heute von Nährstoffungleichgewichten betroffen. Die Wassererosion der Böden wird auf rund 25 Prozent geschätzt. Diese Angaben gingen im Oktober 2024 aus einem neuen Forschungsbericht der EU-Kommission hervor. Bis 2050 will die EU alle Bodenökosysteme in einen gesunden Zustand bringen. Während entsprechende Maßnahmen in der Warteschleife hängen, ebenso wie die Pläne zur Deregulierung Neuer Gentechnik, pocht die Wissenschaft immer mehr auf die Beachtung einer essentiellen Grundlage der Bodengesundheit: das Mikrobiom.
„Das Mikrobiom ist die Summe aller Mikroorganismen. Es verbindet unsere Ökosysteme miteinander“, erklärt Gabriele Berg, leitende Professorin des Lehrstuhls ‚Plant Microbiome Management‘ am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam. Dabei sind die „Krankenversicherung“ für diese Ökosysteme für sie nicht etwa externe Inputs, sondern: Diversität.
„Die nützlichen Bakterien im Mikrobiom sind wichtig für Pflanzenwachstum und Keimung. Sie sorgen für Resilienz gegen Stress, Trockenheit und Feuchtigkeit, sowie für die Ernährung der Pflanzen mit Stickstoff, Kohlenstoff und Vitaminen“, so Berg.
„Mikroorganismen im Boden gehören zum Immunsystem der Pflanzen“, bekräftigt Maria Finckh, Professorin für Ökologischen Pflanzenschutz an der Universität Kassel. Je reicher und vielfältiger das mikrobielle Leben im Boden, desto schwieriger gestalte sich das Überleben der Krankheitserreger. Und vielfältige Pflanzen fördern durch ihre Wurzelausscheidungen ein vielfältiges Bodenleben – im Gegensatz zu genetisch identischen.
Antibiotikaresistenzen durch Herbizide
Aber nicht nur die moderne Pflanzenzucht, die als Voraussetzung für die industrielle Landwirtschaft Gleichförmigkeit als primäres Zuchtziel auserkoren hat, sondern auch Pestizide sorgen laut Finckh dafür, dass Krankheitserreger leichteres Spiel haben. „Unkrautvernichter, Insektengifte und Pilzgifte sind alle Antibiotika“, stellt die Expertin klar. Vor allem auf Herbizide treffe dies zu, das umstrittene Totalherbizid Glyphosat sei sogar als Antibiotikum patentiert. Die vermeintlichen Pflanzenschutzmittel beeinträchtigen laut Finckh das Bodenleben und seine Biodiversität. Resistente Bakterien und Pilze überleben und die Widerstandskraft der Pflanzen wird geschwächt.
Ein Heilsversprechen der Neuen Gentechnik ist es, die Notwendigkeit des Pestizideinsatzes zu reduzieren, indem Pflanzen gezüchtet werden, die resistenter gegen Pilze, Viren, Bakterien und andere Schädlinge sind. „Gentechnik vergisst aber den Boden und die Rolle des Mikrobioms“, betont die Professorin. Die Annahme, eine Pflanze allein durch Änderung ihrer Gene in eine gewünschte Richtung zu lenken, lasse außer Acht, dass es sich bei ihr nicht um einen isolierten Einzelorganismus handelt, sondern um den Teil eines komplexen Systems unzähliger weiterer Organismen.
Da gentechnisch veränderte Pflanzen als einheitliche Linien oder Klone ins Feld gebracht werden, verstärke Gentechnik den Verlust an Vielfalt und die Abhängigkeit von fossilen Produkten. Um langfristig für vitale Pflanzen zu sorgen, die gleichzeitig hohe Erträge bringen, sei es unumgänglich, die Zusammensetzung des Mikrobioms ins Zentrum zu rücken. Für ein vielfältiges Mikrobiom und einen gesunden, fruchtbaren Boden brauche es auf einem Acker das Gegenteil von Monokulturen: möglichst viele möglichst verschiedene Pflanzen. „Dass die Biodiversität von Pflanzen und Boden korreliert, ist wissenschaftlich erwiesen“, betont Berg. „Der eigentliche Ertragsbringer ist Biodiversität!“, so Finckh.
Krankheitsvorsorge: Vielfalt und gesunden Boden fördern
Damit Landwirte mit weniger Dünger und Pestiziden auskommen, sind für die Professorin aus Kassel vier grundlegende Schritte essentiell:
- weniger pflügen
- aufhören, den Boden durch schwere Maschinen zu verdichten
- vielfältige Fruchtfolgen als Standard etablieren
- so viel Pflanzenmaterial wie möglich auf den Acker bringen
„Pflanzen sind als organischer Dünger nicht zu toppen“, erklärt Finckh. Ihre Stoffwechselprodukte kämen über die Wurzeln direkt den Mikroorganismen zugute. Fruchtfolgen könnten durch Vielfalt dazu beitragen, die Ausbreitung schädlicher Pathogene zu verhindern. Dagegen nähmen schwere Maschinen den Pflanzen und Mikroorganismen den Sauerstoff. Und durch Pflügen würden Bodenlebewesen vernichtet, die auf bestimmte Schichten spezialisiert sind und genau dort gebraucht werden.
„Weniger düngen und weniger Pestizide einsetzen“, fügt Berg als Maßnahme hinzu. Sie wünscht sich eine Mikrobiom-unterstützende Forschung und Landwirtschaft, die Artenvielfalt und Humusgehalt ins Zentrum rückt, sowie den Einsatz von Kulturpflanzen mit hoher mikrobieller Biodiversität.
„Es fehlt an Anreizen für die Landwirte, die Bodenqualität zu erhöhen“, stellt Finckh fest. Damit Bauern den Umstieg von der industriellen Landwirtschaft zur Agrarökologie wagen, bräuchten sie wirtschaftliche Hilfen, um in andere Maschinen investieren zu können, und Fortbildungsangebote für das nötige Hintergrundwissen. Ist der Umbau einmal geschafft, sei kein finanzieller Ausgleich mehr nötig: Der gesündere Boden liefere mehr Ertrag als vorher – bei weniger Input.
Lena Renner