Landwirtschaft
Ende des Agrardialogs?
Handel will Gespräche in der Koordinationszentrale fortsetzen
Seit den Bauernprotesten im letzten Winter führen landwirtschaftliche Verbände wie ‚Land schafft Verbindung‘ im Agrardialog Gespräche mit Vertretern des Lebensmitteleinzelhandels. Jetzt soll die Plattform in die neu gegründete ‚Zentrale Koordination Handel Landwirtschaft‘ (ZKHL) überführt werden, die vom Deutschen Bauernverband mitinitiiert wurde. Die Bauernvertreter aus dem Agrardialog reagieren mit Besorgnis und Verärgerung.
Bereits anlässlich der Bauernblockaden von LEH-Lagern im Dezember 2020 wurde der Agrardialog ins Leben gerufen, ein Diskussionsforum von Landwirtschaft und Lebensmittelhandel unter neutraler Moderation der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Gründer waren die landwirtschaftlichen Gruppierungen Land schafft Verbindung e.V. (LsV), Europäisches Milchboard (EMB), Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und Freie Bauern, die Handelsketten Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Kaufland, Lidl und Rewe sowie der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH). Verbände und Unternehmen aus der Molkereiwirtschaft und der Fleischbranche sind dem Agrardialog in der Zwischenzeit beigetreten.
Seit vielen Monaten haben die verschiedenen Interessenvertreter im Agrardialog nach Möglichkeiten gesucht, die Stellung der heimischen Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette zu verbessern – „zuletzt mit vielversprechenden Ergebnissen“, so Alfons Wolff, Bundessprecher der Freien Bauern. Beispielsweise sei über die Entwicklung zusätzlicher Absatzwege gesprochen worden, bei denen die Handelsketten in Deutschland produzierte Ware zu mindestens kostendeckenden Preisen direkt beim Erzeuger oder bei Erzeugergemeinschaften einkaufen, im Auftrag verarbeiten lassen und als fair gehandelte Produkte aus heimischer Landwirtschaft in die Regale bringen.
Parallelveranstaltung der Großen?
Ebenfalls schon vor langem – im März dieses Jahres – haben der Handelsverband Deutschland e.V. (HDE), der Deutsche Bauernverband e.V. (DBV) sowie der Deutsche Raiffeisenverband e.V. (DRV) angekündigt, die ‚Zentrale Koordination Handel Landwirtschaft‘ zu gründen, um Konflikte künftig gemeinsam zu erörtern und auf neutraler Ebene zu lösen. „Es geht darum, eine Verhärtung der Fronten zu vermeiden sowie Lösungen zur Beilegung bestehender bzw. erkennbarer Konflikte zwischen den Marktbeteiligten in der Lieferkette anzubieten“, schrieb der Deutsche Bauernverband in einer Pressemeldung. Schon damals rief die Ankündigung einer „Parallelveranstaltung“ bei den im Agrardialog vereinigten Landwirten Ärger hervor.
Anfang September wurde das Vorhaben als „Beitrag zur Zukunftssicherung der Landwirtschaft“ in die Tat umgesetzt. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels will nun die im Agrardialog begonnenen Gespräche mit den Landwirten auf der neuen Plattform fortsetzen, wozu der Agrardialog in die ZKHL überführt werden soll.
Angst vor Einflussverlust
Die Landwirte des Agrardialogs befürchten dadurch jedoch ein Ende der konstruktiven Gespräche mit dem LEH. Durch Eingliederung des Agrardialogs in die Koordinationszentrale solle dessen fortschrittlicher Ansatz den Rohstoffinteressen der großen Verarbeiter untergeordnet werden. Der Deutsche Bauernverband, der sich dem Agrardialog trotz mehrfacher Einladungen nicht angeschlossen hatte, könne in der Koordinationszentrale seinen Alleinvertretungsanspruch ausüben, während die kleineren landwirtschaftlichen Verbände ihres Einflusses beraubt würden.
„Der Lebensmitteleinzelhandel muss entscheiden, ob er sich als Partner der heimischen Landwirtschaft sieht oder als Teil eines global organisierten Agrobusiness, das die Bauern maximal ausbeutet und dadurch für das dramatische Höfesterben mitverantwortlich ist“, so Alfons Wolff.
Auch Land schafft Verbindung kritisiert das Vorhaben und klagt darüber, vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein. Kein anderer Verband habe bisher eine annähernd vergleichbare Gesprächsgrundlage wie das Agrarbündnis geschaffen, in dem die Landwirte selbst auf Augenhöhe aktiv an zukunftsfähigen Lösungen mitarbeiten konnten. LsV Deutschland gab deshalb bekannt, den Agrardialog auch ohne Beteiligung des Handels fortführen und ausbauen zu wollen.
Laut dem BVLH sei die Überführung dagegen frühzeitig angekündigt worden. In der ZKHL solle außerdem auf den bisher erarbeiteten Inhalten aufgebaut werden. Am morgigen Mittwoch sind alle Beteiligten des Agrardialogs in Berlin zu einem Gespräch mit der Koordinationszentrale eingeladen.